Rz. 286

Lässt sich der gemeine Wert nicht aus stichtagsnahen Verkäufen ableiten, so ist er unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde. Die §§ 199203 BewG sind zu berücksichtigen.[1]

Obwohl das Gesetz damit keine allgemeingültige Rangfolge der verschiedenen Bewertungsverfahren festlegt, hat die Ermittlung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten insofern Vorrang vor anderen Verfahren, als ihre Anwendung nicht die Feststellung voraussetzt, dass es sich um eine anerkannte, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke übliche Methode handelt. Der Stpfl., der eine Wertermittlung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten (z. B. nach IDW S 1) vornimmt, ist daher nicht verpflichtet, gesondert darzulegen, dass die von ihm gewählte Methode grundsätzlich gegenüber anderen anerkannten Bewertungsmethoden oder dem vereinfachten Ertragswertverfahren vorzugswürdig ist. Grund hierfür ist die Erkenntnis, dass üblicherweise zumindest bei Beteiligungen an großen Gesellschaften die Ertragswertmethode angewandt wird, weil sie von der Frage ausgeht, welches Kapital ein gedachter Investor einsetzen würde, um aus seinem Investment eine angemessene Rendite zu erzielen.[2] Umgekehrt hat ein Stpfl., der den Anteilswert mittels einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode (z. B. vergleichsorientierte Methoden und Multiplikatorenmethoden) ermitteln will, die Voraussetzungen für Anwendbarkeit darzulegen.[3]

 

Rz. 287

Die verschiedenen Voraussetzungen, von denen das Gesetz die Anwendung anderer Methoden abhängig macht, dürften sich dabei zum Teil überschneiden. "Anerkannt" ist eine Methode immer dann, wenn sie "im gewöhnlichen Geschäftsverkehr üblich" ist. Und es stellt geradezu das Wesen einer im gewöhnlichen Geschäftsverkehr übliche Methode dar, dass sie "für nichtsteuerliche Zwecke" angewandt wird. Letzten Endes hängt die Anwendbarkeit also davon ab, nach welchen Maßstäben Unternehmen oder Unternehmensanteile in der entsprechenden Branche im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bewertet werden.

 

Rz. 288

Mit der Feststellung, dass eine andere Bewertungsmethode als die Wertermittlung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr üblich ist, dürfte zugleich die Entscheidung für ihre Maßgeblichkeit gefallen sein. Zwar ist nach dem letzten Satzteil des § 11 Abs. 2 S. 2 BewG die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde; und nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll das Abstellen auf die Erwerbersicht dafür Sorge tragen, dass von mehreren in Betracht kommenden Methoden diejenige der Bewertung zugrunde gelegt wird, die zu dem niedrigsten Ergebnis führt. Diese Betrachtungsweise lässt aber außer Acht, dass die Bemessung des Kaufpreises nicht in der Hand des Erwerbers liegt, sondern das Ergebnis eines Interessenausgleichs zwischen Erwerber und Veräußerer ist. Der Erwerber mag sich zwar für Verhandlungszwecke auf ein bestimmtes ihm günstiges – weil zu einer niedrigeren Bewertung führendes – Verfahren berufen. Ob er mit dieser Argumentation durchdringen kann, richtet sich jedoch danach, welche Gesichtspunkte und Maßstäbe der Preisbemessung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zugrunde gelegt werden.

 

Rz. 289

Die Frage, welche Bewertungsmethode im jeweiligen Einzelfall maßgeblich ist, hat das zuständige FA – bzw. im Klageverfahren das Finanzgericht – von Amts wegen zu prüfen. Im Hinblick darauf, dass das Gesetz die Bewertung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten als Regelfall ansieht, trägt derjenige, der die Bewertung nach einer anderen Methode vornehmen will, allerdings die Feststellungslast dafür, dass es sich dabei um eine anerkannte, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke übliche Methode handelt, die der gedachte Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde. Wie ein entsprechender Nachweis zu führen ist, lässt sich nicht allgemein festlegen. Zu denken ist insbesondere an Auskünfte von Berufsverbänden, Kammern, Maklern oder Banken, an Datenbankrecherchen oder die Bezugnahme auf konkrete Vergleichsfälle, soweit hierdurch keine Verschwiegenheitspflichten verletzt werden.

4.5.1 Ermittlung des Unternehmenswerts unter "Berücksichtigung" der Ertragsaussichten

 

Rz. 290

Wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 2 Nr. 2 ErbStRG ergibt, ist die Wertermittlung "unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten" aus Sicht des Gesetzgebers gleichbedeutend mit der Bewertung im Ertragswertverfahren. Davon gingen auch die während der Dauer des Gesetzgebungsverfahrens veröffentlichten Diskussionsbeiträge in der Literatur ein...

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