Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf einer Einspruchsrücknahme. ordnungsgemäßer Eingangsstempel einer Behörde als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO. Voraussetzungen für die Kürzung des Vorwegabzugs

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rücknahme eines Einspruchs ist grundsätzlich wegen der unmittelbaren Gestaltungswirkung für das anhängige Verwaltungsverfahren weder widerruflich noch nach den Vorschriften des Zivilrechts über Willenserklärungen anfechtbar. Ein Widerruf ist allerdings dann möglich, wenn dieser vor der Rücknahmeerklärung, spätestens gleichzeitig mit ihr beim Finanzamt eingeht.

2. Ein formell ordnungsgemäßer Eingangsstempel einer Behörde kann zwar grundsätzlich öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO sein und damit den vollen Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schriftstückes gemäß § 418 Abs. 1 ZPO erbringen.

3. Versieht das Finanzamt die so genannte Morgenpost stets mit dem Eingangsstempel des Vortages, so dass ein den Vortag tragendes Schriftstück tatsächlich auch erst am nächsten Tag eingegangen sein kann, kommt dem Eingangsstempel noch die Eigenschaft der öffentlichen Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO zu, allerdings mit dem modifizierten urkundlichen Erklärungsinhalt, dass die gestempelten Poststücke am im Stempel ausgewiesenen Tag oder am Tag danach eingegangen sind.

4. Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 a EStG für die Kürzung des Vorwegabzugs müssen jeweils im Veranlagungszeitraum der Kürzung vorliegen; es genügt nicht, wenn diese nur in den vorangegangenen Jahren vorgelegen haben.

 

Normenkette

AO 1977 § 362 Abs. 1; ZPO § 418 Abs. 1; EStG § 10 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 20.12.2006; Aktenzeichen X R 38/05)

 

Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid für 2001 in der Fassung vom 21. November 2003 wird dahingehend geändert, dass die festgesetzte Einkommensteuer auf 117.616 DM herabgesetzt wird.

2. Die Revision wird zugelassen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.

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Tatbestand

Streitig ist, ob die Einspruchsrücknahme rechtzeitig widerrufen wurde und ob der Vorwegabzug für Vorsorgeaufwendungen ungekürzt zu gewähren ist.

Der am 31. Dezember 1937 geborene Kläger wurde gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Klägerin, zur Einkommensteuer des Streitjahres veranlagt. Er war bis 31. Dezember 2000 nichtselbständig tätig und ging mit Ende des Jahres 2000 in den Ruhestand. Im Streitjahr bezog der Kläger von seinem früheren Arbeitgeber Einkünfte in Höhe von insgesamt 394.562 DM, nämlich als betriebliche Altersversorgung laufende Versorgungsbezüge in Höhe von 171.912 DM sowie eine im April 2001 ausbezahlte persönliche Gratifikation (53.750 DM) sowie Erfolgsbeteiligung (168.900 DM) für das Jahr 2000 von insgesamt 222.650 DM. Sozialversicherungsbeiträge wurden hierfür nicht einbehalten. Als beschränkt abziehbare Sonderausgaben erklärten die Kläger Versicherungsbeiträge in Höhe von 22.481 DM.

Der Beklagte – das Finanzamt (FA) veranlagte mit Einkommensteuerbescheid vom 4. Juni 2002 die Kläger erklärungsgemäß, kürzte allerdings vollständig den Vorwegabzug unter Berücksichtigung der Bezüge in Höhe von 222.650 DM.

Mit beim FA am 19. Juni 2002 eingegangenem Einspruchsschreiben vom 16. Juni 2002 wandte sich der Kläger gegen die Kürzung des Vorwegabzugs.

Mit Schreiben vom 12. Juli 2002 fragte das FA beim Kläger an, ob er den Einspruch aufrechterhalte. Er habe Arbeitslohn nach § 19 Einkommensteuergesetz (EStG), eine Rente sowie eine Betriebsrente bezogen und gehöre deshalb zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 2 EStG, so dass die Vorsorgepauschale zu kürzen sei.

Der Kläger erklärte daraufhin mit Schreiben vom 21. August 2002, seinen Einspruch vom 16. Juni 2002 gegen den Bescheid zur Einkommensteuer 2001 zurückzuziehen. Das FA versah dieses in der Rechtsbehelfsakte befindliche Schreiben mit seinem Eingangsstempel vom 22. August 2002.

Mit Computerfax vom 22. August 2002 teilte der Kläger dem FA mit, seinen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 zurückgezogen zu haben, den Inhalt dieses Schreibens aber zu widerrufen und den Einspruch aufrecht zu erhalten.

Der Kläger teilte dem Sachbearbeiter des Finanzamts – … – am 22. August 2002 auch telefonisch mit, die Rücknahme des Einspruchs zu widerrufen und dies unverzüglich ...

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