Leitsatz

Können wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens positive Umsatzsteuerbeträge und negative Berichtigungsbeträge (§ 16 Abs. 2 UStG) im Rahmen einer Steuerfestsetzung durch Bescheid des FA nicht mehr saldiert werden, erledigt sich der Streit um die Wirksamkeit einer hinsichtlich dieser Beträge vom FA abgegebenen Aufrechnungserklärung, sobald die Steuer für das mit Insolvenzeröffnung endende (Rumpf-)­Steuerjahr berechnet werden kann und nicht ausnahmsweise von der Aufrechnungserklärung als solcher fortbestehende Rechtswirkungen ausgehen, welche die Rechte des Schuldners berühren.

Da ein über die Wirksamkeit der Aufrechnung ergangener Abrechnungsbescheid in der Regel die Feststellung enthält, dass aufgrund der Berichtigung entstehende Vergütungs- oder Erstattungsbeträge nicht auszukehren sind, bleibt eine Klage gegen den Abrechnungsbescheid zulässig. Ist der Berichtigungstatbestand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten, ist der Abrechnungsbescheid aufgrund des § 16 UStG ungeachtet des § 96 Abs. 1 InsO als rechtmäßig zu bestätigen.

 

Normenkette

§ 16 Abs. 2 UStG, § 124 Abs. 2 AO, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Verwalter in dem über das Vermögen der M-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) am 1.1.2002 eröffneten Insolvenzverfahren. Die Eröffnung des Verfahrens war von der Schuldnerin am 29.8.2001 beantragt und aufgrund dieses Antrags mit Beschluss vom 31.8.2001 der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden.

Die Schuldnerin hatte 2001 Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben, die aufgrund hoher Vorsteuern in allen Monaten zu Vergütungsbeträgen führten. Mit Bescheid vom 6.11.2001 hat das FA gegen die Schuldnerin für August 2001 Umsatzsteuer von ... DM festgesetzt. Das FA stützte sich dabei darauf, dass die in den Anmeldungen Januar bis August 2001 berücksichtigten Vorsteuern aufgrund des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen seien, und zwar im Schätzungswege durch einen prozentualen Abschlag. In einer Umbuchungsmitteilung vom Dezember 2001 verrechnete es diese Umsatzsteuerforderung mit den von der Schuldnerin für September bis November 2001 angemeldeten Vergütungsforderungen und durch Umbuchungsmitteilung vom Februar 2002 mit dem Vergütungsanspruch Dezember 2001. Als der Kläger hiergegen Einwendungen erhob, erließ das FA den angefochtenen Abrechnungsbescheid, in dem es feststellte, dass die vorbezeichneten Vergütungsansprüche erloschen seien.

 

Entscheidung

Der BFH hat das klageabweisende Urteil des FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.4.2010, 9 K 1968/05, Haufe-Index 2590060, EFG 2011, 855) im Ergebnis bestätigt.

 

Hinweis

Der Jahressteuerbescheid ist bekanntlich vom Zeitpunkt seines Ergehens an alleinige Grundlage für die Verwirklichung des Anspruchs auf die mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstandene Steuer sowie für die Einbehaltung der als Vorauszahlung für den Veranlagungszeitraum entrichteten bzw. für die Vergütung der die positiven Umsatzsteuern übersteigenden (Vorsteuer‐)Beträge. Damit erledigen sich die den Veranlagungszeitraum betreffenden Vorauszahlungsbescheide i.S.d. § 124 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) auf andere Weise und verlieren ihre Wirksamkeit; deren Regelungen nimmt der Jahressteuerbescheid in sich auf (vgl. BFH, Urteil vom 15.6.1999, VII R 3/97, Haufe-Index 55168, BFH/NV 1999, 1659, BFHE 189, 14). Entsprechendes gilt für gem. § 168 AO mit Festsetzungswirkung ausgestattete Anmeldungen.

Kann aus insolvenzverfahrensrechtlichen Gründen eine Jahressteuerfestsetzung nicht ergehen, sondern ist lediglich die Steuer zu berechnen und im Insolvenzverfahren zur Tabelle anzumelden, ändert sich daran nichts: Für das Steuerschuldverhältnis ist auch in diesem Fall die nach Maßgabe der Regelungen des UStG zu berechnende Jahressteuer maßgeblich, sobald die Jahressteuer entstanden ist und berechnet werden kann. Es verwirklicht sich dann die in § 16 Abs. 2 UStG angeordnete Rechtsfolge also gleichsam automatisch, weil die für den Inhalt des Steuerschuldverhältnisses jetzt maßgebliche Jahressteuer nur insoweit besteht, als nicht der berechneten Steuer (§ 16 Abs. 1 UStG) abziehbare Vorsteuerbeträge gegenüberstehen.

Die Frage, ob im Rahmen zuvor ergangener Vorauszahlungsfestsetzungen Aufrechnungen vorgenommen werden durften oder dem § 96 InsO entgegenstand, wird damit gegenstandslos! Das hat erhebliche materielle Auswirkungen, weil der Saldierung nach § 16 UStG insolvenzrechtliche Vorschriften nach der Rechtsprechung des V. Senats des BFH nicht entgegenstehen sollen; insbesondere nicht § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, dessen entsprechende Anwendung bei der Saldierung, die allerdings keine Aufrechnung im Sinne dieser Vorschrift ist (BFH, Urteil vom 24.11.2011, V R 13/11, Haufe-Index 2838355, BFH/NV 2012, 358, BFHE 235, 137), der BFH bisher nicht in Betracht gezogen hat, obgleich sie mehr als naheliegen dürfte.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 25.7.2012 – VII R 44/10

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