Leitsatz

1. Auch nach der mit Wirkung zum 15. Oktober 2016 vorgenommenen Anfügung des § 66 Satz 2 FGO ist für die Wahrung der sechsmonatigen Klagefrist bei einer Entschädigungsklage bereits der Eingang dieser Klage beim BFH maßgebend, nicht aber der – nunmehr erst mit der Zustellung der Klage beim Beklagten gegebene – Eintritt der Rechtshängigkeit.

2. Bei einer auf die Zahlung einer Geldentschädigung gerichteten Entschädigungsklage ist dem Kläger grundsätzlich die Stellung eines bestimmten (bezifferten) Klageantrags zuzumuten. Etwas anderes gilt nur dann und nur insoweit, als der Kläger in Anwendung der Billigkeitsnorm des § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG die Zuerkennung eines anderen Betrags als den gesetzlichen Regelbetrag für Nichtvermögensnachteile begehrt (Präzisierung der bisherigen Senatsrechtsprechung in den Urteilen vom 2. Dezember 2015, X K 7/14, BFHE 252, 233, BStBl II 2016, 405, Rz. 15 ff., und vom 2. Dezember 2015, X K 6/14, BFH/NV 2016, 755, Rz. 17 ff.).

 

Normenkette

§ 198 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 GVG, § 64 Abs. 1, § 65 Abs. 1 Satz 2, § 66 Sätze 1 und 2 FGO

 

Sachverhalt

Die Kläger begehrten wegen der von ihnen als unangemessen angesehenen Dauer der seit dem 11.3.2013 vor dem FG anhängigen Verfahren Entschädigung (FG München, Ausgangsverfahren vom 14.7.2016, 3 K 752/13, sowie 6 K 768/13, 6 K 770/13, 6 K 772/13, 6 K 774/13).

Die Verfahren wurden entweder am 18.5.2016 oder am 14.7.2016 beendet. Die Kläger waren der Auffassung, die Verfahren seien jeweils um mindestens zwölf Monate verzögert worden. Trotz objektiver Klagehäufung bestehe ein Entschädigungsanspruch für jeden einzelnen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis. Die Kläger beantragten eine angemessene Entschädigung in Geld, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wurde, mindestens aber jeweils 600 EUR pro Verfahren.

 

Entscheidung

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Entschädigungsklagen waren zulässig und in dem von den Klägern geforderten Mindestumfang begründet.

 

Hinweis

Die wesentlichen Probleme im Zusammenhang mit den Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer dürften inzwischen durch die Rechtsprechung des X. Senats als geklärt anzusehen sein. Die zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Urteile enthalten damit entweder die Reaktion auf eine Gesetzesänderung, die Überprüfung der bisherigen Senatsrechtsprechung oder bislang noch nicht entschiedene Randprobleme. In dem Besprechungsurteil finden sich alle drei Aspekte.

1. Auch im zeitlichen Anwendungsbereich des § 66 Satz 2 FGO (eingefügt mit Wirkung ab dem 15.10.2016; vgl. BGBl 2016, 222) ist für die Wahrung der Klagefrist der Zeitpunkt der Klageerhebung maßgeblich und nicht der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit, die nunmehr erst mit Zustellung der Entschädigungsklage eintritt. Damit beschränkt sich die Bedeutung der Rechtshängigkeit gemäß § 66 Satz 2 FGO auf die Hinausschiebung des Beginns des Laufs der Prozesszinsen und auf den Umstand, dass die Entschädigungsgerichte jetzt erst nach Einzahlung des erfor­derlichen Gerichtskostenvorschusses tätig werden müssen.

2. Der BFH hat bisher Entschädigungsklagen als zulässig angesehen, in denen lediglich ein Mindestbetrag angegeben und die Höhe der Entschädigung im Übrigen in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt worden war, und sich für befugt gehalten, über den vom Entschädigungskläger bezeichneten Mindestbetrag hinauszugehen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 2.12.2015, X K 7/14, BFH/NV 2016, 672, Rz. 15 ff., BFH/PR 2016, 210, BStBl II 2016, 405).

In Präzisierung dieser Rechtsprechung (die auch als teilweise Änderung verstanden werden kann) ist ein Verzicht auf einen bestimmten Klageantrag (Beschränkung auf die Nennung eines Mindestbetrags) verbunden mit der Befugnis des Gerichts, über einen bezifferten Mindestbetrag hinauszugehen, nur noch insoweit möglich, als das Gericht gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG in Fällen der "Unbilligkeit" einen höheren oder niedrigeren als den im Gesetz genannten Pauschalbetrag für Nichtvermögensnachteile festsetzen kann. Soweit die Höhe des Entschädigungsan­spruchs hingegen maßgeblich durch die Dauer der Verzögerung (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG: "1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung") bestimmt wird, muss der Entschädigungskläger sich in seinem Klageantrag auf die Annahme einer bestimmten Dauer der Verzögerung festlegen, seinen Antrag danach ausrichten und damit den Entscheidungsumfang des Gerichts sowie sein eigenes Kostenrisiko bestimmen.

3. Zudem ist auf die, wenn auch in diesem Verfahren nicht entscheidungserhebliche, jedoch sehr klare Anmerkung des BFH hinzuweisen, dass eine Vervielfachung des Regel-Entschädigungsanspruchs in Fällen objektiver Klagehäufung nicht vorzunehmen ist. Demgegenüber steht bei einer subjektiven Klagehäufung (Klageerhebung durch mehrere Personen, insbesondere durch Eheleute) jedem Verfahrensbeteiligten ein eigener Entschädigungsanspruch zu (vgl. BFH, Urteil vom 4.6.2014, X K 12/13, BFH/NV 2014, 1844, Rz. 47, BFH/PR 2014, 450, BStBl II 2014, 933).

 

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