Leitsatz

Auch nach der Einführung des sog. Basistarifs in der privaten Krankenversicherung ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass zwar das Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht aber das Krankentagegeld aus einer privaten Krankenversicherung in den Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG einbezogen wird.

 

Normenkette

§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG, § 12 Abs. 1a VAG, § 193 Abs. 3 VVG

 

Sachverhalt

Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur ESt veranlagt. Sie erzielen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit und sind in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Die Klägerin bezog im Streitjahr 2009 Krankengeld i.H.v. 9.649 EUR. Ein Restbetrag von 466 EUR wurde erst im Laufe des Jahres 2010 ausgezahlt. Bei der Veranlagung zur ESt für das Jahr 2009 unterwarf das FA das gesamte Krankengeld dem Progressionsvorbehalt und wies den dagegen eingelegten Einspruch zurück.

Die Klage war nur hinsichtlich des 2010 zugeflossenen Restbetrags erfolgreich; das im Jahr 2009 bezogene Krankengeld war dagegen nach Auffassung des FG in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen (FG Köln, Urteil vom 22.11.2012, 6 K 3506/10, Haufe-Index 5500599, EFG 2013, 1762).

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision der Kläger als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Zu den steuerfreien Lohnersatzleistungen, die den Progressionsvorbehalt auslösen, gehört nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG das Krankengeld. Der besondere Steuersatz ergibt sich dadurch, dass das Krankengeld bei der Berechnung der ESt dem zu versteuernden Einkommen hinzugezählt wird. Der (positive) Progressionsvorbehalt genießt nur geringe Akzeptanz und ist daher streitanfällig, obwohl es oft nur um relativ geringe Beträge geht (z.B. BFH, Urteil vom 25.9.2014, III R 61/12, BFH/NV 2015, 93: Keine Verminderung des Elterngelds um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag, wenn bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit den Pauschbetrag übersteigende Werbungskosten abgezogen wurden). Denn der Progressionsvorbehalt widerspricht aus Laiensicht der Steuerfreiheit der Lohnersatzleistungen und führt zu unerwartet hohen Steuerfestsetzungen, die eine erwartete ESt-Erstattung "verhageln" oder trotz eines zvE unterhalb des Grundfreibetrags zu einer Steuerschuld führen.

2. Nach Auffassung der Kläger im Streitfall verstößt die Einbeziehung des Krankengelds in den Progressionsvorbehalt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Der BFH hatte zwar für die VZ 1999 und 2002 bereits entschieden, dass die Einbeziehung des Krankengelds der gesetzlichen Krankenkassen in den Progressionsvorbehalt verfassungsgemäß ist, obwohl das Krankentagegeld aus einer privaten Krankenversicherung nicht dem Progressionsvorbehalt unterliegt (u.a. BFH, Urteil vom 26.11.2008, X R 53/06, BFH/NV 2009, 640).

3. Das hat sich entgegen der Ansicht der Kläger auch nicht dadurch geändert, dass ab 2009 die allgemeine Krankenversicherungspflicht (§ 193 Abs. 3 VVG) und in der privaten Krankenversicherung der sog. Basistarif mit Kontrahierungszwang (§ 12 Abs. 1a, 1b VAG) eingeführt wurde, da weiterhin grundsätzliche Unterschiede zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung bestehen, die eine unterschiedliche steuerliche Behandlung rechtfertigen:

  • Private und gesetzliche Krankenversicherungen ­bestehen weiterhin als getrennte Systeme ne­beneinander, und der Basistarif ist dem System ­der privaten Krankenversicherung zuzurechnen; zur Einführung einer Einheitskrankenversicherung ("solidarische Bürgerversicherung") ist es nicht gekommen.
  • Der Basistarif wird lediglich von einem geringen Anteil der privat Versicherten in Anspruch genommen (2009: 0,15 % und 2011: 0,29 % der privat Krankenversicherten).
  • Die im Basistarif versicherten Personen erhalten typischerweise kein Krankentagegeld. Die Möglichkeit zur Versicherung im Basistarif besteht insbesondere für Selbstständige und Beamte (§ 12 Abs. 1b Satz 1 VAG). Der Leistungsumfang des Basistarifs ist dem der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar (§ 12 Abs. 1a Satz 1 VAG). Selbstständige erhalten Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung aber nur im Ausnahmefall (§ 44 Abs. 2 Nr. 2 SGB V) und der Krankengeldanspruch von Beamten ruht regelmäßig, da die Besoldung auch während der Erkrankung gewährt wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Die Nichteinbeziehung des privaten Krankentagegelds in den Progressionsvorbehalt bei einer Versicherung im Basistarif ist somit nur in Ausnahmefällen von praktischer Bedeutung.

4. Die Einbeziehung des Krankengelds der gesetzlichen Krankenversicherung verstößt nicht gegen das Sozialstaatsprinzip, das im Steuerrecht lediglich gebietet, das Existenzminimum vor einem steuerlichen Zugriff zu verschonen (BVerfG, Urteil vom 27.7.2010, 2 BvR 2122/09, HFR 2010, 1109). Da dem Sozialstaatsprinzip kein Gebot zu entnehmen ist, Sozialleistungen in einer bestimmten Weise oder ...

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