Beteiligte

1. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte

2. AOK – Die Gesundheitskasse für Niedersachsen – Landesdirektion –

3. Pflegekasse bei der AOK – Die Gesundheitskasse für Niedersachsen – Landesdirektion –

Landesversicherungsanstalt Oldenburg-Bremen – Künstlersozialkasse –

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. Oktober 1997 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht des Klägers nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) in der Rentenversicherung der Angestellten, der gesetzlichen Krankenversicherung und – ab 1. Januar 1995 – in der sozialen Pflegeversicherung.

Der im Jahre 1966 geborene Kläger ist als Berufsringer (Catcher, Wrestler) tätig. Er ist Mitglied des Verbandes der Berufsringer eV (VDB) und nimmt an vom VDB lizensierten Veranstaltungen im In- und Ausland teil. Dazu gehören auch Veranstaltungen der Catch-Wrestling-Association (CWA). Er tritt unter dem Namen U. H. auf, ist aus früherer Zeit aber auch als „H. the German” und „The Ranger” bekannt. Im Juli 1993 beantragte der Kläger die Feststellung seiner Versicherungspflicht nach dem KSVG als selbständiger Künstler im Bereich der darstellenden Kunst (Unterhaltungskunst/Artistik). Er vertrat die Auffassung, das Berufsringen sei als Entertainment mit sportlichem Charakter und damit als Teil des Showgeschäfts anzusehen. Sein voraussichtliches Jahreseinkommen bezifferte er mit 14.000 DM. Die beklagte Künstlersozialkasse lehnte den Antrag ab. Sie wertete das Berufsringen nicht als künstlerische, sondern als – nicht vom KSVG erfaßte – sportliche Tätigkeit (Bescheid vom 3. Dezember 1993, Widerspruchsbescheid vom 7. April 1994).

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 21. Februar 1995). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Oktober 1997): Das Berufsringen sei als Sport und nicht als Unterhaltungskunst oder Artistik iS des KSVG einzustufen. Zwar seien Showelemente im Auftreten der Akteure (ua durch eine dem persönlichen Selbstverständnis entsprechende Kampfsportkleidung und „Künstlernamen”) und bei den Kämpfen im Ring (Akrobatik, Gags, Scheingefechte und Drohgebärden als integraler Bestandteil der Kämpfe) kennzeichnend für das Berufsringen und unverzichtbar für dessen Unterhaltungswert. Dennoch stehe der sportliche Charakter der Kämpfe im Vordergrund. Die Veranstaltungen würden als Turniere bzw Meisterschaften ausgerichtet und auch so beworben. Es gehe stets um ein sportliches Kräftemessen, bei dem Sieger und Verlierer ermittelt werden. Demgemäß orientiere sich auch der Marktwert eines Berufsringers und damit seine Gage maßgeblich an der Zahl seiner Siege und an den errungenen Titeln (zB Weltmeister).

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 1 und 2 KSVG. Er wiederholt sein Vorbringen, beim Berufsringen dominierten die Showelemente gegenüber den sportlichen Elementen. Der dem Publikum dargebotene „Wettkampf” sei inszeniert, Ablauf und Ergebnis seien in der Regel vorher abgesprochen, wobei dem Veranstalter maßgeblicher Einfluß zukomme. Es gehe um die möglichst unterhaltsame Darstellung eines Kampfes, nicht aber um einen „fairen”, nach sportlichen Regeln durchgeführten Zweikampf und damit nicht um Sport im herkömmlichen Sinne. Demgemäß werde in den USA, wo das Berufsringen (Wrestling) einen besonders hohen Stellenwert habe, diese Form der Unterhaltung schon seit Jahren dem Entertainment und nicht mehr dem Sport zugerechnet. Für das in Europa praktizierte Berufsringen, das zwar immer noch die sportliche Komponente betone (Catchen), aber zunehmend in der Form des amerikanischen Wrestling, also mit noch weiter verstärkten Showelementen, dargeboten werde, könne nichts anderes gelten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 15. Oktober 1997 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 21. Februar 1995 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger nicht der Versicherungspflicht nach § 1 KSVG unterliegt. Das Berufsringen (Catchen, Wrestling) ist keine künstlerische oder artistische Tätigkeit iS des Künstlersozialversicherungsrechts.

Nach § 2 Satz 1 KSVG ist eine Person Künstler iS dieses Gesetzes, wenn sie Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Der Gesetzgeber spricht im KSVG nur allgemein von „Künstlern” und „künstlerischen Tätigkeiten”. Dabei nennt er die drei Sparten der Kunst, die üblicherweise unterschieden werden (Musik, darstellende und bildende Kunst), in ihrer Gesamtheit aber den Bereich der Kunst umfassen und ihn von anderen Lebensbereichen abgrenzen. Auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs hat der Gesetzgeber hingegen bewußt verzichtet (BT-Drucks 8/3172, S 21). Dieser Begriff ist vielmehr aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen (vgl zuletzt BSGE 77, 21 = SozR 3-5425 § 24 Nr 12 – Unterhaltungsshow –, BSG SozR 3-5425 § 2 Nr 5 – Musikinstrumentenbauer – und Urteil vom 24. Juni 1998 - B 3 KR 13/97 R – zur Veröffentlichung bestimmt – zum Kunsthandwerk; zum Kunstbegriff des Art 5 Grundgesetz ≪GG≫ vgl BVerfGE 30, 173, 188 ff und 81, 108, 116; zur Zielrichtung des KSVG vgl BT-Drucks 9/26, S 18 und BT-Drucks 8/3172, S 19 ff). Die Frage, welchem Bereich eine bestimmte künstlerische Tätigkeit abgaberechtlich zuzuordnen ist, hat der Verordnungsgeber aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung in § 26 Abs 1 KSVG in der Verordnung zur Durchführung des KSVG (KSVGDV) vom 23. Mai 1984 (BGBl I S 709) geregelt, die derzeit idF der Verordnung vom 30. September 1996 (BGBl I S 1490) gilt, deren insoweit maßgeblicher § 2 aber seit ihrem Inkrafttreten am 1. Juli 1984 unverändert geblieben ist. Beim Berufsringen ist allein die Ausübung einer Tätigkeit aus dem Bereich der darstellenden Kunst in Betracht zu ziehen, und zwar als Form der Unterhaltungskunst/Artistik gemäß § 2 Abs 4 Nr 6 KSVGDV.

Nach dem Regelungszweck des KSVG unterfallen Tätigkeiten aus dem Bereich der Unterhaltungskunst grundsätzlich der Künstlersozialversicherung. Es muß sich dabei aber um eine Form der Unterhaltung handeln, bei der eine freie schöpferische Gestaltung der Darbietung zumindest in Ansätzen erkennbar ist, wobei allerdings die Anforderungen an die schöpferische Gestaltung niedrig zu bemessen sind (BSGE 77, 21 = SozR 3-5425 § 24 Nr 12). Dies bedeutet, daß nicht alle Darbietungen mit Unterhaltungszweck oder Unterhaltungswert ohne weiteres der Unterhaltungskunst im Sinne des KSVG zugerechnet werden können. Maßgebend für die Zuordnung einer Darbietung zur Unterhaltungskunst oder zu sonstigen – nicht künstlerischen – Arten der Unterhaltung ist – da die individuelle Kunstauffassung sehr unterschiedlich sein kann – im Zweifel die allgemeine Verkehrsauffassung. Eine Verkehrsauffassung im Sinne einer allgemeinen Übereinstimmung bei der Einordnung als Künstler wird sich nur bilden können, wenn die Akteure zumindest selbst einen künstlerischen Anspruch für ihre Tätigkeit erheben. Sportveranstaltungen zählen danach trotz ihres häufig auch unterhaltenden Wertes ebensowenig zur Unterhaltungskunst (BSGE 77, 21 = SozR 3-5425 § 24 Nr 12 sowie Urteil vom 16. April 1998 - B 3 KR 7/97 R – zur Veröffentlichung bestimmt – zum Fallschirmspringen) wie sonstige Veranstaltungen, in denen Sensationen, Raritäten oder Absurditäten geboten werden, die Akteure aber keine Unterhaltungskunst im herkömmlichen Sinne darbieten und für ihre Vorführungen auch keinen künstlerischen Anspruch erheben. Das Berufsringen kann vor diesem Hintergrund nicht der Unterhaltungskunst zugeordnet werden. Zwar dient es der Unterhaltung des Publikums, einen künstlerischen Anspruch verknüpfen die Catcher und Wrestler damit aber nicht, und das Publikum erwartet es auch nicht.

Das Berufsringen ist eine Form der Unterhaltung, bei der es um die drastische Darstellung exzessiver Gewaltanwendung geht. Die gewalttätigen Aktionen sind – und zwar umso besser, je weniger für das Publikum erkennbar – inszeniert und gespielt, aber nicht ernsthaft gemeint und deshalb auch nicht mit voller Kraft ausgeführt. Realität und Darstellung fallen auseinander. Die Akteure zeigen sportliches, durch regelmäßiges Training gefestigtes Können, akrobatische Körperbeherrschung und schauspielerische Elemente. Welche dieser Komponenten in den Vordergrund gestellt wird, entscheidet sich nach der praktizierten Spielart des Berufsringens. Beim herkömmlichen Catchen, das aus dem Freistilringen entwickelt worden ist, steht noch das sportliche Element im Vordergrund. Beim Wrestling, das aus den USA stammt und in Europa zunehmend an Bedeutung gewinnt, steht hingegen der Showcharakter im Mittelpunkt. Allen Varianten des Berufsringens gemein ist die Vorführung eines Show-Kampfes, bei dem grotesk kostümierte Männer, gelegentlich auch Frauen, gegeneinander antreten, sich scheinbar wüst beschimpfen, brutal angreifen und so unfair zuschlagen oder zutreten, daß es erfahrungsgemäß zu schweren Verletzungen kommen müßte. Verletzungen sind aber nicht gewollt und allenfalls Resultat unglücklicher Zufälle. Dargeboten wird somit eine scheinbar hochgefährliche Interaktion in der Form eines Kampfes, dessen Inszenierung auf der Kooperation der Beteiligten aufbaut. Die „Regeln” und der Ringrichter sind dabei ein Teil der Inszenierung, nicht aber Faktoren zur Sicherung eines fairen Wettkampfs und zur Wahrung des sportlichen Charakters des Kampfes. Der Ablauf der Kämpfe und deren Ergebnisse sind in der Regel verabredet und folgen einer langfristig angelegten Dramaturgie (vgl zu allem Bachmair/Kress, Hölleninszenierung „Wrestling”, 1996, S 13, 47, 77, 135, 143 sowie Ulrich/Möller, „Bei Catchers zu Hause”, ZEIT-Magazin Nr 43 vom 18. Oktober 1996, S 10 ff). Damit ist fraglich, ob auch bei einem großzügigen Verständnis noch von Sportausübung gesprochen werden kann, vergleichbar etwa dem Berufsboxen, und zwar selbst bei Betrachtung der Tatsache, daß Wrestling-Veranstaltungen hierzulande vor allem von Sportsendern übertragen werden.

Die im bisherigen Verfahren in den Vordergrund gestellte und vom LSG bejahte Frage, ob eine professionelle Tätigkeit wie das Catchen bzw das Wrestling als Sport angesehen werden muß, der grundsätzlich nicht vom KSVG erfaßt wird (BSG, Urteil vom 16. April 1998 - B 3 KR 7/97 R – zur Veröffentlichung bestimmt – zum Fallschirmspringen), kann aber offenbleiben, weil die vom Kläger begehrte Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG nicht schon dadurch zu begründen ist, daß das Berufsringen nicht als Sportausübung qualifiziert wird. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, daß von den Akteuren kein künstlerischer Anspruch geltend gemacht, ein solcher Anspruch von den Zuschauern auch nicht erwartet wird und sich deshalb keine Verkehrsauffassung feststellen läßt, die eine Zuordnung zu den Unterhaltungskünstlern auch nur im weiten Sinne von „Show-” oder Revuekünstlern erlauben würde.

Die Versicherungspflicht nach dem KSVG läßt sich auch nicht damit begründen, daß der Kläger als Artist eingestuft wird. Zwar mag es sich beim Berufsringen um Artistik im weiteren Sinne handeln. Jedoch wird nicht jede Form der Artistik vom KSVG erfaßt. Nach der Regelung des § 2 Abs 4 Nr 6 KSVGDV werden wohl Unterhaltungskünstler und Artisten allgemein dem Bereich der darstellenden Kunst zugeordnet, der Begriff des Artisten also nicht eingeschränkt (zB nur Varietéartist, Zirkusartist). Die Verordnung hat aber lediglich den Zweck, die verschiedenen künstlerischen und publizistischen Tätigkeiten den Bereichen Wort, bildende Kunst, Musik und darstellende Kunst zuzuordnen und so für Rechtssicherheit bei der Erhebung der Künstlersozialabgabe zu sorgen, die nach den vier Bereichen getrennt erhoben wird (vgl § 26 KSVG, § 1 KSVGDV). Die Verordnung hat aber nicht die Funktion, eigenständig die Begriffe der Kunst und Publizistik zu definieren, die dem KSVG zugrunde liegen; dafür fehlte dem Verordnungsgeber auch die Ermächtigungsgrundlage (BSG SozR 3-5425 § 2 Nr 1).

Die Einordnung von Artisten in der Künstlersozialversicherung richtet sich vielmehr – wie allgemein – nach den Voraussetzungen der §§ 1 und 2 KSVG. Die Begriffe Artistik, Artist und artistische Tätigkeiten werden im KSVG nicht besonders erwähnt, obwohl auch bestimmte Formen der Artistik vom Schutz des KSVG erfaßt werden sollten. Dabei handelt es sich um solche, die nach der Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung immer schon als „Kunst” angesehen worden sind. Zur „Kunst” zählt seit jeher die Artistik, die in Varietés (einschließlich Revuen) und Zirkussen dargeboten wird. Dieser Bereich läßt sich unter den Begriff der „Kleinkunst” einordnen, der zwar vor allem für das Kabarett verwendet wird, sich aber nicht darauf beschränkt (vgl Duden, Deutsches Universal-Wörterbuch, 2. Aufl 1989, Stichwort „Kleinkunst”). Artistik, die üblicherweise nicht (auch) in Varietés und Zirkussen dargeboten wird, ist nach herkömmlichem Verständnis dagegen nicht als „Kunst” anzusehen. Das betrifft zB jene Formen der Artistik, die – vor allem in früherer Zeit – auf Jahrmärkten, Rummelplätzen und Volksfesten gezeigt wurden, ihrer Art nach aber in Varietés oder Zirkussen nicht vorkamen.

Diese Unterscheidung entspricht auch heute noch dem Sprachgebrauch. Artistik ist die Varieté- und Zirkuskunst; Artisten sind die vor allem in Varietés und Zirkussen auftretenden Künstler wie zB Jongleure, Trapezkünstler, Seiltänzer, Zauberer, Magier, Dompteure, Akrobaten, Feuerschlucker, Entfesselungskünstler, Messerwerfer, Clowns, Rechenkünstler und Bauchredner (Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Aufl 1971; Brockhaus Enzyklopädie, 20. Aufl. 1996; Duden aaO; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1980, jeweils Stichwort „Artist”). Andere Formen der Vorführung von Kunstfertigkeiten und Geschicklichkeitsübungen fallen nicht darunter, obgleich es sich auch hier der Sache nach um artistische Darbietungen handelt (Artistik im weiteren Sinne, zB Steilwandfahrer, Jahrmarktsboxer, Rodeoreiter).

Die Einbeziehung lediglich der Varieté- und Zirkusartisten in den Schutzbereich der Künstlersozialversicherung ergibt sich auch aus der Gesetzesgeschichte. Die Künstlersozialversicherung umfaßt die gesetzliche Rentenversicherung (Rentenversicherung der Angestellten), die gesetzliche Krankenversicherung und seit dem 1. Januar 1995 auch die soziale Pflegeversicherung. Vor dem Inkrafttreten des KSVG (1. Januar 1983, § 61 KSVG) waren nach § 2 Abs 1 Nr 4 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) selbständige Artisten schon in der Rentenversicherung der Angestellten pflichtversichert. Ferner waren selbständige Artisten nach § 165a Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, der durch die Erste Verordnung zur Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts in der Sozialversicherung vom 17. März 1945 (RGBl I S 41) zu § 166 RVO geworden ist (§ 166 RVO nF), in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert (vgl § 165a Satz 1 Nr 3 RVO aF und § 166 Abs 1 Nr 3 RVO nF idF des Art 1 Nr 1 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Rentner vom 12. Juni 1956, BGBl I S 500). Diesen Vorschriften, die durch das Gesetz über die Versicherung der Artisten vom 13. Januar 1938 (RGBl I S 33) eingeführt worden waren, lag bereits der Begriff der Artistik iS der Varieté- und Zirkuskunst zugrunde. So bestimmte § 165a Satz 2 RVO aF (§ 166 Abs 2 RVO nF), daß selbständiger „Artist ist, wer Mitglied der Reichstheaterkammer, Fachschrift Artistik ist”. Nur Vertreter der in „Theatern” im weiteren Sinne betriebenen Artistik (Varieté, Revue, Zirkus) konnten aber Mitglied der Reichstheaterkammer sein. Von der in § 165a Satz 2 letzter Halbsatz RVO aF für den Präsidenten der Reichskulturkammer enthaltenen Ermächtigung, Abweichungen zu bestimmen, ist nicht Gebrauch gemacht worden. Mit der Auflösung der Reichstheaterkammer im Jahre 1945 ist die Vorschrift gegenstandslos geworden. Seitdem war für die Auslegung des Begriffs des Artisten allein noch die allgemeine Verkehrsauffassung maßgebend (Heinze, SGB/RVO-GesamtKomm, Stand Juli 1986, § 166 RVO Anm 5); sie beschränkte – wie zuvor gesetzlich – die Versicherungspflicht in der Renten- und Krankenversicherung auf die Varieté- und Zirkusartistik.

Ein weiterer Begriff der Artistik galt hingegen seit jeher im Bereich der Unfallversicherung. Nach § 539 Abs 1 Nr 3 RVO, der erst im Zuge der Reform des Unfallversicherungsrechts mit dem Inkrafttreten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 1. Januar 1997 gestrichen worden ist, waren Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die zur Schaustellung oder Vorführung künstlerischer oder artistischer Leistungen vertraglich verpflichtet sind. Erfaßt war hier jede Art der Schaustellung oder Vorführung artistischer Leistungen, so daß es auf die Unterscheidung zwischen Tätigkeiten in Varietés, Revuen und Zirkussen einerseits sowie auf Jahrmärkten, Rummelplätzen und Volksfesten andererseits nicht ankam (Reichsversicherungsamt ≪RVA≫ AN 29, 442; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II, S 472 o, p). Aufgrund der Einbeziehung aller Formen artistischer Leistungen, auch wenn sie nur eine Kunstfertigkeit einfacher Art erforderten, unterfielen ua auch Berufssportler, die in einem Schaustellerbetrieb mitwirkten (Steilwandfahrer, Gewichtheber, Boxer), dem Unfallversicherungsschutz (RVA EuM 26, 58; 27, 231; AN 32, 28; Brackmann, aaO, S 472 o).

Das KSVG hat bezüglich der selbständigen Artisten nur eine Nachfolgeregelung für die – gemäß § 49 Nr 1 und § 50 Nr 1 KSVG zum 31. Dezember 1982 aufgehobenen – §§ 166 Abs 1 Nr 3 RVO und 2 Abs 1 Nr 4 AVG getroffen, nicht aber für den Bereich der Unfallversicherung. Es kann daher nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber den nur dort verwendeten weiten Begriff der Artistik übernehmen wollte, der sich nicht auf die Varieté- und Zirkuskunst beschränkt.

Bestätigt wird diese Auslegung schließlich durch die Materialien zum KSVG. Darin heißt es, daß wegen des ständigen Wandels und der Unschärfe des Kunstbegriffs auf eine gesetzliche Definition zwar verzichtet werde, aber der Begriff der Kunst auf jeden Fall jene künstlerischen Tätigkeiten erfasse, mit denen sich der „Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)” aus dem Jahre 1975 (BT-Drucks 7/3071) beschäftigt. Auch dort sind Artisten als künstlerisch Tätige nur insoweit erwähnt, als sie in Varietés und Zirkussen auftreten (BT-Drucks 7/3031, S 39). Bei der Einstufung dieser Formen artistischer Tätigkeit als „künstlerisch” hat die Bundesregierung auf eine im Rahmen der Vorbereitung des Künstlerberichts durch das Institut für Projektstudien, Hamburg, durchgeführte repräsentative Umfrage zurückgreifen können, nach der 91 % der Befragten in Varietés und Zirkussen auftretende Artisten als künstlerisch tätige Personen bezeichnet haben, während nur 6 % diese Qualifizierung abgelehnt und 3 % keine Angaben dazu gemacht haben (Künstlerbericht Anhangtabelle 5a, BT-Drucks 7/3071, S 104). Aus der Beschränkung auf die in Varietés und Zirkussen ausgeübte Artistik erklärt sich schließlich auch der Umstand, daß im Katalog der der Künstlersozialabgabepflicht unterliegenden kunstvermarktenden Unternehmen im hier einschlägigen Bereich nur die Varieté- und Zirkusunternehmen (§ 24 Abs 1 Nr 8 KSVG) enthalten sind, auf Jahrmärkten und Volksfesten sowie in Sport- und Veranstaltungshallen auftretende Unternehmen mit Vorführungs- oder Schaustellungsbetrieb, in die auch Veranstalter von Catch- und Wrestlingturnieren eingereiht werden könnten, hingegen fehlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 542862

BSGE, 160

DStR 1999, 1669

NJW 2000, 2224

FA 1999, 275

NZA 1999, 756

AuA 1999, 86

SGb 1999, 128

Breith. 1999, 835

SozSi 1999, 300

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