Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahrung der Frist nach § 68 Satz 2 FGO

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Fristwahrung eines Antrags nach § 68 FGO ist maßgeblich, wann er bei Gericht eingeht. Insoweit ist die Vorschrift des § 47 Abs.2 FGO --Wahrung der Klagefrist durch Anbringung der Klage bei der zuständigen Behörde-- nicht anwendbar, auch nicht analog.

 

Normenkette

FGO § 47 Abs. 2, § 68 S. 2

 

Verfahrensgang

FG Münster (Dok.-Nr. 0550939; EFG 1999, 395 - Leitsatz)

 

Tatbestand

I. Im Anschluß an die im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens (auch bei einem anderen Unternehmen) getroffenen Feststellungen schloß sich der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) der Ansicht der Prüfer sowie des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (Steufa) an, der Kläger und Revisionskläger (Kläger) habe in den Jahren 1987 bis 1990 im eigenen Namen und auf eigene Rechnung nicht erklärte Kreditgeschäfte betrieben, und nahm gegenüber dem Kläger und seiner mit ihm zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehefrau, den Klägern, entsprechende Hinzuschätzungen vor.

Im Rahmen des wegen der Rechtmäßigkeit der Änderungsbescheide vom 19. Februar und 28. März 1996 beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahrens folgte das FA einem Erledigungsvorschlag des Berichterstatters, ermäßigte die Hinzuschätzungen für 1987, 1988 und 1990 und erließ am 10. Februar 1998 entsprechende Änderungsbescheide. In deren Rechtsbehelfsbelehrung ist jeweils außer auf die Möglichkeit des Einspruchs auch wie folgt auf diejenige des § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen:

"Sie können innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Bescheids beim

Finanzgericht beantragen (§ 68 der Finanzgerichtsordnung), diesen

Bescheid zum Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens zu machen; ein

Einspruch erübrigt sich dann. Wird weder Einspruch eingelegt noch der

Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung gestellt, wird mit Ablauf

der Rechtsmittelfrist Ihre Klage unzulässig."

Die mit einfacher Post übersandten Bescheide erklärte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 2. März 1998 zum Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens. Dieser an das FG gerichtete Schriftsatz ist --mit einfacher Post übersandt-- am 9. März 1998 beim FA eingegangen, von diesem mit Schreiben vom 18. März 1998 an das FG weitergeleitet worden und dort am 24. März 1998 eingetroffen. Vom Berichterstatter mit Schreiben vom 26. März 1998, das am 27. März 1998 zugegangen ist, auf die Möglichkeit verspäteter Antragstellung und ihrer Folgen hingewiesen, beantragte der Prozeßbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 9. April 1998 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, indem er vortrug: In einer Besprechung am 2. März 1998 habe man sich darauf geeinigt, den Antrag nach § 68 FGO zu stellen; dies habe er, der Prozeßbevollmächtigte, sofort erledigt und das Schreiben "einkuvertiert und frankiert". Der Kläger habe ein Duplikat erhalten, jedoch gebeten, ihm den Brief an das FG auszuhändigen, weil er vor dessen Absendung erst noch mit einem weiteren Berater habe sprechen wollen. Am 6. März 1998 habe er telefonisch vom Kläger erfahren, daß der an das FG gerichtete Brief zur Post gegangen sei, und dies im Postausgangsbuch vermerkt. - Am 9. März 1998 habe er, der Prozeßbevollmächtigte, auf Wunsch des Klägers "die zusätzlichen Ausfertigungen des Antrags dem Finanzamt eingereicht". Den Kläger treffe kein Verschulden daran, daß der Antrag "nach Auslieferung zur Post" verloren gegangen sei. Auf die dem Schriftsatz beigefügte Kopie des Postausgangsbuchs wird verwiesen.

Das FG hat die Klage wegen Einkommensteuer 1989 als unbegründet, im übrigen als unzulässig abgewiesen (s. die Veröffentlichung des Leitsatzes in Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1999, 395) und das Prozeßurteil wie folgt begründet: Als Bekanntgabetermin für die Änderungsbescheide gelte gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) der 13. Februar 1998. Die Frist des § 68 Satz 2 FGO sei folglich am 13. März 1998 abgelaufen, der Antrag bei Gericht jedoch erst am 24. März 1998 und damit verspätet eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO könne nicht gewährt werden, weil die Kläger nicht innerhalb der Antragsfrist die hierfür wesentlichen Tatsachen substantiiert und in sich schlüssig dargelegt hätten.

Mit der Revision rügen die Kläger fehlerhafte Anwendung der §§ 68, 47 Abs. 2 FGO: Die Antragsfrist sei gewahrt, weil das Anbringen beim FA ausreiche. In § 68 FGO sei nicht festgelegt, wo der Antrag zu stellen sei; darin liege eine Lücke. Diese müsse wegen Ähnlichkeit zur Klageerhebung bzw. zur Sprungklage nach § 45 FGO durch entsprechende Anwendung des § 47 Abs. 2 FGO geschlossen werden. - Im übrigen genügten auch die Darlegungen im Schriftsatz vom 9. April 1998 den Anforderungen des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO. Ergänzende Auskunft habe der Kläger persönlich in der mündlichen Verhandlung gegeben.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das FG die Klage hinsichtlich der Jahre 1987, 1988 und 1990 wegen Versäumung der Antragsfrist nach § 68 Satz 2 FGO als unzulässig abgewiesen und keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

1. Die Kläger haben die Antragsfrist des § 68 Satz 2 FGO nicht gewahrt.

Gemäß § 68 Satz 1 FGO wird, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt wird, dieser auf entsprechenden Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Ein solcher Antrag ist nach § 68 Satz 2 FGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsakts zu stellen. Hierauf ist in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen (§ 68 Satz 3 FGO).

a) Für die Fristwahrung kommt es darauf an, wann der Antrag bei Gericht eingeht.

aa) Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 68 FGO, aber aus dessen Stellung im Gesetz, dem Normzusammenhang und dem Sinn der Regelung. Es handelt sich nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen um eine rein prozeßrechtliche Norm; einziger Regelungsgegenstand ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen, mit welchen Modalitäten das Verfahren fortgeführt wird, wenn der Verfahrensgegenstand --der angefochtene Verwaltungsakt-- nach Klageerhebung geändert oder ersetzt wird. D.h. es geht um einen speziellen Fall der Klageänderung (s. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. November 1971 GrS 9/70, BFHE 103, 549, BStBl II 1972, 219, unter II. 2.; seither ständige Rechtsprechung). Eine ausschließlich prozessuale Funktion, nämlich die, für Klarheit über das weitere Verfahren zu sorgen, hat auch § 68 Satz 2 FGO (BTDrucks 12/1061, S. 15; BFH-Urteil vom 29. Oktober 1997 X R 37/95, BFHE 184, 232, BStBl II 1998, 266, unter 2. d). Wirksamkeitsvoraussetzung für die in der Antragstellung liegende Prozeßhandlung ist daher, daß sie dem Gericht zugegangen ist. Dort allein ist über Form und Inhalt der Erklärung zu befinden und vorrangig für die gebotene Klarheit der Prozeßlage zu sorgen.

bb) Aus dem gleichen Grund kommt es auch für die Wahrung anderer Handlungsfristen im finanzgerichtlichen Verfahren entscheidend darauf an, wann die ausstehende Handlung in der vorgeschriebenen Form dem Gericht gegenüber vorgenommen wird - so etwa für die Wahrung

- der nach § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO zur

Klageergänzung gesetzten Ausschlußfrist (BFH-Entscheidungen vom

26. Januar 1995 V B 63/94, BFH/NV 1995, 896; vom 2. Juli 1997

I R 82/96, 27-28/97, BFH/NV 1998, 175, 176, und vom 22. April

1998 XI R 31-32/97, BFH/NV 1998, 1245; vgl. auch Gräber,

Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 65 Rz. 12; Stöcker

in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 65 FGO Rz. 139)

oder

- der gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO zum Nachweis der Prozeßvollmacht

gesetzten Ausschlußfrist (BFH-Entscheidungen vom

30. Juli 1991 VIII B 88/89, BFHE 165, 22, BStBl II 1991, 848;

vom 17. Juni 1993 VI S 3/93, BFH/NV 1993, 618; vom

16. Dezember 1994 III B 24/94, BFH/NV 1995, 889; vom 23. Juli

1997 X R 125/96, BFH/NV 1998, 58, 59, und vom 26. März 1998

X B 149-151/97, BFH/NV 1998, 1487; Spindler in Hübschmann/

Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO

Rz. 114; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung,

§ 62 FGO Rz. 13).

In Übereinstimmung damit ist nur ein form- und fristgerecht bei Gericht eingegangener Antrag geeignet, eine Klageänderung nach § 68 Satz 1 FGO zu bewirken.

cc) Auf den Eingang des im Schriftsatz vom 2. März 1998 gestellten Antrags beim FA kommt es nicht an. Die Vorschrift des § 47 Abs. 2 FGO, wonach die Klagefrist (§ 47 Abs. 1 FGO) auch als gewahrt gilt, wenn die Klage innerhalb dieser Frist bei der Behörde angebracht wird, die den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung erlassen hat, greift nicht ein, auch nicht analog. Eine unmittelbare Anwendung scheitert schon am Wortlaut der beiden Vorschriften, eine entsprechende vor allem daran, daß § 68 FGO hinsichtlich der Frage, wo der Antrag mit fristwahrender Wirkung zu stellen ist, keine Lücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit (BFH-Urteile vom 21. Mai 1987 IV R 339/84, BFHE 150, 32, BStBl II 1987, 625, unter 3. a; vom 25. Juli 1995 VIII R 25/94, BFHE 178, 418, BStBl II 1996, 684; Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO 1977 Rz. 113, m.w.N.) enthält: Der erkennbare Regelungszweck der Norm verweist den Rechtsuchenden mit seiner auf Klageänderung zielenden Willensbekundung allein dorthin, wo das Verfahren, um das es geht, anhängig ist; einen vernünftigen Grund, eine solche Prozeßerklärung auch beim Prozeßgegner "anzubringen" oder "anbringen" zu dürfen, ist nicht ersichtlich, zumal auch für dessen Information --wie stets im laufenden Verfahren-- durch § 77 Abs. 1 Satz 4 FGO in ausreichender Weise gesorgt ist. Unabhängig davon steht die von vornherein begrenzte Bedeutung des § 47 Abs. 2 FGO seiner analogen Anwendung entgegen: Die Vorschrift gilt nach Wortlaut, Stellung und Zweck nur für die Klageerhebung, d.h. für den Beginn des Verfahrens. Die Funktion dieser Sonderregelung erschöpft sich darin, den Zugang zum Gericht zu erleichtern (s. BFH-Urteil vom 28. Februar 1978 VIII R 112/75, BFHE 124, 494, BStBl II 1978, 376); eine hierüber hinausweisende, vor allem auf fristgebundene Prozeßerklärungen nach Rechtshändigkeit übertragbare Aussage ist ihr nicht zu entnehmen. Deshalb ist für § 47 Abs. 2 FGO im Regelungsbereich des § 68 FGO kein Raum (ebenso zu § 68 FGO: Urteile des FG Münster vom 23. November 1993 6 K 3748/89 E, EFG 1994, 632; FG München vom 27. Februar 1998 8 K 226/96, EFG 1998, 1142; Becker/Bur, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1997, 715; Gräber, a.a.O., § 68 Rz. 22; List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 68 FGO Rz. 16; Stöcker in Beermann, a.a.O., § 68 FGO Rz. 21; zu § 67 FGO: List, in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 67 FGO Rz. 22; Stöcker in Beermann, a.a.O., § 67 FGO Rz. 45; zur Klageergänzung nach § 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO: BFH-Beschluß in BFH/NV 1995, 896; FG Hamburg, Urteil vom 10. September 1993 VII 5/93, EFG 1994, 160). Die Gegenmeinung (Urteile des FG Baden-Württemberg vom 27. Januar 1997 4 K 167/94, EFG 1997, 691, sowie FG des Saarlandes vom 12. September 1997 1 K 95/97, EFG 1998, 84, 85; Dumke in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 68 Rz. 20; Tipke/Kruse, a.a.O., § 68 FGO Rz. 13) zeigt weder eine Regelungslücke auf noch trägt sie dem zuvor dargelegten unterschiedlichen Rechtscharakter des § 68 FGO einerseits und des § 47 Abs. 2 FGO andererseits Rechnung. Auch der Hinweis auf eine "Sachnähe" zu § 45 FGO berücksichtigt nicht, daß es dort um einen speziellen Fall der Klageerhebung, also ebenfalls um den Prozeßbeginn, nicht wie bei § 68 FGO um die Modalitäten der Fortsetzung eines bereits anhängigen Verfahrens geht.

b) Dem FG ist auch darin beizupflichten, daß die Kläger die Frist für die Antragstellung versäumt haben. Die in den Änderungsbescheiden erteilte Rechtsbehelfsbelehrung war auch hinsichtlich der Adressierung des Antrags nach § 68 Satz 1 FGO eindeutig. Tatsächlich sind offenbar auch die Kläger und ihr Bevollmächtigter --zunächst jedenfalls-- davon ausgegangen, ein solcher Antrag müsse bei Gericht gestellt werden. Es galt also nicht etwa in Analogie zu § 356 Abs. 2 AO 1977 und § 55 Abs. 2 FGO (s. dazu: BFH-Urteile vom 24. Januar 1995 IX R 22/94, BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328; vom 17. April 1996 X R 98/95, BFH/NV 1996, 900, und vom 19. September 1997 VI R 273/94, BFH/NV 1998, 592; Gräber, a.a.O., § 68 Rz. 6) eine Jahresfrist, sondern die in § 68 Satz 2 FGO bestimmte Monatsfrist. Daß diese vom FG zutreffend berechnet und tatsächlich von den Klägern nicht eingehalten wurde, steht außer Streit.

2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO sind vom FG zutreffend verneint worden. Die --fachkundig vertretenen-- Kläger haben auch im Schriftsatz vom 9. April 1998 keine in sich schlüssige Erklärung für die Fristversäumung (s. dazu z.B. Senatsbeschluß vom 23. April 1998 X R 83/97, BFH/NV 1998, 1493, 1494, m.w.N.) gegeben. Auf den Vortrag in der mündlichen Verhandlung kommt es nicht an.

 

Fundstellen

Haufe-Index 154647

BFH/NV 1999, 1699

BStBl II 1999, 662

BFHE 189, 319

BFHE 2000, 319

BB 1999, 2124

DB 2000, 308

DStR 1999, 1692

DStRE 1999, 854

HFR 1999, 997

StE 1999, 612

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