Entscheidungsstichwort (Thema)

Bekanntgabe von Einkommensteuerbescheiden bei Nachlaßverwaltung - Bekanntgabe von Verwaltungsakten an Drittbetroffene

 

Leitsatz (amtlich)

Im Fall der Nachlaßverwaltung sind Einkommensteuerbescheide, denen mit Mitteln des Nachlasses erzielte Einkünfte zugrunde liegen, an die Erben zu richten und ihnen bekanntzugeben.

 

Orientierungssatz

1. Die Nachlaßverwaltung erzeugt Verwaltungsbeschränkungen und Verfügungsbeschränkungen; sie berührt aber nicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung, der nach dem Tode des Erblassers allein von den Erben verwirklicht wird. Die einkommensteuerrechtlichen Ansprüche richten sich daher (auch soweit sie aus Erträgen des Nachlaßvermögens resultieren) gegen die Erben, nicht gegen den Nachlaß (vgl. BFH-Rechtsprechung). Der Nachlaß selbst ist weder Einkommensteuersubjekt noch Körperschaftsteuersubjekt (vgl. Literatur).

2. Im Unterschied zum Nachlaßpfleger ist der Nachlaßverwalter nicht gesetzlicher Vertreter der Erben, so daß er nicht in dieser Eigenschaft Bekanntgabeempfänger von Einkommensteuerbescheiden, denen mit Mitteln des Nachlasses erzielte Einkünfte zugrunde liegen, sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 30.3.1982 VIII R 227/80). Die Bekanntgabe des Steuerbescheides an den Nachlaßverwalter als sog. Drittbetroffenen ist dann in Betracht zu ziehen, wenn das FA wegen der Einkommensteuerschuld, die als sog. Nachlaßerbenschuld (vgl. Literatur) qualifiziert werden kann, auf den Nachlaß zurückgreifen will.

3. Die unterlassene Bekanntgabe eines Verwaltungsakts an den Drittbetroffenen berührt nicht die Wirksamkeit des Verwaltungsakts gegenüber dem (materiell-rechtlichen) Adressaten (vgl. Literatur).

 

Normenkette

AO 1977 § 43 S. 1, § 122 Abs. 1 S. 1; EStG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1; BGB §§ 1975, 1967, 1984-1985; KStG 1977 § 1 Abs. 1 Nr. 5

 

Tatbestand

I. Die seinerzeit minderjährigen Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren zusammen mit ihrer Mutter Erben ihres am 1.Oktober 1974 verstorbenen Vaters. Über den Nachlaß des Vaters wurde Nachlaßverwaltung angeordnet. Zum Nachlaßverwalter war in den Streitjahren Rechtsanwalt G bestellt. Die Kläger bezogen neben den Einnahmen aus dem Nachlaß keine weiteren Einkünfte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Kläger für die aus dem Nachlaß stammenden (einheitlich und gesondert festgestellten) Einkünfte zur Einkommensteuer. Die Einkommensteuerbescheide waren adressiert an den jeweiligen Kläger mit dem Zusatz "zu Händen Frau P als gesetzliche Vertreterin". Während der jeweiligen Einspruchsverfahren erging eine Reihe von Änderungsbescheiden mit derselben Adressierung.

Einsprüche und Klagen hatten keinen Erfolg.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragen,

das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung und die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FA hat die angefochtenen Einkommensteuerbescheide zutreffend an die Kläger gerichtet.

a) Wer als Steuerschuldner (materiell-rechtlich) Adressat eines Steuerbescheides ist, bestimmt sich gemäß § 43 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nach den Steuergesetzen, im Streitfall nach dem Einkommensteuergesetz (EStG).

Gemäß § 1 Abs.1 EStG sind nur natürliche Personen einkommensteuerpflichtig. Gemäß § 2 Abs.1 EStG hat der die erzielten Einkünfte zu versteuern, der den Tatbestand verwirklicht, an den das EStG die Steuer knüpft. Im Streitfall haben die Kläger den Tatbestand der Einkünfteerzielung verwirklicht.

b) Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß über den Nachlaß des Erblassers Nachlaßverwaltung gemäß §§ 1975, 1984, 1985 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) angeordnet war.

Gemäß § 1984 Abs.1 BGB verliert der Erbe mit der Anordnung der Nachlaßverwaltung die Befugnis, den Nachlaß zu verwalten und über ihn zu verfügen. Ein Anspruch, der sich gegen den Nachlaß richtet, kann nur gegen den Nachlaßverwalter geltend gemacht werden. Nach § 1985 Abs.1 BGB hat der Nachlaßverwalter den Nachlaß zu verwalten und die Nachlaßverbindlichkeiten aus dem Nachlaß zu berichtigen.

Die Nachlaßverwaltung erzeugt Verwaltungs- und Verfügungsbeschränkungen; sie berührt aber nicht den Tatbestand der Einkünfteerzielung, der nach dem Tode des Erblassers allein von den Erben verwirklicht wird. Die einkommensteuerrechtlichen Ansprüche richten sich daher (auch soweit sie aus Erträgen des Nachlaßvermögens resultieren) gegen die Erben, nicht gegen den Nachlaß (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7.Oktober 1970 I R 145/68, BFHE 100, 346, BStBl II 1971, 119, und vom 16.Dezember 1977 III R 35/77, BFHE 124, 477, BStBl II 1978, 383; für den vergleichbaren Fall einer Testamentsvollstreckung vgl. §§ 2205, 2211 BGB und ferner die BFH-Urteile vom 29.August 1973 I R 242/71, BFHE 110, 514, BStBl II 1974, 100, und vom 16.April 1980 VII R 81/79, BFHE 131, 2, BStBl II 1980, 605). Der Nachlaß selbst ist weder Einkommensteuer- noch Körperschaftsteuersubjekt (vgl. § 1 Abs.1 EStG, § 1 Abs.1 Nr.5 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG--, und dazu Blümich, Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, 14.Aufl., Stand: Juli 1990, § 1 KStG, Rdnr.72).

c) Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des I.Senats vom 9.Februar 1977 I R 60-68/73 (BFHE 121, 381, BStBl II 1977, 428). In diesem Fall war streitig, wer den Rechtsstreit bezüglich eines gegen den Erblasser ergangenen Steuerbescheides zu führen hatte. Hier war der Nachlaßverwalter Prozeßsubjekt; er konnte kraft seines Amtes den Rechtsstreit mit Wirkung für und gegen den Nachlaß führen. Im Streitfall dagegen ist allein zu entscheiden, an wen Einkommensteuerbescheide für von den Erben selbst erzielte Einkünfte zu richten sind.

2. Die Bescheide waren der Mutter der Kläger als deren gesetzliche Vertreterin gemäß § 122 Abs.1 Satz 1 AO 1977 bekanntzugeben. Im Unterschied zum Nachlaßpfleger ist der Nachlaßverwalter nicht gesetzlicher Vertreter der Erben, so daß er nicht in dieser Eigenschaft Bekanntgabeempfänger sein kann (vgl. BFH- Urteil vom 30.März 1982 VIII R 227/80, BFHE 135, 406, BStBl II 1982, 687). Ob daneben die Bescheide dem Nachlaßverwalter als sog. Drittbetroffenem bekanntgegeben werden konnten, kann dahinstehen. Die unterlassene Bekanntgabe an den Drittbetroffenen berührt nicht die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes gegenüber dem (materiell-rechtlichen) Adressaten (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl. § 122 AO 1977 Tz.9 --Stand Juni 1986--). Die (vollständige oder ggfs. auch teilweise) Bekanntgabe des Steuerbescheides an den Nachlaßverwalter ist dann in Betracht zu ziehen, wenn das FA wegen der Einkommensteuerschuld, die als sog. Nachlaßerbenschuld (vgl. Palandt/ Edenhofer, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 50.Aufl. 1991, § 1967 Rdnr.8, 9; Siegmann in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2.Aufl., 1989, § 1967 Rdnr.26 ff., 57 ff.) qualifiziert werden kann, (auch oder ausschließlich) auf den Nachlaß zurückgreifen will.

 

Fundstellen

Haufe-Index 63974

BFH/NV 1991, 67

BStBl II 1991, 820

BFHE 164, 546

BFHE 1992, 546

BB 1991, 2071

BB 1991, 2071 (LT)

DB 1991, 2170 (LT)

DStR 1991, 1313 (KT)

HFR 1991, 696 (LT)

StE 1991, 340 (K)

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