Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingangsstempel - Beweiswert

 

Leitsatz (NV)

Zum Beweiswert des Eingangsstempels des FA für den Eingang eines Schriftstücks im PKH-Verfahren.

 

Normenkette

AO 1977 § 46 Abs. 6; FGO §§ 96, 142 Abs. 1; ZPO §§ 114, 418 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Beklagte (das Hauptzollamt - HZA -) pfändete aufgrund eines Vollstreckungsersuchens des Arbeitsamtes mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung (angegebenes Datum 2. Januar 1985) beim Finanzamt (FA) den Erstattungsanspruch der Antragstellerin, Klägerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich 1984 bzw. der ,,Einkommensteuerveranlagung 1983/84" einschließlich der Rechte auf Herausgabe der Lohnsteuerkarte 1984. Der Entwurf der Pfändungs- und Einziehungsverfügung trägt rechts oben maschinenschriftlich die Datumsangaben ,,2. Januar 1985" und darunter ,,19. Dezember 1984". Die untere Datumsangabe ist mehrmals mit dem Großbuchstaben X übertippt. Außerdem trägt die Verfügung den Eingangsstempel des FA vom 28. Dezember 1984.

Mit der nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobenen Klage, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat, macht die Antragstellerin geltend, die Pfändungsverfügung sei bereits am 19. Dezember 1984 erlassen worden und deshalb gemäß § 46 Abs. 6 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nichtig. Die gepfändete Forderung sei auch seit längerer Zeit abgetreten worden; HZA und FA hätten die Abtretungen bisher in vollem Umfang anerkannt. Die Antragstellerin hat beantragt, ihr für das Klageverfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren.

Das FG hat den Antrag auf PKH abgelehnt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Das FG hat es zu Recht abgelehnt, der Antragstellerin PKH für das bei ihm anhängige Klageverfahren zu bewilligen. Die Klage der Antragstellerin gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des HZA hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO -); denn die Wahrscheinlichkeit, daß die angefochtene Pfändung unwirksam sein könnte, ist - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - äußerst gering.

1. a) Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des HZA wäre gemäß § 46 Abs. 6 Sätze 1 und 2 AO 1977 nichtig, wenn sie entgegen dem gesetzlichen Verbot vor Entstehung des gepfändeten Steuererstattungsanspruchs der Antragstellerin aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich 1984 - d. h. vor dem Ablauf des Jahres 1984 - erwirkt worden wäre. Das FG hat entsprechend dem Vorbringen des HZA angenommen, daß die Pfändungs- und Einziehungsverfügung zwar am 19. Dezember 1984 vorbereitet und mit dem damaligen Datum versehen worden ist, sie aber erst am 2. Januar 1985 nach Streichung des alten und Einsetzen des neuen Datums vom zuständigen Beamten, Zolloberinspektor F, unterschrieben und in dessen Auftrag von der Verwaltungsangestellten E am 2. Januar 1985 gegen 8 Uhr der Posteingangsstelle des FA (Drittschuldner) übergeben worden ist. Für die Richtigkeit dieser - vom HZA auch im Beschwerdeverfahren aufrechterhaltenen - Sachdarstellung spricht neben der aus dem Entwurf der Pfändungs- und Einziehungsverfügung ersichtlichen Datumsänderung die schriftliche Bestätigung des Zolloberinspektors F, der neben der HZA-Angestellten E hierfür als Zeuge benannt worden ist, vom 27. März 1985 gegenüber dem FA. Der Senat hält das vom FG in freier Beweiswürdigung (§ 96 Abs. 1 FGO) gewonnene Ergebnis, daß der Erstattungsanspruch der Antragstellerin nicht vor seiner Entstehung gepfändet worden ist, für möglich. Die hiergegen von der Beschwerde erhobenen Einwendungen greifen nicht durch; sie bewegen sich vielmehr weitgehend in einem spekulativen Bereich.

b) Zwar trägt die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des HZA den Eingangsstempel des FA vom 28. Dezember 1984. Hieraus ergibt sich aber für das vorliegende PKH-Verfahren kein Beweis dafür, daß die Pfändung vor Ablauf des Jahres 1984 erwirkt worden ist.

Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob, wie der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem Urteil vom 17. Oktober 1972 VIII R 36-37/69 (BFHE 108, 141, BStBl II 1973, 271) entschieden hat, der Eingangsstempel des FA als öffentliche Urkunde gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsache, d. h., des Eingangs des Schriftstücks beim FA an dem im Eingangsstempel angegebenen Tag erbringt mit der Maßgabe, daß diese gesetzliche Beweisvermutung nicht widerlegt ist (§ 418 Abs. 2 ZPO), solange nicht die Möglichkeit beseitigt ist, daß der Inhalt des Eingangsstempels richtig ist (offengelassen in BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 66/75, BFHE 119, 368, BStBl II 1976, 680). Auch wenn man mit einer weit verbreiteten Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. BFH-Urteil vom 7. Mai 1969 I R 68/67, BFHE 95, 395, BStBl II 1969, 444; Friederich, Betriebs-Berater - BB - 1985, 113 m. w. N.) davon ausgeht, daß die formalen Vorschriften der ZPO über den Urkundenbeweis im finanzgerichtlichen Verfahren wegen ihrer Nichterwähnung in § 82 FGO nicht anwendbar sind, bleibt es doch dabei, daß dem Eingangsstempel des FA im Rahmen freier Beweiswürdigung ein hoher Beweiswert beizumessen ist (Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 82 Rdnr. 40; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 108 AO 1977 Tz. 11). Es ist dann aus revisionsrichterlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn die Tatsacheninstanz solange von der Richtigkeit der durch den Eingangsstempel bekundeten Tatsache des Eingangs eines Schriftstücks an einem bestimmten Tag ausgeht, als kein Sachverhalt dargetan und wenigstens glaubhaft gemacht ist, der es nach der freien Überzeugung des Gerichts als wahrscheinlich erscheinen läßt, daß der Eingangsstempel sachlich unrichtig ist (BFH-Urteil vom 14. März 1985 IV R 216/84, BFH / NV 1987, 17). Folgt man der letztgenannten Ansicht, wonach der Eingangsstempel im Rahmen der freien Beweiswürdigung lediglich als ein Beweisfaktor zu berücksichtigen ist, so erscheint es verständlich, daß das FG ihm im Streitfall keinen entscheidenden Beweiswert zugebilligt hat. Gegen die Richtigkeit des Eingangsstempels (28. Dezember 1984) spricht die Sachdarstellung des HZA und die schriftliche Bekundung des benannten Zeugen, Zolloberinspektor F, daß die Pfändungs- und Einziehungsverfügung erst am 2. Januar 1985 der Posteingangsstelle des FA übergeben worden ist. Außerdem hat das FA auf eine entsprechende Anfrage des Vorsitzenden des FG-Senats in seinem Schreiben vom 2. Mai 1986 an das FG ausgeführt, es erscheine durchaus glaubhaft, daß die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des HZA am 2. Januar 1985 dem zuständigen Beamten seiner Posteingangsstelle persönlich übergeben worden sei und dieser es versehentlich unterlassen habe, den Eingangsstempel auf dieses Datum einzustellen und das übergebene Schriftstück mit dem zutreffenden Eingangsstempel zu versehen. Im Hinblick darauf, daß der auf der Verfügung angebrachte Eingangsstempel das Datum des letzten Arbeitstages vor dem 2. Januar 1985 - (Freitag) den 28. Dezember 1984 - ausweist, erscheint die den Ausführungen des HZA und des FA entsprechende Beweiswürdigung des FG zumindest möglich (§ 118 Abs. 2 FGO). Sie berücksichtigt alle wesentlichen Umstände und ist frei von Verstößen gegen Denkgesetze und gegen Regeln der allgemeinen Lebenserfahrung.

Unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung, daß der Eingangsstempel des FA gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der Richtigkeit des darin angegebenen Datums erbringt, könnte dagegen im Klageverfahren der nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis für den Streitfall wohl nur durch die förmlichen Zeugenaussagen der Bediensteten geführt werden, die vom HZA für den Zeitpunkt der Ausfertigung und Übergabe der Pfändungs- und Einziehungsverfügung an das FA benannt worden sind. Das FG konnte aber im vorliegenden PKH-Verfahren auf die Zeugenvernehmung verzichten (§ 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 118 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Da in diesem Verfahren keine abschließende Sachentscheidung ergeht, sondern nur die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu beurteilen sind, genügte es, daß das FG eigene Erhebungen anstellte - hier Einholung einer Auskunft vom FA - (§ 118 Abs. 2 Satz 2 FGO) und auf dieser Grundlage ergänzt durch die Sachdarstellung des HZA und die schriftliche Bekundung des als Zeugen benannten Zolloberinspektors F sich ein Urteil über die Richtigkeit der durch den Eingangsstempel bezeugten Tatsache bildete, das - wie oben ausgeführt - nicht zu beanstanden ist.

2. Die Pfändung des Steuererstattungsanspruchs der Antragstellerin aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich 1984 ist auch nicht deshalb unwirksam, weil dieser Anspruch zuvor von ihr abgetreten worden wäre. Nach § 46 Abs. 2 AO 1977 wird die Abtretung von Steuererstattungsansprüchen erst wirksam, wenn sie der Gläubiger in der nach Abs. 3 vorgeschriebenen Form der zuständigen Finanzbehörde nach Entstehung des Anspruchs anzeigt. Daraus folgt, daß die Abtretung des Erstattungsanspruchs eines jeden Jahres nach dessen Ablauf gesondert dem FA angezeigt werden muß. Eine Abtretungsanzeige für den Erstattungsanspruch aus dem Jahre 1984 liegt - wie sich aus den Ausführungen des FG ergibt - nicht vor. Da die Abtretung des Erstattungsanspruchs für jedes Kalenderjahr gesondert zu betrachten ist, kann sich die Antragstellerin nicht darauf berufen, daß das FA in den Vorjahren die Abtretungen stets anerkannt habe. Die Antragstellerin hat zwar im Beschwerdeverfahren generell vorgetragen, die Abtretungen (gemeint sind wohl die Abtretungsanzeigen) seien stets am 1. Januar eines Jahres in den Briefkasten des FA eingeworfen worden. Sie hat dies aber für den hier streitigen Erstattungsanspruch 1984 weder glaubhaft gemacht noch näher substantiiert. Das FA hat demgegenüber in seiner Drittschuldnererklärung vom 7. Januar 1985 dem HZA mitgeteilt, daß andere Personen keine Ansprüche auf den gepfändeten Erstattungsbetrag erhöben. Das FG ist somit mit Recht davon ausgegangen, daß die angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung des HZA wirksam ist und die dagegen erhobene Klage der Antragstellerin keine Aussicht auf Erfolg hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417044

BFH/NV 1990, 788

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