Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Wirkung der Zulassung auf bereits eingelegte Revision; Versäumung der Revisionsfrist nach Zulassung der Revision durch den BFH

 

Leitsatz (NV)

1. Eine bei Einlegung unzulässige Revision wird durch die nachträgliche Revisionszulassung nicht zulässig. Über sie kann allerdings mit einer späteren zulässigen Revision einheitlich zu entscheiden sein; insoweit "wächst die unzulässige Revision in die Zulässigkeit hinein".

2. Wird trotz richtiger und zutreffender Rechtsmittelbelehrung im FG-Urteil wegen Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorschriften die Frist für die Einlegung der Revision versäumt, ist dieses Versäumnis in der Regel nicht unverschuldet.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1, § 115 Abs. 1-2; BFHEntlG Art. 1 Nr. 5

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wandten sich nach erfolglosem Vorverfahren mit der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1990. Sie machten geltend, der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) habe zu Unrecht ihre Aufwendungen für die Beschäftigung einer Haushaltshilfe in Höhe von 28 729 DM nicht berücksichtigt. Diese seien -- auch wenn in ihrem Haushalt nur ein Kind lebe -- in Höhe von 12 000 DM als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und im übrigen nach § 33 c EStG abziehbar.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Kläger mit Urteil vom 7. September 1993 ab. Die Revision ließ das FG nicht zu. Das Urteil wurde den Klägern am 23. September 1993 zugestellt. Gegen das Urteil legten die Kläger durch ihren Prozeßbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 14. Oktober 1993 "Revision" ein, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts (§ 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG) rügten. Auf einen telefonischen Hinweis durch das FG, daß die Revision im Urteil nicht zugelassen sei und deshalb Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden müsse, erhoben die Kläger mit Schriftsatz vom 18. Oktober 1993 "anstelle der eingelegten Revision ... Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision". Zu deren Begründung nahm der Prozeßbevollmächtigte der Kläger auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 14. Oktober 1993 Bezug.

Das FG hat am 27. Oktober 1993 beschlossen, der Beschwerde nicht abzuhelfen und sie dem Bundesfinanzhof (BFH) zur Entscheidung vorgelegt.

Der erkennende Senat ging aufgrund des Schreibens des Prozeßbevollmächtigten vom 18. Oktober 1993 zugunsten der Kläger davon aus, daß nur das statthafte Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt sei. Mit Beschluß vom 12. September 1994 wurde die Revision zugelassen. Der Beschluß wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 29. September 1994 zugestellt. Die Kläger haben danach keine Revision eingelegt.

Auf eine entsprechende Mitteilung des FG erklärten die Kläger am 1. Februar 1995, sie hätten bereits mit Schriftsatz vom 14. Oktober 1993 rechtzeitig Revision eingelegt. Diese sei zwar zunächst unzulässig gewesen. Da diese Revision jedoch weder vom BFH verworfen noch von den Klägern formell zurückgenommen worden sei, sei sie noch anhängig und durch den Zulassungsbeschluß zulässig geworden. Ihr Prozeßbevollmächtigter habe sich nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses keine Frist notiert, weil die bereits eingelegte Revision nicht zurückgenommen worden sei und der BFH über das Schicksal der bereits eingelegten Revision keine Entscheidung getroffen habe.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung weiterer Sonderausgaben in Höhe von 12 000 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat. Ohne Zulassung durch das FG oder durch den BFH ist die Revision daher nur zulässig, wenn wesentliche Verfahrensmängel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO gerügt werden.

Eine zunächst eingelegte, jedoch unzulässige Revision wird durch Zulassung der Revision nicht zulässig. Bei einer ohne Zulassung durch das FG oder den BFH eingelegten Revision geht es allein um die Frage, ob die eingelegte Revision zulässig ist. Die Entscheidung dieser Frage richtet sich nur nach § 116 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde betrifft dagegen lediglich die Frage, ob eine Revision nach § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist. Eine bei Einlegung unzulässige Revision wird deshalb durch die Zulassung einer Revision nicht nachträglich zulässig (BFH-Beschluß vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638). Wird allerdings nach Zulassung der Revision erneut form- und fristgerecht Revision eingelegt, handelt es sich um das nämliche Rechtsmittel, über das das Revisionsgericht einheitlich zu entscheiden hat. Steht fest, daß die Revisionsinstanz durch eine der beiden Revisionen ordnungsgemäß eröffnet ist, kommt es auf die Zulässigkeit der anderen nicht mehr an (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1991 VIII R 52/90, BFH/NV 1992, 323), d. h., im Ergebnis wächst die unzulässige Revision in die Zulässigkeit hinein (BFH-Urteil vom 16. Oktober 1991 I R 95/90 und I R 96/90, BFH/NV 1992, 326).

Die Erklärung der Kläger, anstelle der eingelegten Revision Nichtzulassungsbeschwerde einlegen zu wollen, kann zwar auch als Rücknahme der Revision verstanden werden. Der Senat geht mit den Klägern jedoch davon aus, daß erkennbar nicht die Rücknahme der Revision gewollt war, die Kläger vielmehr die eingelegte Revision nicht zurücknehmen, sondern zusätzlich zu der Revision auch Nichtzulassungsbeschwerde einlegen wollten. Denn die mit der Kostenfolge des § 136 Abs. 2 FGO verbundene Rücknahme entsprach angesichts der Möglichkeit, daß die unzulässige Revision ggf. nach Zulassung der Revision mit der dann noch form- und fristgerecht einzulegenden Revision zusammen -- ohne zusätzliche Kosten -- als einheitliches Rechtsmittel behandelt und beschieden werden konnte, offensichtlich nicht dem auf eine Revisionsentscheidung gerichteten und mit der Nichtzulassungsbeschwerde erkennbar verfolgten Interesse der Kläger.

Die Revision ist jedoch unzulässig. Die Kläger haben mit der Revision keine Verfahrensmängel geltend gemacht. Sie haben nach Zulassung der Revision keine den Anforderungen des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO entsprechende Revision eingelegt. Dies ist jedoch Voraussetzung dafür, daß eine unzulässige Revision in die Zulässigkeit hineinwächst (BFH in BFH/NV 1992, 326).

Offenbleiben kann, ob der vier Monate nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses (29. September 1994) am 2. Februar 1995 beim FG eingegangene Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten der Kläger als erneute Revision ausgelegt werden könnte. Diese wäre jedenfalls verspätet; Gründe für eine Wiedereinsetzung (§ 56 FGO) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Nach dem Urteil des BFH vom 10. August 1977 II R 89/77 (BFHE 123, 14, BStBl II 1977, 769) muß von einem Rechtsanwalt (Prozeßbevollmächtigten) erwartet und diesem zugemutet werden, nach Zustellung des seiner Nichtzulassungsbeschwerde stattgebenden Beschlusses die dann gegebene verfahrensrechtliche Lage sorgfältig zu prüfen. In den Fällen der Fristversäumis nach Zulassung der Revision durch den BFH oder das FG ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH das Versäumnis nicht unverschuldet (BFH-Entscheidungen in BFHE 123, 14, BStBl II 1977, 769, und vom 9. April 1991 V R 88/90, BFH/NV 1991, 760), sofern -- wie im Streitfall -- die im FG-Urteil enthaltene Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich des Beginns und der Dauer der Revisionseinlegungsfrist eindeutig ist. Für das Verschulden ist ohne Bedeutung, wenn im Begleitschreiben zur Zustellung des Zulassungsbeschlusses nicht noch einmal auf die Regelungen der §§ 120 Abs. 1 Satz 1, 115 Abs. 5 letzter Satz FGO hingewiesen worden ist (BFH in BFH/NV 1991, 760 m. w. N.). Denn die Rechtsmittelbelehrung des FG ist maßgeblich und ausreichend. Eine unter Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorschriften und der im Urteil des FG enthaltenen zutreffenden Rechtsmittelbelehrung eingetretene Versäumung der Revisionsfrist ist deshalb grundsätzlich unentschuldbar und eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen. Die Kläger müßten sich das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420663

BFH/NV 1995, 997

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