Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitwirkung des abgelehnten Richters bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch als Grund für die Ablehnung sämtlicher Richter des Senats

 

Leitsatz (NV)

1. Die Ablehnung eines ganzen Spruchkörpers oder sämtlicher Berufsrichter eines Senats wegen Befangenheit ist nicht rechtsmißbräuchlich, wenn dies im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Entscheidung dieses Richterkollegiums geschieht.

2. Ein Ablehnungsgesuch, das auf Verfahrensfehler des Gerichts bei der Entscheidung über ein vorangegangenes Ablehnungsgesuch gestützt wird, ist nur dann begründet, wenn Umstände dargetan werden, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung der Richter gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht. Die bloße Mitwirkung des abgelehnten Richters bei der Entscheidung über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch begründet selbst dann keine Besorgnis der Befangenheit, wenn sie nicht zulässig war.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2, § 45 Abs. 1, § 47

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhoben mehrere Klagen, über die noch nicht entschieden ist.

Die Kläger lehnten den Berichterstatter des Finanzgerichts (FG), Richter am FG A, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das FG wies das Ablehnungsgesuch mit Beschluß vom 30. Juni 1993 unter Mitwirkung der Richter am FG A und B sowie des Vorsitzenden Richters C als unzulässig zurück. Wegen der dieses Ablehnungsgesuch betreffenden Einzelheiten wird auf den Beschluß vom selben Tage IV B 79/93 verwiesen, mit dem der erkennende Senat die gegen den erwähnten Beschluß des FG gerichtete Beschwerde der Kläger als unbegründet zurückgewiesen hat.

Die Kläger lehnten in Zusammenhang mit der erwähnten Beschwerde nunmehr sämtliche Mitglieder des Senats mit der Begründung wegen Besorgnis der Befangenheit ab, diese hätten unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch entschieden; das sei nach § 45 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht zulässig.

Das FG wies diese Ablehnungsgesuche mit Beschluß vom 2. August 1993 -- ohne Einholung von dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter und unter deren Mitwirkung -- als unzulässig zurück.

Gegen diesen Beschluß haben die Kläger Beschwerde eingelegt und sinngemäß beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Ablehnungsgesuchen stattzugeben.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das FG hat die Ablehnungsgesuche im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

Die Ablehnungsgesuche sind jedenfalls unbegründet.

Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO findet eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --, z. B. Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).

a) Das Ablehnungsgesuch muß sich grundsätzlich auf bestimmte Richter beziehen. Wegen Rechtsmißbrauchs ist es im allgemeinen unzulässig, pauschal den ganzen Spruchkörper oder alle Berufsrichter eines Spruchkörpers ohne Angabe ernstlicher Gründe in der Person des einzelnen Richters abzulehnen (z. B. BFH-Beschluß vom 30. Juni 1989 VIII B 86/88, BFH/NV 1990, 175). Dies gilt indes nicht, wenn alle Mitglieder eines Spruchkörpers wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden; ein Mißbrauch des Ablehnungsrechts durch Ablehnung des gesamten Spruchkörpers liegt beim Anknüpfen an eine von diesem getroffene Entscheidung daher nur vor, wenn das Gesuch gar nicht oder nur mit Umständen begründet wird, welche die Besorgnis der Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können (BFH-Beschluß vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112 m. w. N.).

b) Der Senat kann offenlassen, ob die Ablehnungsgesuche nach diesen Grundsätzen unter Berücksichtigung der vorgebrachten Gründe zulässig sind.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH können unrichtige Rechtsansichten und Verfahrensverstöße grundsätzlich nicht als Grund für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit anerkannt werden (Beschlüsse in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308). Rechts- oder Verfahrensfehler können nur dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, da die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der abgelehnten Partei oder auf Willkür beruht; die Fehlerhaftigkeit muß dabei ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (z. B. BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 112, 113 m. w. N.).

Im Streitfall haben die Kläger solche Umstände nicht dargetan. Es kann unentschieden bleiben, ob die Mitwirkung des Richters am FG A an dem Beschluß vom 30. Juni 1993 gegen §§ 45 Abs. 1, 47 ZPO verstieß. Die Mitwirkung eines abgelehnten Richters bei der Entscheidung über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch ist nach der Rechtsprechung des BFH bei unzulässigen Gesuchen nicht schlechthin ausgeschlossen. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf seine Ausführungen in dem Beschluß vom selben Tage IV B 79/93, BFH/NV 1994, 877 (unter 2. a). Unter diesen Umständen sind -- selbst bei Annahme eines Verfahrensfehlers -- keine Anhaltspunkte ersichtlich, die auf eine unsachliche Einstellung der Richter gegenüber den Klägern schließen ließ.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419791

BFH/NV 1995, 33

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