Leitsatz (amtlich)

Für die Stellung des Antrags auf Beiladung eines Dritten nach § 174 Abs.5 AO 1977 ist das beklagte FA zuständig.

 

Orientierungssatz

NV: Durch einen gerichtlichen Eingangsstempel wird der Beweis dafür begründet, daß ein Schriftsatz an dem in ihm angegebenen Tag eingegangen ist, der jedoch durch Gegenbeweis, der die volle Überzeugung des Gerichts von der Rechtzeitigkeit der Prozeßhandlung erfordert, entkräftet werden kann (vgl. BGH-Urteil vom 22.6.1988 VIII ZR 8/86).

 

Normenkette

AO 1977 § 174 Abs. 5; FGO § 81

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin ist eine GmbH. Sie ist auf Antrag des Finanzamts (FA) W in dem Rechtsstreit der Autohaus A KG in W gegen das FA W (Finanzgericht --FG-- Nürnberg VI 365/82) durch Beschluß des FG vom 3.November 1987 zum Verfahren beigeladen worden.

Das FG begründete diesen Beschluß wie folgt: Im anhängigen Klageverfahren sei die steuerliche Anerkennung der Vereinbarungen streitig, die zwischen der Klägerin und der Beigeladenen getroffen worden seien. Im Falle der Anerkennung dieser Vereinbarungen ergäben sich auch für die Beigeladene steuerliche Folgen. Damit das FA gegenüber der Beigeladenen die richtigen steuerlichen Folgerungen ziehen könne, werde diese gemäß § 174 Abs.5 Satz 1 und 2 der Abgabenordnung (AO 1977) antragsgemäß zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene erhalte dadurch dieselbe Rechtsstellung wie im Fall der notwendigen Beiladung (§ 60 Abs.6 Sätze 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

++/ Der Beiladungsbeschluß wurde der Beschwerdeführerin am 17.November 1987 zugestellt. Sie legte mit Schriftsatz vom 30.November 1987 gegen diesen Beschluß Beschwerde ein. Dieser Schriftsatz trägt den Eingangsstempel des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2.Dezember 1987 mit folgendem zusätzlichen Vermerk: "Dem Nachtbriefkasten heute entnommen aus dem Behältnis N (nach 24 Uhr) Störungen am Nachtbriefkasten wurden nicht festgestellt. Bundesfinanzhof München, den 02.Dez.1987". Der Vermerk ist von zwei Bediensteten des BFH unterschrieben.

Nachdem das FG der Beschwerde nicht abgeholfen hatte, ist die Beschwerdeführerin mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 23.Dezember 1987 darauf hingewiesen worden, daß die Beschwerdefrist am 1.Dezember 1987 abgelaufen, die Beschwerde jedoch erst am 2.Dezember 1987 eingegangen sei.

Die Beschwerdeführerin hat daraufhin vorgetragen, der BFH gehe von einem falschen Eingangsdatum aus. Zur Stützung dieser Ansicht legte sie zwei eidesstattliche Versicherungen vor, aus denen sich ergibt, daß ihr Prozeßbevollmächtigter die Beschwerdeschrift am 1.Dezember 1987 gegen 18.15 Uhr in den Nachtbriefkasten des BFH eingeworfen habe.

Auf Anfrage hat der Präsident des BFH mitgeteilt, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß im Zusammenhang mit Handwerksarbeiten, die in der Nähe des Nachtbriefkastens des BFH ausgeführt wurden, Erschütterungen aufgetreten seien, die bewirkt haben könnten, daß am 1.Dezember 1987 die Klappe des Nachtbriefkastens bereits vor 24 Uhr gefallen und dadurch am 1.Dezember 1987 vor 24 Uhr eingeworfene Post in das Fach gelangen konnte, das zur Aufnahme der nach 24 Uhr eingeworfenen Post bestimmt sei. /++

Der Beigeladene beantragt,

den Beiladungsbeschluß aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

++/ Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist rechtzeitig eingegangen. Der erkennende Senat ist der Überzeugung, daß die Beschwerdeschrift entgegen dem auf ihr angebrachten Eingangsstempel am 1.Dezember 1987 beim BFH eingegangen ist.

Zwar wird durch einen gerichtlichen Eingangsstempel der Beweis dafür begründet, daß ein Schriftsatz an dem in ihm angegebenen Tag eingegangen ist. Dieser Beweis kann jedoch durch Gegenbeweis entkräftet werden, der die volle Überzeugung des Gerichts von der Rechtzeitigkeit der Prozeßhandlung erfordert (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 22.Juni 1988 VIII ZR 8/86, Versicherungsrecht 1988, 1140). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall aufgrund der abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen und der nicht auszuschließenden Störungen im Betrieb des Nachtbriefkastens des BFH am 1.Dezember 1987 gegeben. /++

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Nach § 174 Abs.5 AO 1977 treten die in Absatz 4 der Vorschrift vorgesehenen Rechtsfolgen Dritten gegenüber nur ein, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren. Zu diesem Zweck wird in § 174 Abs.5 Satz 2 AO 1977 bestimmt, daß die Hinzuziehung oder Beiladung des Dritten in diesem Verfahren zulässig ist. Allerdings ist eine solche Beiladung nur zulässig, wenn das FA sie beantragt oder veranlaßt hat (BFH-Beschluß vom 27.Januar 1982 VII B 141/81, BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239).

Entgegen der Ansicht des Beigeladenen ist das beklagte FA für die Stellung eines solchen Antrags zuständig.

Das ergibt sich bereits aus dem Beschluß in BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239. Der VII.Senat hat dort u.a. ausgeführt: "Aus dem Gesamtzusammenhang, in den § 174 Abs.4 und 5 AO 1977 gestellt ist, folgt, daß die Ermessensausübung bei der Hinzuziehung oder Beiladung Dritter allein in den Händen der Steuerbehörde liegt. ... Solange das vom Steuerpflichtigen betriebene Rechtsbehelfsverfahren oder sonstige Antragsverfahren noch bei der Steuerbehörde schwebt, kann begrifflich nur die Steuerbehörde die Hinzuziehung eines Dritten zum Rechtsmittelverfahren veranlassen, und zwar gem. § 360 AO 1977 ..." In diesem Sinne kann mit "Steuerbehörde" nur die zur Entscheidung über den Rechtsbehelf zuständige Steuerbehörde und nicht die für den Dritten zuständige Steuerbehörde gemeint sein; denn § 360 Abs.1 AO 1977 bestimmt, daß die "zur Entscheidung über den Rechtsbehelf berufene Finanzbehörde" andere hinzuziehen kann.

War demnach das beklagte FA für eine Hinzuziehung der Beigeladenen zuständig, so muß es auch für einen Antrag auf Beiladung nach § 174 Abs.5 Satz 2 AO 1977 im finanzgerichtlichen Verfahren zuständig sein.

Die Zuständigkeit des beklagten FA ergibt sich ferner daraus, daß --worauf das FA zutreffend hinweist-- nur dieses FA in dem anhängigen Klageverfahren Verfahrensbeteiligter (§ 57 FGO) ist, und demzufolge auch nur dieses FA Anträge stellen und andere Verfahrenshandlungen vornehmen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62200

BFH/NV 1989, 13

BStBl II 1989, 314

BFHE 155, 286

BFHE 1989, 286

BB 1989, 692-692 (L1)

DB 1989, 864 (K)

HFR 1989, 290 (LT)

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