Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Nebeneinander von Nichtzulassungsbeschwerde und Revision; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Rechtsmittelfrist wegen Verlusts der Revisionsschrift

 

Leitsatz (NV)

1. Nicht die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, sondern die Nichtzulassungsbeschwerde wegen eines Verfahrensmangels i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist das zutreffende Rechtsmittel, wenn der Kläger meint, das FG habe bei seiner tatrichterlichen Würdigung einzelne vom Kläger vorgetragene Umstände übergangen.

2. Eine gleichzeitig mit der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegte unzulässige Revision wird nicht dadurch statthaft, daß die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hat.

3. Wenn Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist mit der Begründung begehrt wird, die Rechtsmittelschrift sei bei der Postbeförderung verloren gegangen, so sind Tatsachen glaubhaft zu machen, aus denen sich die rechtzeitige Aufgabe des fristwahrenden Schriftsatzes zur Post ergibt, insbesondere wer den Schriftsatz zu welchem Zeitpunkt in welchen Briefkasten eingeworfen hat. Außerdem ist eine Schilderung der Fristenkontrolle nach Art und Umfang erforderlich.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 120 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob ein zwischen den Klägern und Revisionsklägern (Kläger) und ihrer volljährigen studierenden Tochter mündlich vereinbartes Mietverhältnis über eine den Klägern gehörende Eigentumswohnung trotz teilweiser Verrechnung des Mietzinses mit dem Unterhaltsanspruch der Tochter einkommensteuerrechtlich anzuerkennen ist, mit der Folge, daß die Kläger Einkünfte aus der Eigentumswohnung für das Streitjahr 1982 durch Gegenüberstellung von Einnahmen und Werbungskosten ermitteln können.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) verneinte ein anzuerkennendes Mietverhältnis und berechnete den Nutzungswert der Eigentumswohnung der Kläger nach § 21a des Einkommensteuergesetzes (EStG) und rechnete ihn den Klägern zu. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; es ließ die Frage unentschieden, ob zwischen den Klägern und ihrer Tochter ein Mietvertrag abgeschlossen worden war, der den Anforderungen an die einkommensteuerrechtliche Anerkennung von Verträgen unter nahen Angehörigen entspricht. Das Mietverhältnis stelle in jedem Falle einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) dar. Bei der Überlassung der Wohnung an die Tochter handele es sich um eine Form der Unterhaltsgewährung.

Auf das ihnen am 3. März 1990 zugestellte Urteil legten die Kläger am 26. März 1990 gleichzeitig Revision und Nichtzulassungsbeschwerde ein. Mit ihrer Revision machten sie geltend, die Entscheidung sei i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht mit Gründen versehen. Das FG habe nicht die Ausführungen der Kläger zur Angemessenheit des Mietverhältnisses mit ihrer Tochter wiedergegeben und gewürdigt. Außerdem verletze das angefochtene Urteil § 21 Abs. 1 EStG und § 42 AO 1977.

Auf die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ließ der erkennende Senat mit Beschluß vom 26. November 1991 (IX B 67/90) die Revision zu. Nachdem dieser Beschluß den Klägern am 23. Dezember 1991 zugestellt worden war, ging am 5. Februar 1992 beim FG ein Schriftsatz der Kläger ein, in dem sie unter Bezugnahme auf eine mit Schriftsatz vom 6. Januar 1992 eingelegte Revision diese begründeten. Auf den ihnen am 15. April 1992 zugestellten Hinweis der Geschäftsstelle des Senats, die von ihnen angeführte Revision lt. Schriftsatz vom 6. Januar 1992 liege nicht vor, legten die Kläger am 24. April 1992 Revision ein und beantragten zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist. Der Schriftsatz vom 6. Januar 1992 sei fristgerecht abgesandt worden. Es sei ihnen unverständlich, daß sich die Revisionsschrift vom 6. Januar 1992 nicht bei den Akten befände. Sie seien überzeugt, daß das Original abgesandt worden sei. Ein Durchschlag hiervon befände sich nämlich bei den Handakten ihrer Prozeßbevollmächtigten. E in Durchschlag werde von diesen regelmäßíg erst dann abgeheftet, wenn das Original den Prozeßbevollmächtigten unterschriftsreif vorgelegt worden sei. Die Büroangestellte K versicherte an Eides Statt, daß das Original des Schriftsatzes vom 6. Januar 1992 abgesandt worden sein müsse. Der Durchschlag befände sich nämlich bei den Handakten der Prozeßbevollmächtigten. Sie könne sich nicht erklären, wie das Original nicht dem FG zugegangen sein solle. Im übrigen habe sie keine konkreten Erinnerungen mehr an dieses Schriftstück.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist unzulässig.

1. Die Kläger haben eine Revision am 26. März 1990 und eine weitere am 24. April 1992 eingelegt. Liegen mehrere Revisionen gegen dasselbe Urteil vor, so handelt es sich um das nämliche Rechtsmittel, über das das Revisionsgericht einheitlich zu entscheiden hat (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Juli 1984 IX R 16/81, BFHE 141, 467, BStBl II 1984, 833).

2. Die Revisionseinlegung vom 26. März 1990 begründet nicht die Zulässigkeit der Revision. Da das FG die Revision nicht zugelassen hatte, konnte die damalige Revision nur als zulassungsfreie nach § 116 Abs. 1 FGO zulässig sein. Die Kläger haben die Rüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, das angefochtene Urteil sei nicht mit Gründen versehen, nicht schlüssig vorgetragen. Soweit sie vorbringen, das FG habe einen Teil ihres Vorbringens nicht im Tatbestand wiedergegeben, ist ein etwaiger derartiger Mangel nicht mit der zulassungsfreien Revision nach 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, sondern mit einem Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 108 FGO zu verfolgen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 119 Anm. 23). Seine tatsächliche Würdigung, die Vermietung der Kläger an ihre Tocher stelle eine unangemessene Gestaltung dar, die nicht von beachtlichen wirtschaftlichen Gründen getragen sei, hat das FG - entgegen der Auffassung der Kläger - auf verschiedene Umstände des Falles gestützt. Dies reicht als Begründung i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO aus. Sinn des Begründungszwanges ist es nämlich, den Prozeßbeteiligten die Kenntnis darüber zu vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht (BFH-Urteil vom 26. Juni 1975 IV R 122/71, BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885). Das Gericht muß jedoch nicht jedes Vorbringen der Beteiligten im einzelnen in den Entscheidungsgründen erörtern. Sollte das FG bei seiner tatrichterlichen Würdigung einzelne von den Klägern vorgetragene Umstände, die ihre Gestaltung wirtschaftlich sinnvoll erscheinen lassen könnten, übergangen haben, so wäre nicht die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, sondern die Nichtzulassungsbeschwerde wegen eines Verfahrensfehlers i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO das gegebene Rechtsmittel.

3. Die am 26. März 1990 eingelegte Revision ist auch nicht aufgrund der Tatsache zulässig geworden, daß die Kläger mit ihrer Revision damals neben dem Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO auch materiell-rechtliche Rechtsverstöße gerügt haben und der erkennende Senat auf die gleichzeitig eingelegte Beschwerde die Revision mit Beschluß vom 26. November 1991 zugelassen hat. Die Stattgabe einer Nichtzulassungsbeschwerde hat keine Auswirkungen auf eine zuvor in der Sache unzulässigerweise erhobene Revision. Denn die Stattgabe der Nichtzulassungsbeschwerde sagt nichts darüber aus, ob eine vor dieser Entscheidung eingelegte Revision zulässig ist, die mangels einer Zulassung nur als zulassungsfreie Revision auf § 116 Abs. 1 FGO gestützt werden konnte (BFH-Beschlüsse vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638; vom 24. September 1991 IV R 17/91, nicht veröffentlicht - NV -; vom 31. August 1992 V R 9/92, BFH/NV 1993, 313; vom 3. Februar 1993 X R 8/92, NV; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 29. August 1985 3 CB 13/85; Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 133 VwGO Nr. 57). Als zulassungsfreie war jedoch die Revision vom 26. März 1990 - wie bereits ausgeführt - mangels schlüssiger Darlegung eines Zulassungsgrundes i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO unzulässig.

4. Auch die von den Klägern am 24. April 1992 eingelegte Revision ist unzulässig. Denn sie ist verspätet erst nach Ablauf der Frist nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO beim FG eingegangen.

Nach der vorstehenden Vorschrift ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen. Der Beschluß des BFH über die Zulassung der Revision vom 26. November 1991 (IX B 67/90) ist den Klägern am 23. Dezember 1991 zugestellt worden. Die Revisionsfrist lief damit am 23. Januar 1992 ab. Die Revision der Kläger ging jedoch verspätet erst am 24. April 1992 beim FG ein.

5. Schließlich kann den Klägern auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist nach § 56 Abs. 1 FGO gewährt werden. Denn die Prozeßbevollmächtigten der Kläger haben entgegen § 56 Abs. 2 FGO keine Tatsachen vorgetragen, die geeignet sind, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu begründen und die Versäumung der Revisionsfrist i.S. von § 56 Abs. 1 FGO zu entschuldigen. Die Kläger müssen sich ein Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zurechnen lassen. Die Kläger haben zwar behauptet, ihre Prozeßbevollmächtigten hätten am 6. Januar 1992 eine Revisionsschrift an das FG abgesandt; ihnen sei unverständlich, warum diese dort nicht eingegangen sei. Dieser Vortrag reicht jedoch für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aus.

Wenn vorgetragen wird, daß ein Schriftstück bei der Postbeförderung verloren gegangen sei, sind Tatsachen glaubhaft zu machen, aus denen sich die rechtzeitige Aufgabe des fristwahrenden Schriftsatzes zur Post ergibt (BFH-Beschluß vom 17. Februar 1987 IV R 115/86, BFH/NV 1988, 780), insbesondere wer den Schriftsatz zu welchem Zeitpunkt in welchen Briefkasten eingeworfen hat (BFH-Beschluß vom 12. April 1989 II B 197/88, BFH/NV 1990, 298). Außerdem ist eine Schilderung der Fristenkontrolle nach Art und Umfang erforderlich (BFH-Urteil vom 20. November 1987 III R 208/84, III R 210-211/84, BFH/NV 1989, 370).

Diesen Anforderungen genügt das Wiedereinsetzungsgesuch der Kläger nicht. Sie haben nicht dargelegt, wer den behaupteten Schriftsatz vom 6. Januar 1992 zu welchem Zeitpunkt in welchen Briefkasten eingeworfen hat, und wie die Fristenkontrolle in der Praxis ihrer Prozeßbevollmächtigten geübt worden ist. Sie haben sich vielmehr darauf beschränkt vorzutragen, ihre Prozeßbevollmächtigten hätten den Schriftsatz vom 6. Januar 1992 abgesandt; es sei ihnen unverständlich, daß dieser nicht beim FG eingegangen sei. Ein Durchschlag hiervon sei in den Akten ihrer Prozeßbevollmächtigten abgeheftet. Dies geschehe regelmäßig dann, wenn ihren Prozeßbevollmächtigten das Original unterschriftsreif vorgelegt worden sei. Auch die bei den Prozeßbevollmächtigten der Kläger tätige Angestellte K hat sich in ihrer eidesstattlichen Versicherung damit begnügt vorzutragen, das Original des Schriftsatzes vom 6. Januar 1992 müsse abgesandt worden sein. Sie könne sich nicht erklären, warum es nicht beim FG eingegangen sein solle. Da sich eine Durchschrift bei den Akten der Prozeßbevollmächtigten befinde, müsse das Original zur Post gegeben worden sein.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419825

BFH/NV 1994, 813

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