Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung und Erwerbsunfähigkeit

 

Orientierungssatz

Die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers wegen Krankheit hat für den Urlaubsabgeltungsanspruch die gleichen Wirkungen wie für den Urlaubsanspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Danach setzt die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs voraus, daß der Arbeitnehmer bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Dies ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeschieden ist.

 

Normenkette

TVG § 1; BUrlG §§ 13, 7 Abs. 4; ALTV § 33 Fassung: 1980-04-17; ALTV 2 § 33 Fassung: 1980-04-17

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 02.07.1984; Aktenzeichen 11 Sa 760/83)

ArbG Gießen (Entscheidung vom 28.04.1983; Aktenzeichen 2 Ca 655/82)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit dem Jahre 1947 bei den US-Streitkräften in G als Arbeiter mit einem Monatslohn von zuletzt 2.693,15 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den alliierten Streitkräften, zuletzt in der Fassung vom 17. April 1980 (TV AL II) anzuwenden.

§ 33 Nr. 8 lautet:

"8. Abgeltung des Urlaubs

a) Der Urlaub wird grundsätzlich in bezahlter Arbeitsbefreiung

erteilt.

Barabgeltung ist - mit Ausnahme der Regelung im

Abschnitt b) - nicht zulässig. Das gilt auch bei

Verfall des Urlaubsanspruchs gem. Ziffer 7 e.

b) Ist das Beschäftigungsverhältnis gekündigt, so

muß dem Arbeitnehmer der noch zustehende Urlaub

ohne besonderen Antrag während der Kündigungsfrist

erteilt werden

- es sei denn, daß

dringende betriebliche oder zwingende persönliche

Gründe entgegenstehen, oder

der Urlaub wegen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses

ganz oder teilweise nicht mehr

erteilt werden kann."

§ 33 Nr. 9 c TV AL II lautet:

"c) Der Urlaub kann auch während einer Erkrankung

genommen werden, wenn der Arbeitnehmer keine

Krankenbezüge nach § 30/§ 31 erhält."

Seit 1. Januar 1982 war der Kläger fortlaufend arbeitsunfähig krank. Durch Bescheid der zuständigen Rentenversicherungsanstalt vom 5. Oktober 1982 wurde dem Kläger Erwerbsunfähigkeitsrente rückwirkend zum 1. Mai 1982 bewilligt. Am 22. Oktober 1982 suchte der Kläger seine Dienststelle auf, um dies dem zuständigen Verwaltungsangestellten mitzuteilen. Dieser bereitete mittels eines dafür vorgesehenen Formulars die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Oktober 1982 vor. Über den weiteren Inhalt der Unterredung besteht zwischen den Parteien Streit.

Mit Schreiben vom gleichen Tage (22. Oktober 1982) hatte die AOK G dem Kläger mitgeteilt, sein Anspruch auf Krankengeld habe mit der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente geendet, der Rentenanspruch sei bis zur Höhe des Krankengeldes vom Beginn der Rente auf sie übergegangen. Wörtlich heißt es weiter:

"Auf Grund dieser gesetzlichen Vorschriften

sind wir gezwungen, die aus Anlaß Ihrer jetzigen

Arbeitsunfähigkeit gewährte Krankengeldzahlung

ab 23.10.82 einzustellen.

Wir bitten Sie, den in Ihrem Besitz befindlichen

Krankengeld-Auszahlungsschein baldmöglichst

zurückzusenden, zuvor aber die Arbeitsunfähigkeit

von Ihrem behandelnden Arzt bis zum

22.10.82 bestätigen zu lassen."

Mit zwei weiteren Schreiben vom 27. Oktober 1982 hat die AOK dem Kläger bestätigt, daß er vom 1. Januar 1982 bis zum 22. Oktober 1982 arbeitsunfähig krank gewesen sei und daß sie die Zeit vom 12. Februar 1982 bis 22. Oktober 1982 dem Rentenversicherungsträger als beitragsfreie Ausfallzeit gemeldet habe.

Das Arbeitsverhältnis hat am 31. Oktober 1982 geendet.

Am 23. und am 26. November 1982 verlangte der Kläger schriftlich von der Beklagten Abgeltung von 10/12 seines Jahresurlaubs von 36 Urlaubstagen, die er mit 3.729,-- DM berechnet hat.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe am 22. Oktober 1982 bei der Unterredung mit dem Verwaltungsangestellten erfolglos verlangt, ihm jedenfalls bis zum Ablauf des Arbeitsverhältnisses am 31. Oktober 1982 Urlaub zu gewähren. Dabei habe er eine entsprechende Bescheinigung der AOK G vorgelegt.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.729,-- DM (brutto) nebst 4 v. H. Zinsen seit 16. Dezember 1982 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie nach Beweiserhebung abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klaganspruch weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung.

1. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist für den Kläger mit dessen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ein Urlaubsabgeltungsanspruch in der nach dem TV AL II vorgesehenen Höhe entstanden, soweit der dem Kläger zustehende Urlaubsanspruch bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt worden ist. Das Landesarbeitsgericht hat zwar festgestellt, daß der Kläger als erwerbsunfähig am 31. Oktober 1982 bei der Beklagten ausgeschieden ist, hat aber keine Feststellungen darüber getroffen, ob dessen Ansprüche bis zu ihrem Erlöschen am Ende des Übertragungszeitraums am 31. März 1983 zu erfüllen gewesen wären, so daß der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden muß, um dies nachzuholen.

2. Unter Hinweis auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Juni 1983 (BAGE 44, 75 = AP Nr. 14 zu § 7 BUrlG Abgeltung) hat dagegen das Landesarbeitsgericht angenommen, daß dem Kläger der von ihm geltend gemachte Urlaubsabgeltungs- und Urlaubsgeldanspruch nicht zustehe, nachdem er unstreitig nach andauernder Arbeitsunfähigkeit als erwerbsunfähig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei.

b) Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Mit dem Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis allein kann ein Urlaubsanspruch nicht verneint werden. Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, daß in der von ihm angezogenen Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts ein Urlaubsabgeltungsanspruch eines Arbeitnehmers zu beurteilen war, dessen Arbeitsverhältnis nach andauernder Arbeitsunfähigkeit geendet und der auch bis zum 31. März des folgenden Jahres seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt hatte. Wie zu entscheiden ist, wenn bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer nur kurzfristig erkrankt ist, hatte das Bundesarbeitsgericht offengelassen. Mit Urteil vom 28. Juni 1984 (BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung) hat der Sechste Senat klargestellt, daß Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht das Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruchs hindert, sondern dessen Erfüllbarkeit ausschließt, solange sie andauert. Die Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers wegen Krankheit hat für den Urlaubsabgeltungsanspruch die gleichen Wirkungen wie für den Urlaubsanspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dieser Auffassung hat sich der erkennende Senat mit Urteil vom 14. Mai 1986 (- 8 AZR 604/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt) angeschlossen. Danach setzt die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs voraus, daß der Arbeitnehmer bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Dies ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeschieden ist.

Erwerbsunfähig ist, wer infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von der Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (vgl. § 1247 Abs. 2 RVO). Die Erwerbsunfähigkeit setzt somit nicht voraus, daß der Arbeitnehmer eine bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Bei Prüfung der Erwerbsunfähigkeit findet keine Beschränkung auf den bisherigen Beruf oder, wie dies bei der Berufsunfähigkeit nach § 1246 Abs. 2 RVO die Regel ist, auf die Berufsgruppe statt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, S. 392 und Bd. III, S. 682 g). Es ist somit nicht ausgeschlossen, daß ein Arbeitnehmer erwerbsunfähig, aber zugleich dennoch arbeitsfähig ist (arg. § 183 Abs. 4 RVO, vgl. Brackmann, Bd. II, aaO; ebenso LAG Niedersachsen Urteil vom 30. August 1985 - 3 Sa 28/85 - S. 7 bis 10).

3. Zu Unrecht macht die Revision geltend, der Kläger sei schon bei seinem Besuch in seiner Dienststelle am 22. Oktober 1982 wieder arbeitsfähig gewesen.

a) Die hierzu getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, mit denen dies verneint wird, sind nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß der Kläger selbst nicht behauptet hat, daß die ihn behandelnden Ärzte ihn ab 22. oder ab 23. Oktober 1982 ausdrücklich für arbeitsfähig befunden hätten. Das vom Kläger vorgelegte Attest der behandelnden Ärztin vom 2. Februar 1984 hat nur zum Inhalt, daß der Kläger bis zum 22. Oktober 1982 arbeitsunfähig krank gewesen ist, nicht jedoch, daß die Arbeitsunfähigkeit mit diesem Tag geendet hat. Nichts anderes ergibt sich aus den Bescheinigungen der AOK, die im übrigen zeitlich nach dem 22. Oktober 1982 datiert sind. Diese Bescheinigungen hatten nur sozialversicherungsrechtliche Bedeutung für die Abgrenzung der Verpflichtungen der Krankenkasse und des Rentenversicherungsträgers. Auch insoweit lassen die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts keinen Rechtsfehler erkennen.

b) Ohne Erfolg rügt die Revision, daß das Landesarbeitsgericht unterlassen habe, den Kläger darauf hinzuweisen, daß sein Sachvortrag, ab 22. Oktober 1982 wieder arbeitsfähig gewesen zu sein, ergänzungsbedürftig sei.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger aufgegeben, Beginn und Ende seiner Erkrankung unter Vorlage entsprechender Urkunden nachzuweisen. Hierauf hat der Kläger die vom Landesarbeitsgericht gewürdigten Unterlagen vorgelegt. Zu einer weiteren Aufklärung bestand vom Rechtsstandpunkt des Landesarbeitsgerichts aus keine Veranlassung.

Daran ändert sich nichts dadurch, daß nunmehr der Kläger eine weitere Bescheinigung seiner behandelnden Ärztin vom 18. Januar 1985 vorlegen läßt, nach der die Bescheinigung vom 2. Februar 1984 "so zu verstehen ist, daß Herr M ab 23. Oktober 1982 arbeitsfähig war".

Abgesehen davon, daß es hierauf mit Rücksicht auf die mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht ankommen kann und der Senat nach § 561 ZPO hieran gebunden ist, steht die Erklärung der Ärztin in auffälligem Widerspruch zum bisherigen Vortrag des Klägers.

4. Steht damit entgegen der Auffassung des Klägers nicht fest, daß er bei Ende seines Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig war und der Urlaubsabgeltungsanspruch hätte erfüllt werden können, so ist damit dennoch nicht ausgeschlossen, daß er später trotz festgestellter Erwerbsunfähigkeit so rechtzeitig wieder arbeitsfähig geworden ist, daß der Abgeltungsanspruch vor dem Ablauf des Übertragungszeitraums am 31. März 1983 hätte erfüllt werden können.

Ob dies zutrifft, kann gegenwärtig vom erkennenden Senat nicht beurteilt werden, weil vom Landesarbeitsgericht hierzu keine Tatsachenfeststellungen getroffen worden sind.

Damit hängt der Erfolg der Klage davon ab, ob der Kläger vor Ablauf des Übertragungszeitraums so rechtzeitig wieder arbeitsfähig geworden ist, daß der Abgeltungsanspruch ganz oder teilweise hätte erfüllt werden können. Wegen des Ablaufs des Übertragungszeitraums am 31. März 1983 stünde ein solcher Anspruch dem Kläger als Schadenersatzanspruch zu (vgl. dazu das Senatsurteil vom 30. Juli 1986 - 8 AZR 475/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Ebenso wie der Urlaubsanspruch ist auch der Urlaubsabgeltungsanspruch zeitlich befristet auf das Urlaubsjahr, für das er entstanden ist, bzw. auf das Ende des Übertragungszeitraums. War der Kläger vor Ablauf des Übertragungszeitraums arbeitsfähig und damit der Urlaubsabgeltungsanspruch ganz oder teilweise zu erfüllen, befand sich die Beklagte mit dieser Leistung jedenfalls im Schuldnerverzug, wenn sie die Urlaubsabgeltung trotz Geltendmachung durch den Kläger nicht gewährt hat. Die Unmöglichkeit infolge Zeitablaufs hat sie zu vertreten (§§ 286, 280, 287 Satz 2 BGB), wenn trotz Arbeitsfähigkeit des Klägers der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht vor Ablauf des Übertragungszeitraums am 31. März 1983 erfüllt werden konnte.

Um dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Feststellungen zu treffen, muß die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Michels-Holl Dr. Leinemann

zugleich für den wegen Urlaubs

an der Unterschriftsleistung

verhinderten

Richter Dr. Peifer

Dr. Liebers Fox

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441691

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