Entscheidungsstichwort (Thema)

Weiterbeschäftigung eines Jugendvertreters

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Ausschlußfrist nach § 626 Abs 2 BGB und nach § 15 Abs 4 BBiG ist auf das Verfahren nach § 78a Abs 4 S 1 Nr 2 BetrVG nicht anwendbar.

 

Normenkette

BBiG §§ 9, 3; StGB §§ 53, 267; BBiG § 6 Abs. 1, § 39 Nr. 2, § 15 Abs. 4; BGB § 626 Abs. 2; ZPO § 559 Abs. 2; BetrVG § 78a Abs. 3; KSchG § 15 Fassung 1969-08-25; BetrVG § 78a Abs. 4 S. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 15.12.1982; Aktenzeichen 3 Sa 983/82)

ArbG Herne (Entscheidung vom 08.06.1982; Aktenzeichen 3 Ca 66/82)

 

Tatbestand

Der am 21. Dezember 1961 geborene Beklagte war seit 1. September 1978 bei der Klägerin in einem Berufsausbildungsverhältnis zum Chemiefacharbeiter beschäftigt. Er hat am 23. Dezember 1981 den letzten Teil seiner Abschlußprüfung als Chemiefacharbeiter abgelegt. Am 12. Januar 1982 wurde ihm das Bestehen der Prüfung mitgeteilt.

Vom Mai 1980 bis zum 15. Dezember 1981 war der Beklagte Mitglied der Jugendvertretung im Betrieb der Klägerin. Am 15. Dezember 1981 trat die Jugendvertretung zurück. Der im März 1982 neugewählten Jugendvertretung gehörte der Beklagte nicht mehr an.

In der Zeit von April bis Oktober 1981 hatte der Beklagte die Unterschrift des Ausbildungsbeauftragten im Betrieb der Klägerin auf insgesamt 19 Ausbildungsnachweisen gefälscht und dies am 29. Oktober 1981 gegenüber der Klägerin zugegeben. Wegen der Fälschung hatte die Klägerin mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle und nach Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats beim Arbeitsgericht am 9. November 1981 die Zustimmungsersetzung zur fristlosen Kündigung des Beklagten beantragt, der mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % schwerbehindert ist. Am 5. Januar 1982 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Ein Rechtsmittel hiergegen hat die Klägerin nicht eingelegt. Mit einem der Klägerin am 6. Januar 1982 zugegangenen Schreiben verlangte der Beklagte seine Übernahme in ein Arbeitsverhältnis nach Abschluß der Ausbildung. Die Klägerin hat den Beklagten als Chemiefacharbeiter nach dem 12. Januar 1982 zunächst weiterbeschäftigt.

Mit der am 11. Januar 1982 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin beantragt, das nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses zwischen dem Beklagten und der Klägerin begründete Arbeitsverhältnis aufzulösen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, das von der Klägerin angeführte Fehlverhalten sei kein wichtiger Grund i.S. von § 626 Abs. 1 BGB; im übrigen könne sich der Arbeitgeber für den Auflösungsantrag nach § 78 a Abs. 4 BetrVG nicht auf Gründe stützen, die in einem Zeitraum von mehr als zwei Wochen vor den entsprechenden Anträgen liegen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klagabweisungsbegehren weiter. Die Klägerin bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist zulässig.

1. Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 ArbGG statthaft. Sie ist auch form- und fristgerecht begründet worden (§ 74 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG).

2. Über den auf § 78 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG gestützten Antrag des Arbeitgebers ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteilsverfahren zu entscheiden (vgl. BAG 28, 8; 32, 285; Beschluß vom 23. März 1976 - 1 ABR 7/76 -, AP Nr. 3 zu § 78 a BetrVG 1972; Urteil vom 16. Januar 1979 - 6 AZR 153/77 -, AP Nr. 5 zu § 78 a BetrVG 1972 m.w.N.). Die erstmals in der Revisionsinstanz vom Beklagten hiergegen gerichteten Angriffe geben dem Senat keine Veranlassung, für das vorliegende Verfahren hiervon abzuweichen.

II. Die Revision ist auch begründet.

Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts reichen nicht aus, das Arbeitsverhältnis des Beklagten aufzulösen. Es fehlt eine umfassende Interessenabwägung zur Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Beklagten im Betrieb der Klägerin. Der Senat ist gehindert, selbst in der Sache zu entscheiden, weil das Landesarbeitsgericht noch weitere Tatsachenfeststellungen zu treffen hat (§ 72 Abs. 5 ArbGG, § 565 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

1. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß durch das der Klägerin am 6. Januar 1982 zugegangene Weiterbeschäftigungsverlangen des Beklagten gemäß § 78 a Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 BetrVG ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien begründet worden ist. Der Beklagte war bis zum 15. Dezember 1981 Mitglied der Jugendvertretung im Betrieb der Klägerin. Das Weiterbeschäftigungsverlangen ging der Klägerin auch innerhalb der Dreimonatsfrist des § 78 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG vor Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses zu, da auch, wenn entscheidender Zeitpunkt für die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses nicht das vertraglich vorgesehene Ende, sondern das Bestehen der Abschlußprüfung ist (Urteil des Senats vom 15. Januar 1980 - 6 AZR 621/78 -, AP Nr. 7 zu § 78 a BetrVG 1972), der Beklagte das Weiterbeschäftigungsverlangen fristgemäß erklärt hat. Die Abschlußprüfung i.S. von § 14 Abs. 2 BBiG ist erst bestanden, wenn das Prüfungsverfahren abgeschlossen und das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt worden ist (BAG vom 15. Januar 1980, aa0; vgl. auch Urteil vom 7. Oktober 1971 - 5 AZR 265/71 -, AP Nr. 1 zu § 14 BBiG). Nach dem Berufsausbildungsvertrag der Parteien sollte das Ausbildungsverhältnis am 28. Februar 1982 enden. Das Bestehen der Prüfung wurde dem Beklagten am 12. Januar 1982 mitgeteilt, so daß der am 11. Januar 1982 beim Arbeitsgericht eingegangene Antrag der Klägerin jedenfalls noch rechtzeitig gestellt worden ist.

2. Zutreffend ist auch die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, daß die Berücksichtigung der Unterschriftsfälschungen aus der Zeit von April bis Oktober 1981 nicht durch eine entsprechende Anwendung der in § 626 Abs. 2 BGB bzw. § 15 Abs. 4 BBiG enthaltenen zweiwöchigen Ausschlußfrist deshalb ausgeschlossen ist, weil der Klägerin die Fälschungen unstreitig bereits am 29. Oktober 1981 bekannt waren und sie erst am 11. Januar 1982 die vorliegende Klage erhoben hat. § 626 Abs. 2 BGB bzw. § 15 Abs. 4 Satz 2 BBiG sind auf die Antragstellung nach § 78 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.

a) Nach dem Wortlaut von § 78 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG kann der Arbeitgeber den Auflösungsantrag innerhalb von zwei Wochen nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses stellen. Eine § 626 Abs. 2 BGB und § 15 Abs. 4 BBiG entsprechende Ausschlußfrist bezüglich der Kenntniserlangung der zur Unzumutbarkeit herangezogenen Tatsachen enthält § 78 a BetrVG nicht.

b) Auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften auf § 78 a BetrVG kommt nicht in Betracht. Zwar enthält § 78 a Abs. 4 BetrVG eine Formulierung, die an die des § 626 Abs. 1 BGB als Tatbestand für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund angelehnt ist, wenngleich sie ihr nicht voll entspricht (vgl. BAG Urteil vom 16. Januar 1979 - 6 AZR 153/77 -, AP Nr. 5 zu § 78 a BetrVG 1972, zu 2.a) der Gründe). Ebenso trifft es zu, daß mit § 78 a Abs. 3 BetrVG für den Jugendvertreter eine Rechtsposition geschaffen worden ist, die der eines Betriebsratsmitglieds nach § 15 KSchG, § 103 BetrVG angenähert ist, wenn auch ohne die besondere aus § 103 BetrVG sich ergebende zusätzliche Sicherung (vgl. Barwasser, DB 1976, 2114; BAG Urteil vom 16. Januar 1979, aa0). Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber davon abgesehen, aus der entsprechenden Anwendung von § 626 Abs. 2 BGB im Bereich des besonderen Kündigungsschutzes nach § 15 KSchG (vgl. BAG 26, 219; 27, 93 und 29, 270 = AP Nr. 1, 2 und 10 zu § 103 BetrVG 1972 m.w.N.; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 15 Rz 54 m.w.N.), auch eine entsprechende Anwendbarkeit dieser Vorschrift im Bereich des § 78 a BetrVG zu folgern (a.A. Barwasser, aa0, 2115). In § 15 KSchG wird, insoweit § 626 BGB vergleichbar, die fristlose Kündigung eines durch Vereinbarung begründeten Arbeitsverhältnisses geregelt. Die entsprechende Anwendung der Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB wird dort damit gerechtfertigt, daß die der Rechtsklarheit im Interesse des betroffenen Arbeitnehmers dienende Bindung der außerordentlichen Kündigung an eine kurze Ausschlußfrist gerade auch für den besonders schutzwürdigen Personenkreis des § 15 KSchG gelten müsse (vgl. Hueck, aa0). Demgegenüber ist für die Anwendung der Frist nach § 626 Abs. 2 BGB und § 15 Abs. 4 BBiG auf § 78 a BetrVG kein Grund ersichtlich. Die dieser Auffassung entgegengesetzte Meinung des Beklagten hätte im übrigen zur Folge, daß ein Arbeitgeber, der die Frist nach § 78 a Abs. 4 BetrVG ausnutzen will, den unmittelbar vor Fristende gestellten Auflösungsantrag auf Ereignisse aus dem Berufsausbildungsverhältnis regelmäßig nicht mehr stützen könnte (vgl. ebenso Schäfer, ArbuR 1978, 202, 206): Würde ein Arbeitgeber im Hinblick auf die bevorstehende Beendigung des Ausbildungsverhältnisses zugunsten des Auszubildenden von einer an sich begründeten Kündigung Abstand nehmen wollen, um dem Auszubildenden den Abschluß seiner Berufsausbildung zu ermöglichen, wäre er dennoch gezwungen, noch innerhalb der Ausbildungszeit aus wichtigem Grund zu kündigen, um mit der Geltendmachung der seiner Ansicht nach die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung begründenden Tatsachen im Verfahren nach § 78 a Abs. 4 BetrVG nicht ausgeschlossen zu sein (vgl. GK-Thiele, BetrVG, 3. Bearbeitung, § 78 a Rz 43; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 78 a Rz 29 m.w.N.; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 13. Aufl., § 78 a Rz 8). Damit würde im Ergebnis der für den Jugendvertreter gewollte gesetzliche Schutz in sein Gegenteil verkehrt.

Schließlich wird die Ansicht vertreten, der Zweck des § 626 Abs. 2 BGB bzw. des § 15 Abs. 4 BBiG, den Einsatz des wichtigen Kündigungsgrundes als eines langfristig wirksamen Disziplinierungsinstruments zu verhindern, könne nur erreicht werden, wenn der Arbeitgeber, der ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grunde innerhalb der Frist nicht ausgeübt habe, diesen wichtigen Grund auch anläßlich des Verfahrens nach § 78 a BetrVG nicht weiter hervorkehren dürfe. Sonst könne er weit über die Frist des § 15 Abs. 4 BBiG den in Ausbildung befindlichen Amtsträger durch den Hinweis auf § 78 a Abs. 4 BetrVG "in Schach halten" (Reuter, Anm. zum Urteil des BAG vom 16. Januar 1979 - 6 AZR 153/77 -, SAE 1979, 283 f.). Damit wird nicht beachtet, daß die Frage nach der Anwendbarkeit der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht nach § 626 BGB, sondern nach dem Inhalt von § 78 a BetrVG zu beurteilen ist. Dieser ist mit § 626 Abs. 1 BGB nicht vergleichbar. Es geht nicht um die Auflösung eines schon bestehenden, vertraglich vereinbarten Arbeitsverhältnisses, sondern um die Begründung oder den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes. Im übrigen widerspricht sich nicht, wenn die Wirksamkeit einer Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses aus wichtigem Grund wegen der Kürze der noch verbleibenden Ausbildungszeit verneint wird, gleichwohl aber später die unbefristete Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber nach Beendigung der Ausbildung unzumutbar ist (vgl. GK-Thiele, aa0, Rz 43; Dietz/Richardi, aa0, Rz 29; Reinecke, DB 1981, 894; vgl. auch BAG Urteil vom 10. Mai 1973 - 2 AZR 328/72 -, AP Nr. 3 zu § 15 BBiG).

Die Klägerin hat auch durch Einleitung des Beschlußverfahrens zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung des Beklagten am 9. November 1981 beim Arbeitsgericht deutlich zu erkennen gegeben, daß sie die Fälschungen des Beklagten zum Anlaß für eine Kündigung aus wichtigem Grunde nehmen wollte. Das Arbeitsgericht hat den Antrag vor allem im Hinblick auf die kurze Zeitdauer bis zur Beendigung des Ausbildungsverhältnisses zurückgewiesen. Zwar ist die Jugendvertretung am 15. Dezember 1981 zurückgetreten, so daß die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung nicht mehr erforderlich war (§ 103 BetrVG), die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung zu diesem Zeitpunkt wäre angesichts der kurzen restlichen Ausbildungszeit aber zweifelhaft gewesen, so daß es der Klägerin jedenfalls nicht verwehrt sein kann, sich auf die Unterschriftsfälschung des Beklagten von April bis Oktober 1981 zur Geltendmachung der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im Verfahren nach § 78 a BetrVG zu berufen.

3. Den Erwägungen des Landesarbeitsgerichts, mit denen es die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Beklagten für die Klägerin bejaht hat, kann nicht gefolgt werden. Die Revision hat zwar hiergegen ausdrücklich keine Angriffe gerichtet. Dennoch war vom erkennenden Senat unabhängig hiervon nach § 559 Abs. 2 Satz 1 ZPO zu prüfen, ob das Landesarbeitsgericht das Vorliegen von Tatsachen, auf Grund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann, zutreffend gewürdigt hat (§ 78 a Abs. 4 Satz 1 BetrVG).

Diese Voraussetzungen können, da es sich dabei um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs handelt, vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob die Unterordnung des festgestellten Sachverhalts Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen widerspricht und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen sind (ständige Rechtsprechung des BAG vgl. z.B. BAG 24, 401, 407; BAG Urteil vom 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 -, AP Nr. 68 zu § 626 BGB).

Auch unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs und des dem Landesarbeitsgericht zustehenden Beurteilungsspielraums hält das angefochtene Urteil der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht allein von der Annahme der Fälschung der Unterschriften des Ausbildungsbeauftragten auf das Vorliegen der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung geschlossen. Die nach § 78 a BetrVG erforderliche umfassende Interessenabwägung fehlt.

a) Zuzustimmen ist zwar dem Landesarbeitsgericht im Ausgangspunkt, daß die Fälschung von 19 Unterschriften des Ausbildungsbeauftragten durch den Beklagten grundsätzlich geeignete Auflösungstatsachen im Rahmen des § 78 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG darstellen können, jedenfalls dann, wenn die Einholung dieser Unterschriften durch den Beklagten zu seinen Pflichten aus dem Ausbildungsverhältnis gehörte.

Dem Landesarbeitsgericht kann jedoch nicht darin gefolgt werden, daß die Unterschriftsfälschungen des Beklagten ohne weiteres als "in Tatmehrheit (§ 53 StGB) begangene Urkundenfälschungen (§ 267 1. Alternative StGB)" sind und deshalb als strafbare Handlungen die Weiterbeschäftigung des Beklagten nach § 78 a Abs. 4 BetrVG ohne weiteres unzumutbar machen.

Die bislang vom Landesarbeitsgericht hierzu getroffenen Feststellungen tatsächlicher Art bieten keine ausreichende Grundlage für die Annahme, der Kläger habe mit der Fälschung der Unterschriften des Ausbildungsbeauftragten den Tatbestand von § 267 1. Alternative StGB erfüllt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich, wenn der gesetzliche Tatbestand des § 267 StGB als erfüllt anzusehen ist, um in Tatmehrheit (§ 53 StGB) begangene 19 Urkundenfälschungen handelt, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat. Es hat hierbei den Vortrag des Beklagten im Beschlußverfahren vor dem Arbeitsgericht (ArbG Herne - 2 BV 32/81 -) nicht berücksichtigt, daß es sich lediglich um drei bis vier Vorfälle mit jeweils etwa fünf Ausbildungsnachweisen gehandelt habe. Da insoweit die Urkunden insgesamt zum gleichen einmaligen Gebrauch gefälscht worden sind, könnte dies dazu führen, daß trotz mehrfacher Fälschungshandlungen jeweils dennoch eine einheitliche Tat vorliegt (§ 53 StGB), da das Gebrauchmachen Bestandteil der Urkundenfälschung ist.

Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts lassen weiter nicht erkennen, ob es die Frage geprüft hat, ob und inwieweit die Fälschungen der Ausbildungsnachweise auch der "Täuschung im Rechtsverkehr" gedient haben. Das Landesarbeitsgericht hat darauf abgestellt, daß der Beklagte gewußt habe, daß die wöchentlichen Ausbildungsnachweise, auf denen er die Unterschriften des Ausbildungsbeauftragten gefälscht habe, vom Ausbilder gesammelt und für die Prüfungszulassung eingereicht wurden, wobei die Ordnungsmäßigkeit der Ausbildungsnachweise Voraussetzung für die Prüfungszulassung gewesen sei. Dies ergebe sich auch aus entsprechenden Aufklärungsblättern, die der Beklagte auch in Händen gehabt habe.

Aus diesen im Rechtsstreit vorgelegten Unterlagen folgt jedoch nur, daß Zulassungsvoraussetzung zur Prüfung das Führen der vorgeschriebenen Ausbildungsnachweise ist (vgl. auch § 39 Nr. 2 BBiG). Anhaltspunkte dafür, daß auch die Ordnungsmäßigkeit der Führung bzw. die ordnungsgemäße Gegenzeichnung hierzu verpflichteter Personen Voraussetzung der Prüfungszulassung ist, sind nicht ersichtlich. Nach § 4 Nr. 7 des zwischen den Parteien geschlossenen Berufsausbildungsvertrags war der Beklagte zwar verpflichtet, den vorgeschriebenen Nachweis ordnungsgemäß zu führen und regelmäßig vorzulegen. In welchem Zeitabstand und wem gegenüber diese Vorlagepflicht bestand, ist dem Vertrag aber nicht zu entnehmen (vgl. dazu Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., S. 197). Wird berücksichtigt, daß nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Ausbildungsnachweis zunächst vom Ausbildungsbeauftragten, möglicherweise als einer weisungsberechtigten Person im Sinne des § 9 Satz 2 Nr. 3 BBiG (vgl. Natzel, aa0, S. 214), zu unterschreiben war und danach vom eigentlichen Ausbilder (vgl. § 3 Abs. 1 BBiG), erscheint es möglich, daß die Unterschrift des Ausbildungsbeauftragten lediglich der innerbetrieblichen Kontrolle dienen sollte, um dem Ausbilder das Durchsehen der Ausbildungsnachweise auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu ermöglichen. Da die Unterschrift des Ausbildungsbeauftragten und auch die des eigentlichen Ausbilders keine Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung waren, ist nach den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht ersichtlich, inwieweit der Beklagte bei der Fälschung der Unterschriften zur Täuschung im Rechtsverkehr gehandelt, d.h. inwieweit er den Ausbilder damit zu einem rechtlich erheblichen Verhalten zu veranlassen gesucht hätte. Gegenstand der Täuschung i.S. von § 267 StGB ist eine im Rechtsverkehr erhebliche Tatsache, es reicht nicht aus, wenn der Getäuschte nur über interne Dinge seines eigenen Rechtskreises irren soll, die für seine äußeren Rechtsbeziehungen nicht unmittelbar maßgeblich sind (vgl. BGHSt 5, 151; Leipziger Komm.-Tröndle, 10. Aufl., § 267 StGB Rz 188; Dreher/Tröndle, StGB, 41. Aufl., § 267 Rz 30; außerdem Schönke/Schröder, StGB, 21. Aufl., § 267 Anm. 87 ff. jeweils m.w.N.).

b) Zwar ist für die Annahme der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nach § 78 a Abs. 4 BetrVG nicht erforderlich, daß die Unterschriftsfälschungen des Beklagten auch Straftatbestände erfüllen. Vielmehr können diese Tatsachen dazu ausreichen, die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung zu rechtfertigen, wenn sich dieses Verhalten des Beklagten als grobe Verletzung seiner Ausbildungspflichten darstellt, das die Befürchtung rechtfertigt, er werde auch in seinem Arbeitsverhältnis in grober Weise entsprechend gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen (vgl. LAG Düsseldorf, DB 1975, 1996).

Das Landesarbeitsgericht hat hierzu jedoch keine Erwägungen angestellt, sondern die Unzumutbarkeit vor allem aus der Schwere des strafrechtlichen Vorwurfs hergeleitet. Es wird daher die dem Tatsachengericht vorbehaltene Würdigung nachholen müssen, ob die Unterschriftsfälschungen des Beklagten auch der Täuschung im Rechtsverkehr dienen sollten bzw. wenn es sich um Handlungen ohne strafrechtliche Relevanz gehandelt haben sollte, zu würdigen haben, ob sie Tatsachen darstellen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann. Hierfür bedarf es einer umfassenden Würdigung aller Umstände. Dabei wird das Landesarbeitsgericht auch den Umstand mitzuberücksichtigen haben, daß die Klägerin nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 BBiG und § 3 Nr. 6 des Berufsausbildungsvertrags die ordnungsgemäße Führung der Ausbildungsnachweise durch regelmäßige Abzeichnung zu überwachen hatte, so daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß bei Erfüllung dieser Pflicht nicht nur die eine oder andere, sondern sämtliche Fälschungen unterblieben wären.

Dr. Auffarth Dr. Jobs Dr. Leinemann

Carl Spiegelhalter

 

Fundstellen

Haufe-Index 440879

BAGE 44, 355-364 (LT1)

BAGE, 355

BB 1984, 1364-1365 (LT1)

DB 1984, 1101-1103 (LT1)

NJW 1984, 2598-2599 (LT1)

EzB BGB § 626 Nr 21 (L1, S1)

EzB BetRVG § 78a Nr 35 (LT1, ST1)

EzB KSchG § 15, Nr. 10 (L1, S1)

ARST 1984, 101-103 (LT1)

JR 1985, 308

NZA 1984, 44-45 (LT1)

AP § 78a BetrVG 1972 (LT1), Nr 12

AR-Blattei, Betriebsverfassung XIII Entsch 16 (LT1)

AR-Blattei, ES 530.13 Nr 16 (LT1)

EzA § 78a BetrVG 1972, Nr 13 (LT1)

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