Entscheidungsstichwort (Thema)

Anhörung des Betriebsrats zur Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch bei einer Kündigung in den ersten sechs Monaten des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses richtet sich der Inhalt der Mitteilungspflicht des Arbeitgebers nach § 102 Abs 1 BetrVG nicht nach den objektiven Merkmalen der Kündigungsgründe des noch nicht anwendbaren § 1 KSchG, sondern nach den Umständen, aus denen der Arbeitgeber (subjektiv) seinen Kündigungsentschluß herleitet.

2. Die pauschale Umschreibung des Kündigungsgrundes durch ein Werturteil (zB nicht hinreichende Arbeitsleistungen) erfüllt ausnahmsweise dann die Anforderungen der Mitteilungspflicht nach § 102 Abs 1 BetrVG, wenn der Arbeitgeber seine Motivation nicht mit konkreten Tatsachen belegen kann.

3. Wenn für den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers mehrere Gründe maßgebend gewesen sind, dann berührt eine objektiv unvollständige Unterrichtung des Betriebsrats hinsichtlich einzelner Kündigungsgründe nicht die Wirksamkeit des Anhörungsverfahrens insgesamt.

 

Normenkette

KSchG § 1; BetrVG § 102

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 15.12.1987; Aktenzeichen 7 Sa 1421/87)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 29.04.1987; Aktenzeichen 4 Ca 2944/86)

 

Tatbestand

Die Beklagte stellte den am 13. Dezember 1961 geborenen Kläger am 9. April 1986 als Lkw-Fahrer ein. Nach vierwöchiger Tätigkeit setzte sie ihn als Versandarbeiter ein, wobei er u. a. Fertigwaren zu kommissionieren hatte. Sein monatlicher Bruttolohn betrug 2.500,-- DM. Die Beklagte fertigt Gegenstände für den Party-Service und beschäftigt etwa 340 Arbeitnehmer.

Der Kläger fehlte am 13. Juni, vom 16. bis 20. Juni und vom 3. bis 18. Juli 1986 krankheitsbedingt. Im Juni/Juli hat die Beklagte saisonbedingt einen erhöhten Arbeitsanfall. Unter Beteiligung ihres Betriebsrates stellte sie für die nachfolgenden Zeiten Aushilfskräfte ein: 2. Juni bis 31. Juli; 9. Juni bis 18. August; 12. Juni bis 25. Juli; 18. Juni bis 18. Juli; 1. bis 31. Juli und 22. Juli bis 29. August. Außerdem ordnete sie mit Zustimmung des Betriebsrates vom 9. Juni bis 11. Juli Überstunden und Samstagsarbeit an.

Mit Schreiben vom 15. Juli 1986 teilte die Beklagte ihrem Betriebsrat mit, sie beabsichtige, dem Kläger zum nächstzulässigen Kündigungstermin eine ordentliche Kündigung auszusprechen. In dem Schreiben heißt es zur Begründung:

"1. Nicht ausreichende Arbeitsleistung

2. Aufgrund häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten ist

eine Neubesetzung des Arbeitsplatzes mit einem zuver-

lässigen Mitarbeiter dringend erforderlich. Wegen der

häufigen Ausfallzeiten von Herrn R sind wir ge-

zwungen, zusätzlich Ersatzkräfte im Versandbereich

einzusetzen, um die dort in der Hauptsaison verstärkt

anfallenden Arbeiten bewältigen zu können."

Dem Schreiben war außerdem die Aufzeichnung der Fehlzeiten des Klägers beigefügt. Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung im Schreiben vom 21. Juli 1986 mit folgenden Gründen:

"zu 1: Die aufgeführte nicht ausreichende Arbeits-

leistung wurde dem BR nicht bestätigt.

Zu 2: Die Fehlzeiten waren krankheitsbedingt.

Herr R wird am 21.07.86 seine Arbeit wieder

aufnehmen. Es sollte noch berücksichtigt werden, daß

er gut eingearbeitet ist und in der Vergangenheit

dazu bereit war Überstunden zu leisten. Wir bitten

von einer Kündigung abzusehen."

Am 25. Juli 1986 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 15. August und berief sich im Kündigungsschreiben auf nicht ausreichende Arbeitsleistung und krankheitsbedingte Fehlzeiten.

Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung sei unwirksam, weil die Beklagte ihren Betriebsrat nur unzureichend über die Kündigungsgründe unterrichtet habe.

Er hat vorgetragen, der Hinweis auf eine unzureichende Arbeitsleistung sei zu pauschal, es fehle eine nähere Umschreibung des Sachverhalts nach Zeit, Art und Ort der angeblichen Schlechtleistungen. Auch hinsichtlich der krankheitsbedingten Kündigung sei der Vortrag der Beklagten unzulänglich. Es fehlten Tatsachen, die eine ungünstige Prognose hätten rechtfertigen können. Mit 18 Arbeitstagen sei er lediglich geringfügig arbeitsunfähig krank gewesen. Die Arbeitsleistung sei für den 21. Juli wieder zu erwarten gewesen, Anhaltspunkte für weitere Erkrankungen seien nicht vorhanden gewesen. Ebenso sei kein Sachverhalt dargetan, der eine unzumutbare betriebliche Beeinträchtigung verdeutliche und aus dem sich insbesondere ergebe, in welcher Zeit und an welchem Arbeitsplatz im Versand aufgrund seiner Erkrankung Arbeitskräfte hätten eingesetzt werden müssen. Die Kenntnis des Betriebsrats von Engpässe in der Hochsaison reiche für eine ordnungsgemäße Unterrichtung nicht aus. Ein Hinweis auf wirtschaftliche Beeinträchtigungen sei in dem Anhörungsschreiben ganz unterlassen.

Selbst wenn aber die Anhörung hinsichtlich einer krankheitsbedingten Kündigung an sich genüge, so sei im vorliegenden Fall dennoch die Anhörung insgesamt unwirksam, weil jedenfalls der Vortrag zur Arbeitsleistung völlig unsubstantiiert sei. Die Beklagte hätte vielleicht eine Kündigung nicht ausgesprochen, wenn ihr bewußt gewesen sei, daß sie diesen Vortrag substantiieren müsse.

Da die Kündigung wegen Verstoßes gegen die Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG unwirksam sei, müsse die Beklagte ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der

Parteien durch die Kündigung vom 25. Juli 1986

nicht zum 15. August 1986 aufgelöst worden

sei;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränder-

ten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Sie hat geltend gemacht, der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden, dem Betriebsrat habe nicht nur ihr Schreiben vom 15. Juli 1986 und die Fehlzeitenliste vorgelegen, sie habe ihn darüber hinaus am 16. Juli 1986 auch noch mündlich informiert. Mit der Auflistung der einzelnen Fehlzeiten habe sie ihre Besorgnis über die zukünftige Entwicklung deutlich zum Ausdruck gebracht. Damit sei auch die Befürchtung einer negativen wirtschaftlichen und betrieblichen Entwicklung dargetan gewesen. Im übrigen habe der Kläger vor Ausspruch der Kündigung mitgeteilt, er müsse sich im Herbst 1986 einem chirurgischen Eingriff unterziehen, dies sei mit einem längeren Krankenhausaufenthalt verbunden.

Außerdem sei dem Betriebsrat bekannt gewesen, daß der Zeitraum April bis September als Hochkonjunktur für Party-Artikel gelte, die gesamte Versandabteilung Überstunden geleistet habe und zu den Ausfallzeiten des Klägers Aushilfskräfte hätten eingestellt werden müssen, um die anfallende Arbeit bewältigen zu können.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweiserhebung die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter. Die Beklagte bitte um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, die Kündigung sei nicht wegen Verstoßes gegen die Anhörungspflicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 und 3 BetrVG unwirksam.

I. Das Landesarbeitsgericht hat dazu ausgeführt, die Beklagte sei ihrer Begründungspflicht zur Kündigung wegen der beschriebenen Fehlzeiten nachgekommen. Sie habe eine Liste hierüber vorgelegt und diese in einem Gespräch mit dem Betriebsrat noch im einzelnen erläutert. Daß sie keine Angaben zur Lohnfortzahlung gemacht und auch nicht die Arbeitnehmer benannt habe, die in den Ausfallzeiten des Klägers für ihn als Aushilfe eingesprungen seien, sei unschädlich, denn dem Betriebsrat sei bekannt gewesen, daß die Ausfallzeiten in die Saison gefallen seien. Durch die Mitwirkung nach § 99 BetrVG sei ihm die Einstellung von Aushilfskräften, außerdem durch die weitere Mitteilung die zeitliche Vereinbarung von Samstagsarbeit für den 14., 21. und 28. Juni sowie von Mehrarbeit in der Zeit vom 9. Juni bis 11. Juli 1986 im Bereich Versand bekannt gewesen. Angesichts der Kenntnis dieser Umstände durch den Betriebsrat hätten sich nähere Erläuterungen erübrigt. Da sie die Krankheitsursache nicht gekannt habe, habe die Beklagte diese auch nicht bezeichnen können.

Nicht ausreichend sei jedoch die Unterrichtung über die "nicht hinreichende Arbeitsleistung" des Klägers gewesen. Die Mitteilung im Anhörungsschreiben erschöpfe sich in einer reinen Bewertung. Damit sei die Anhörung aber nicht insgesamt unwirksam. Es gehe nicht um die Anhörung zu mehreren voneinander getrennten Kündigungsgründen. Der Hinweis auf die nicht ausreichende Arbeitsleistung stütze nur die Erläuterung der Beklagten, die Neubesetzung des Arbeitsplatzes des Klägers mit einem zuverlässigen Mitarbeiter sei dringend erforderlich. Da die Beklagte dem Betriebsrat keine Tatsachen habe vorenthalten wollen, auf die später die Kündigung hätte gestützt werden sollen, sei dem kollektiven Interesse des Betriebsrats dadurch genüge getan, daß sie hinreichend verdeutlicht habe, aus welchen Gründen sie den Arbeitsplatz habe neu besetzen wollen. Der Grundgedanke des § 139 BGB könne zudem bei einer teilweise den Anforderungen des § 102 BetrVG nicht genügenden Anhörung nicht entsprechend übertragen werden.

Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis zum 15. August 1986 beendet habe, sei auch der Anspruch auf Weiterbeschäftigung unbegründet.

II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, der Betriebsrat sei auch bei Kündigungen, die innerhalb der ersten sechs Monate eines Beschäftigungsverhältnisses ausgesprochen werden sollen, anzuhören. Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat "vor jeder Kündigung" zu hören. Der eindeutige Wortlaut dieser Vorschrift läßt eine Einschränkung auf Kündigungen, die dem allgemeinen (§ 1 KSchG) oder dem besonderen Bestandsschutz unterliegen nicht zu (ganz einhellige Auffassung: BAGE 30, 386 = AP Nr. 17 zu § 102 BetrVG 1972; 31, 1 = AP Nr. 18 zu § 102 BetrVG 1972; 31, 83 = AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 33; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 102 Rz 3, 4; GK-Kraft, BetrVG, 3. Bearb., § 102 Rz 8; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, § 102 Rz 11, 31; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 102 Rz 6, 13; KR-Etzel, 3. Aufl. § 102 BetrVG Rz 10, 62).

2. Das Berufungsgericht ist weiter zu Recht davon ausgegangen, die Unterrichtung des Betriebsrates habe genauso substantiiert zu erfolgen wie bei Kündigungen, gegen die der Arbeitnehmer gemäß § 1 KSchG geschützt ist (so BAGE 30, 386; 31, 1; 31, 83 = AP, aa0; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aa0, Rz 19; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, aa0, Rz 31; KR-Etzel, aa0, Rz 62; wohl auch: Dietz/Richardi, aa0, Rz 55; a.A. Hess/Schlochauer/Glaubitz, aa0, Rz 38).

a) Es hat zutreffend ausgeführt, der Betriebsrat sei immer dann ordnungsgemäß angehört worden, wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner subjektiven Sicht tragenden Umstände in der Substanz unterbreitet hat.

aa) Wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat bewußt ihm bekannte und seinen Kündigungsentschluß bestimmende Tatsachen vorenthält, die nicht nur eine Ergänzung oder Konkretisierung des mitgeteilten Sachverhaltes darstellen, sondern diesem erst das Gewicht eines Kündigungsgrundes geben oder weitere eigenständige Kündigungsgründe beinhalten, dann ist das Anhörungsverfahren fehlerhaft und die Kündigung nach § 102 BetrVG unwirksam (vgl. die Darstellung der Rechtsprechung im Urteil des Senates vom 27. Juni 1985 - 2 AZR 412/84 - BAGE 49, 136 = AP Nr. 37 zu § 102 BetrVG 1972 sowie die Konkretisierung in den nichtveröffentlichten Entscheidungen des Senates vom 12. April 1984 - 2 AZR 439/83 - und vom 18. September 1986 - 2 AZR 638/85 -).

bb) Teilt der Arbeitgeber hingegen objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deswegen nicht mit, weil er darauf die Kündigung (zunächst) nicht stützen will oder weil er sie bei seinem Kündigungsentschluß für unerheblich oder entbehrlich hält, dann ist zwar die Anhörung ordnungsgemäß, weil eine nur bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Gründe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG führt (BAGE 34, 309, 315 = AP Nr. 22 zu § 102 BetrVG 1972, zu B II 2 der Gründe). Die in diesem Sinne (objektiv) unvollständige Anhörung verwehrt es aber dem Arbeitgeber, im Kündigungsschutzprozeß Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhaltes hinausgehen (BAGE 34, 309, 318 f. = AP, aa0, zu B II 2 c der Gründe; BAGE 35, 190, 196 f. = AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972, zu III 1 der Gründe). Die objektiv unvollständige Unterrichtung des Betriebsrates über die für die Kündigung wesentlichen Umstände hat demgemäß nur mittelbar dann die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge, wenn der verwertbare Sachverhalt die Kündigung nicht trägt, d.h., wenn es der sachlichen Rechtfertigung der Kündigung nach § 1 KSchG oder § 626 BGB bedarf und dazu der mitgeteilte Kündigungssachverhalt nicht ausreicht.

cc) Wenn - wie vorliegend - der Schutz nach dem KSchG noch nicht eingreift und auch keine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB zu beurteilen ist, wirkt sich eine nur objektiv unvollständige Unterrichtung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG auf die materiellrechtliche Wirksamkeit einer Kündigung nicht aus, die (noch) keines gesetzlichen Kündigungsgrundes bedarf. Der tragende Grund für diese Rechtsfolge ist die subjektive Determination der Anhörungspflicht und nicht die Erwägung, an Inhalt und Umfang der dem Betriebsrat mitzuteilenden Tatsachen dürften keine strengeren Anforderungen gestellt werden, als an die Begründungspflicht im Prozeß (so zumindest mißverständlich LAG Berlin Urteil vom 19. August 1988 - 2 Sa 16/88 - DB 1989, 129; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., Vor § 620 Rz 201; richtig insoweit Martens, EWiR, § 102 BetrVG 1/89). Auch die an sich zutreffende kritische Anmerkung von Martens (aaO) bedarf insoweit einer Korrektur, als die auf die subjektive Beurteilung durch den Arbeitgeber abstellende Mitteilungspflicht nach § 102 BetrVG weder durch die objektive Rechtslage noch durch die Interessen des Betriebsrates an weitergehenden Informationen beeinflußt und bestimmt wird.

dd) Auch wenn es - wie vorliegend - um eine Kündigung in den ersten sechs Monaten des Bestandes des Arbeitsverhältnisses geht, ist die Substantiierungspflicht gegenüber dem Betriebsrat nicht an den objektiven Merkmalen der noch nicht erforderlichen Kündigungsgründe nach § 1 KSchG, sondern daran zu messen, welche konkreten Umstände oder subjektiven Vorstellungen zum Kündigungsentschluß geführt haben. Die Revision erstrebt demgegenüber eine unzulässige zeitliche und sachliche Vorverlagerung des Bestandsschutzes nach dem KSchG in das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG.

Prüfungsmaßstab dafür, ob der Arbeitgeber seine Anhörungspflicht bei einer Kündigung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten erfüllt hat, sind auch nicht die Grundsätze, die der Senat für das Anhörungsverfahren bei einer krankheitsbedingten Kündigung aufgestellt hat, die nach § 1 KSchG der sozialen Rechtfertigung bedarf (BAGE 44, 249 = AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972). Diese Entscheidung beschreibt die objektiven Umstände, auf die sich eine Anhörung erstrecken muß, damit der für die krankheitsbedingte Kündigung wesentliche Sachverhalt im Prozeß in vollem Umfang verwertet werden kann. Hinsichtlich der "subjektiven Seite" der Anhörung hat der Senat hingegen ausdrücklich betont, der Arbeitgeber müsse dem Betriebsrat nur diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner Meinung die Kündigung rechtfertigten und für seinen Kündigungsentschluß maßgebend gewesen seien.

b) Der Betriebsrat soll sich aufgrund der Mitteilung der Gründe durch den Arbeitgeber selbst ein Bild über die Berechtigung der beabsichtigten Kündigung machen können und dadurch die Möglichkeit erhalten, in seiner Stellungnahme seinerseits substantiiert Bedenken zu erheben. Die Regelung des § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG verfolgt allerdings keinen Selbstzweck. Sinn und Zweck dieser primär dem kollektiven Interessenschutz dienenden Bestimmung (vgl. BAGE 30, 386; 31, 1 = AP, aa0) ist es allein, den Betriebsrat zu befähigen, sein Anhörungsrecht ordnungsgemäß auszuüben. Hat der Betriebsrat bereits vor der Anhörung den erforderlichen Kenntnisstand erlangt, um die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und eine Stellungnahme hierzu abgeben zu können, und geht der Arbeitgeber davon berechtigt aus, dann wäre es eine überflüssige Förmelei, vom Arbeitgeber dann gleichwohl noch eine detaillierte Begründung zu verlangen (BAGE 26, 102, 105 =AP Nr. 3 zu 102 BetrVG 1972, zu I 2 der Gründe; 31, 83, 90 =AP, aa0, zu III 3 der Gründe; 44, 249 = AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972; 30, 386, 395 = AP, aa0, zu III 4 der Gründe; 40, 95 = AP Nr. 25 zu § 102 BetrVG 1972).

c) Das Landesarbeitsgericht ist bei der Prüfung des § 102 BetrVG hinsichtlich der Anhörung zu der weiteren Kündigungsbegründung ("nicht ausreichende Arbeitsleistung") primär davon ausgegangen, die Unterrichtung des Betriebsrates sei insoweit für sich betrachtet nicht ausreichend gewesen, weil sie sich in einer reinen Bewertung durch die Beklagte erschöpft habe. Diese Würdigung wird der besonders gelagerten Fallgestaltung nicht gerecht.

aa) Im Grundsatz ist an der ständigen Rechtsprechung festzuhalten, nach der mit den für die Kündigung maßgebenden Gründen im Sinne des § 102 Abs. 1 BetrVG die Tatsachen gemeint sind, die den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers bestimmt haben. Der Arbeitgeber muß den von ihm für erheblich gehaltenen Kündigungssachverhalt substantiiert schildern und dazu genügt es in der Regel nicht, die Kündigungsgründe nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig zu bezeichnen oder bloße Werturteile ohne Angabe der für die Bewertung maßgebenden Tatsachen mitzuteilen (BAGE 30, 386, 394; 31, 83, 89; 34, 309, 320 = jeweils AP, aa0; BAG Urteil vom 11. Mai 1983 - 7 AZR 358/81 -, n. v.).

bb) Bereits im Urteil vom 13. Juli 1978 (BAGE 30, 386, 394 = AP, aa0) hat es der Senat aber offengelassen, ob eine ausreichende Unterrichtung des Betriebsrates nicht auch dann vorliegen kann, wenn es dem Arbeitgeber nur deswegen nicht möglich ist, auf bestimmte Tatsachen gestützte Kündigungsgründe mitzuteilen, weil er überhaupt keine Gründe hat oder weil sein Kündigungsentschluß allein von subjektiven, durch Tatsachen nicht belegbare Vorstellungen bestimmt wird (ebenso Urteil des Siebten Senates vom 11. Mai 1983, aa0). Die vorliegende Fallgestaltung macht es erforderlich, zu der bislang nicht abschließend geklärten Frage Stellung zu nehmen, ob und unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise auch die Mitteilung eines Werturteiles oder pauschaler Gründe durch den Arbeitgeber als Unterrichtung nach § 102 BetrVG ausreichen kann.

cc) Es ist eine Konsequenz der subjektiven Determinierung der Mitteilungspflicht des Arbeitgebers nach § 102 Abs. 1 BetrVG, in diesen Fällen die Unterrichtung über die subjektiven Vorstellungen ausreichen zu lassen (ebenso KR-Etzel, aa0; MünchKomm-Schwerdtner, aaO). Jede andere Lösung wäre systemwidrig und realitätsfremd. Sie würde vom Arbeitgeber geradezu verlangen, tatsächlich nicht vorhandene objektive Gründe für seinen Kündigungsentschluß zu erfinden und vorzuschieben.

Der Arbeitgeber kommt nach diesen Grundsätzen seiner Pflicht zur Unterrichtung des Betriebsrates dann nicht nach, wenn er auch aus seiner subjektiven Sicht dem Betriebsrat bewußt unrichtige oder unvollständige Sachdarstellungen unterbreitet (BAGE 44, 201, 206 f.) oder wenn er bewußt ihm bekannte, genau konkretisierbare Kündigungsgründe nur pauschal vorträgt, obwohl sein Kündigungsentschluß auf der Würdigung konkreter Kündigungssachverhalte beruht. Dagegen ist die Anhörung nicht zu beanstanden, wenn der Arbeitgeber aus seiner subjektiven Sicht konsequent handelt, indem er trotz konkreter Anhaltspunkte seinen Kündigungsentschluß nur aus subjektiven, pauschalen Werturteilen herleitet. Bedarf die Kündigung allerdings zur Rechtfertigung konkreter Gründe, dann kann der Arbeitgeber, wie bereits dargelegt, diese im Kündigungsschutzprozeß nicht mehr nachschieben.

dd) Der Verzicht auf einen rational gefaßten und begründbaren Kündigungsentschluß wird allerdings in der Praxis die Ausnahme bilden. Wenn der zur Kündigung anstehende Arbeitnehmer nur unter den Voraussetzungen des § 1 KSchG gekündigt werden kann, wird ein besonnener Arbeitgeber schon im wohlverstandenen Eigeninteresse von einer Kündigung aufgrund reiner Werturteile absehen, weil er einen zur sozialen Rechtfertigung erforderlichen Kündigungssachverhalt dann wegen der insoweit unterlassenen Anhörung des Betriebsrates nicht mehr in den Kündigungsschutzprozeß einführen kann. Bei Kündigungen in den ersten sechs Monaten des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses werden wirtschaftlich denkende Arbeitgeber zumeist schon durch die mit der Einarbeitung neuer Mitarbeiter verbundenen Kosten und Schwierigkeiten davon abgehalten werden, sich von einem Arbeitnehmer aus reinen Emotionen oder aufgrund einer nicht an sachlichen Kriterien ausgerichteten Beurteilung zu trennen. Der Arbeitgeber kann mit einer völlig unsubstantiierten Begründung zudem selbst den Verdacht begründen, nicht nur aus nicht mit Tatsachen belegbaren, sondern aus von der Rechtsordnung mißbilligten Gründen (z.B. § 138 BGB) gekündigt zu haben.

Von diesen Vorbehalten abgesehen, besteht kein Anlaß, die wegen Fehlens substantiierbarer Gründe vorgenommene unsubstantiierte Unterrichtung des Betriebsrates als fehlerhafte Anhörung nach § 102 BetrVG zu behandeln.

3. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das angefochtene Urteil zu bestätigen.

a) Soweit die Beklagte die Kündigung gegenüber dem Betriebsrat mit den krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers begründet hat, ist die Ordnungsmäßigkeit der Anhörung nicht zu bezweifeln.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte dem Betriebsrat eine genaue Liste der Fehlzeiten vorgelegt. Ob aus diesen Fehlzeiten die für eine nach § 1 KSchG zu beurteilende krankheitsbedingte Kündigung erforderliche negative Prognose des künftigen Verlaufes der Erkrankung herzuleiten gewesen wäre, ist entgegen der Auffassung der Revision rechtlich unerheblich. Das wäre nur für die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung von Bedeutung, nicht aber für die Ordnungsmäßigkeit der Anhörung des Betriebsrates. Während der ersten sechs Monate kann ein Arbeitsverhältnis nicht nur gekündigt werden, wenn aus den gleichen Gründen bei Anwendbarkeit des KSchG eine Kündigung berechtigt gewesen wäre. Wenn die Beklagte angenommen hat, schon das dreimalige Fehlen des Klägers innerhalb seiner Beschäftigungsdauer von drei Monaten lasse Schlüsse auf künftig zu erwartende Fehlzeiten zu, dann mag das zwar bei objektiver Wertung zweifelhaft sein. Mehr als die tatsächlich angestellten Erwägungen konnte und brauchte die Beklagte aber im Rahmen des § 102 BetrVG nicht mitzuteilen.

Wie aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts weiter feststeht, hat die Beklagte dem Betriebsrat auch die aus ihrer Sicht maßgeblichen betrieblichen Auswirkungen mitgeteilt.

Im Anhörungsschreiben heißt es zwar nur, die Beklagte sei dazu übergegangen, zeitlich Ersatzkräfte im Versandbereich einzusetzen, um die dort in der Hauptsaison verstärkt anfallenden Arbeiten zu bewältigen. Das Landesarbeitsgericht hat aber weiter festgestellt, im Rahmen des Einstellungsverfahrens nach § 99 BetrVG von sieben Aushilfskräften im Zeitraum vom 2. Juni bis zum 22. August 1986 sowie aufgrund der Verhandlungen über die Mehrarbeit im Zeitraum vom 9. Juni bis zum 11. Juli 1986 im Bereich Versand sei dem Betriebsrat bekannt gewesen, daß die anfallende Arbeit trotz Aushilfen "kaum bewältigt" werden konnte. Die Beklagte sei angesichts dieser Kenntnis des Betriebsrates nicht gehalten gewesen, weiter zu erläutern, wieso eine zuverlässige Ersatzkraft anstelle des Klägers eingestellt werden müsse. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind für den Senat bindend, weil sie nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden sind, und die rechtliche Würdigung dieses Sachverhaltes ist zutreffend.

Auf die von der Revision vermißte fehlende Mitteilung von Lohnfortzahlungskosten kommt es schon deshalb nicht an, weil selbst die krankheitsbedingte Kündigung, die nach § 1 KSchG zu prüfen ist, unabhängig von der wirtschaftlichen Belastung auch dann gerechtfertigt sein kann, wenn erhebliche und unzumutbare Störungen des Betriebsablaufes vorliegen (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1985 - 2 AZR 657/84 - AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

b) Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, die Kündigung sei auch nicht deshalb wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrates unwirksam, weil die Beklagte den weiteren Kündigungsgrund der "nicht ausreichenden Arbeitsleistung" des Klägers weder im Anhörungsschreiben noch im Prozeß näher konkretisiert habe.

aa) Da es insoweit auf die subjektive Sicht des Arbeitgebers ankommt und nicht auf die Konkretisierbarkeit und die tatsächliche Substantiierung des Kündigungsgrundes, hätte die Beklagte den Betriebsrat nur dann unrichtig informiert, wenn sie die negative Bewertung der Arbeitsleistung des Klägers tatsächlich aus konkreten Tatsachen hergeleitet hat. Eine solche Fallgestaltung lag dem Urteil des Siebten Senates vom 11. Mai 1983 (aaO) zugrunde. Dort war der Betriebsrat nur schlagwortartig unterrichtet worden, obwohl der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluß auf substantiierbare Tatsachen gestützt hatte.

Das kann der Beklagten vorliegend nicht unterstellt werden, weil es ihr nach der zutreffenden Würdigung des Landesarbeitsgerichts auch im Laufe des Kündigungsschutzprozesses nicht gelungen ist, näher darzulegen, weshalb die Arbeitsleistungen des Klägers nicht hinreichend gewesen sein sollen. Die Beklagte hat sich damit bei der Anhörung des Betriebsrates insoweit auf ein Werturteil beschränkt, das sie offensichtlich nicht weiter konkret begründen konnte.

Unabhängig davon, ob diese Beurteilung des Klägers für die Beklagte ein weiterer eigener Anlaß zur Kündigung gewesen ist, oder ob es - wie das Landesarbeitsgericht erwogen hat - keine eigene Bedeutung hat, sondern nur auf die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers zu beziehen ist, war die Anhörung des Betriebsrates auch insoweit nicht fehlerhaft.

bb) Zutreffend ist zudem auch die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts, eine etwa fehlerhafte Anhörung hinsichtlich des Werturteils habe nicht zur Unwirksamkeit der Anhörung insgesamt geführt.

Wenn beim Vorliegen mehrerer Gründe ein Kündigungsgrund dem Betriebsrat nicht hinreichend substantiiert mitgeteilt worden ist, dann ist das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG deswegen nicht insgesamt fehlerhaft. Der Senat ist vielmehr in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, ordnungsgemäß mitgeteilte Gründe seien auch dann gerichtlich für die Prüfung der Kündigung verwertbar, wenn hinsichtlich anderer Kündigungsgründe keine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates durchgeführt worden sei (vgl. BAGE 34, 309, 325 AP, aa0, zu II 5 der Gründe; 35, 190 = AP, aa0; Urteil vom 11. April 1985 - 2 AZR 239/84 - AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972). Das gilt jedenfalls für die Fälle, in denen keine Verletzung der subjektiven Mitteilungspflicht durch den Arbeitgeber, sondern nur eine bei objektiver Wertung unvollständige oder zu pauschale Mitteilung einzelner Kündigungsgründe durch den Arbeitgeber vorliegt. Davon ist im Streitfall auszugehen, weil das Berufungsgericht bindend festgestellt hat, die Beklagte habe dem Betriebsrat keine ihr zusätzlich bekannten Tatsachen vorenthalten, die für ihren Kündigungsentschluß maßgebend gewesen seien.

Hillebrecht Triebfürst Ascheid

Weyers Dr. Bächle

 

Fundstellen

BAGE 59, 295-306 (LT1-3)

BAGE, 295

DB 1989, 1575-1577 (LT1-3)

NJW 1990, 69

NJW 1990, 69 (L1-3)

EBE/BAG 1989, 90-93 (LT1-3)

BetrVG, (3) (LT1-3)

ARST 1989, 141-143 (LT1-3)

NZA 1989, 852-854 (LT1-3)

RdA 1989, 194

RzK, III 1a 34 (LT1-3)

SAE 1989, 299-302 (LT1-3)

ZAP, EN-Nr 193/89 (S)

ZIP 1989, 1008-1012 (LT1-3)

ZIP 1989, 1009

AP § 102 BetrVG 1972 (LT1-3), Nr 49

AR-Blattei, ES 1020 Nr 298 (LT1-3)

AR-Blattei, Kündigungsschutz Entsch 298 (LT1-3)

ArztR 1990, 102 (KT)

EzA § 102 BetrVG 1972, Nr 73 (LT1-3)

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