Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit eines Wahlanfechtungsverfahrens nach Ausscheiden eines oder mehrerer die Anfechtung betreibender Arbeitnehmer aus dem Betrieb

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Arbeitgeber ist in einem von drei oder mehreren Arbeitnehmern oder einer Gewerkschaft geführten Wahlanfechtungsverfahren beteiligungsbefugt. Er ist auch dann rechtsmittelbefugt, wenn er keinen eigenen, sondern nur einen unterstützenden Antrag gestellt hat.

2. Ein von drei oder mehreren Arbeitnehmern eingeleitetes Wahlanfechtungsverfahren wird nicht unzulässig, wenn die Arbeitnehmer während der Dauer des Beschlußverfahrens aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung BAG 14.2.1978 - 1 ABR 46/77 = BAGE 30, 114 = AP Nr 7 zu § 19 BetrVG 1972 und BAG 10. Juni 1983 - 6 ABR 50/82 = BAGE 44, 47 = AP Nr 10 zu § 19 BetrVG 1972; Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 27.4.1983 - 6 P 17.81 67 = BVerwGE 67, 145). Allerdings müssen wenigstens drei Arbeitnehmer das Beschlußverfahren weiter betreiben (im Anschluß an BAG Beschluß vom 12. Februar 1985 - 1 ABR 11/84 = BAGE 48, 96 = AP Nr 27 zu § 76 BetrVG 1952).

3. Die tatsächliche und finanzielle Unterstützung einer Gruppe von Kandidaten bei der Herstellung einer Wahlzeitung durch den Arbeitgeber stellt einen Verstoß gegen § 20 Abs 2 BetrVG dar, der zur Unwirksamkeit der Betriebsratswahl führt.

 

Orientierungssatz

Scheiden die anfechtenden Arbeitnehmer zwischenzeitlich aus dem Betrieb aus, so wird dadurch der Fortbestand des für die Zulässigkeit des Antrags gebotenen Rechtsschutzinteresse nicht berührt.

 

Normenkette

BetrVG §§ 19, 20 Abs. 2; ArbGG § 83 Abs. 3 Fassung: 1979-07-02

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Entscheidung vom 06.03.1985; Aktenzeichen 6 TaBV 8/84)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 08.08.1984; Aktenzeichen 18 BV 5/84)

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Die Beteiligte zu 5) betreibt in Berlin ein Motorradwerk. Dem dort gewählten Betriebsrat, dem Antragsgegner, gehörten bis 1984 die Antragsteller zu 1) und 2) an. Der Antragsteller zu 1) war zuletzt stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Der Antragsteller zu 3) war wahlberechtigter Arbeitnehmer des Betriebs.

Vor der Betriebsratswahl 1984 fand am 27. und 28. März 1984 eine Betriebsversammlung statt, in der die Antragsteller zu 1) und 2) den Bericht des Betriebsrats über seine Arbeit in der abgelaufenen Amtsperiode abgaben. Der Werksleiter G nahm im Anschluß daran dazu Stellung. Der Inhalt der Stellungnahme im einzelnen ist Gegenstand des vorliegenden Beschlußverfahrens.

Am 2. und 3. April 1984 wurde nach den Grundsätzen der Persönlichkeitswahl ein neuer 15-köpfiger Betriebsrat gewählt. Zuvor hatten sich alle Kandidaten auf einer alphabetischen Liste mit Bild, einigen Daten zur Person und einer Kurzaussage über ihre Vorstellungen der Betriebsratsarbeit vorgestellt. Die Kosten der Liste hat die Antragsgegnerin übernommen. Daneben verteilten einige Kandidaten, die unter der Bezeichnung "Mannschaft der Vernunft" gemeinsam auftraten, an den Wahltagen eine nicht vom Wahlvorstand herausgegebene besondere Wahlzeitung, die ausschließlich ihre eigenen Kandidaten mit Fotos und Texten in Deutsch, Türkisch und Serbokroatisch vorstellte. Diese besondere Wahlzeitung war unter technischer Hilfe der PR-Abteilung der Beteiligten zu 5) erstellt und ihre Drucklegung von der Beteiligten zu 5) finanziert worden. Nach dem am 5. April 1984 vom Wahlvorstand bekannt gemachten Wahlergebnis entfielen sämtliche Betriebsratsmandate auf Kandidaten der "Mannschaft der Vernunft". Der Beteiligte zu 2) erreichte den 16. Platz mit 12 Stimmen Rückstand auf den 15. Platz, während der Beteiligte zu 1) den 17. Platz mit 57 Stimmen Rückstand zum 15. Platz und der Beteiligte zu 3) den 26. Platz erreichte.

Die Antragsteller leiteten mit am 17. April 1984 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Antrag das vorliegende Beschlußverfahren ein.

Die Beteiligte zu 5) kündigte in der Folgezeit die Arbeitsverhältnisse der Antragsteller mehrfach. Auf entsprechende Kündigungsschutzklagen der Antragsteller haben die Gerichte für Arbeitssachen zu einigen Kündigungen festgestellt, daß sie die Arbeitsverhältnisse nicht aufgelöst haben. Weitere Kündigungsschutzklagen sind noch nicht rechtskräftig entschieden. Beschäftigt wird lediglich der Antragsteller zu 3) nach einer unter Vorbehalt angenommenen Änderungskündigung in einem anderen Betrieb der Beteiligten zu 5).

Die Antragsteller haben in den Äußerungen des Werksleiters G in der Betriebsversammlung vom 27. und 28. März 1984, der Herstellung und Finanzierung der besonderen Wahlzeitung und in anderem Verhalten der Werksleitung und leitender Mitarbeiter eine unzulässige Wahlbeeinflussung gesehen. So sei der Belegschaft von Arbeitnehmern mit Leitungsfunktionen gezielt mitgeteilt worden, nach einer Absprache mit dem Vorstand sei für den Fall der Wiederwahl der Beteiligten zu 1) und 2) beschlossen, Sozialleistungen zu streichen. Dem Antragsteller zu 3) und einem anderen Kandidaten sei es nicht gestattet worden, sich im Betrieb vorzustellen, während das den Mitgliedern der "Mannschaft der Vernunft" erlaubt worden sei.

Die Antragsteller haben beantragt,

die Betriebsratswahl bei der Beteiligten

zu 5) vom 2. und 3. April 1984 für un-

wirksam zu erklären.

Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 5) hat sich dem Zurückweisungsantrag des Antragsgegners angeschlossen.

Beide haben gemeint, das Verfahren sei nach dem Ausscheiden der Antragsteller aus dem Betrieb unzulässig geworden. Es müsse jedenfalls bis zum rechtskräftigen Abschluß aller Kündigungsschutzprozesse ausgesetzt werden, weil bis dahin nicht feststehe, ob die Antragsteller noch Arbeitnehmer des Motorradwerkes und damit wahlberechtigte und antragsbefugte Belegschaftsmitglieder seien. Das sei aber Voraussetzung für die Zulässigkeit des Wahlanfechtungsverfahrens. Im übrigen sei der Antrag unbegründet, weil eine Wahlbeeinflussung durch die Beteiligte zu 5) nicht stattgefunden habe. Der Werksleiter G habe sich nur kritisch mit dem an vielen Stellen provozierenden Bericht des Betriebsrats auseinandergesetzt. Hierzu sei er berechtigt gewesen. Das gelte auch für die Erwähnung der Sonderleistungen. Auf die arbeitgeberseitige Unterstützung der Herstellung der Wahlzeitung der "Mannschaft der Vernunft" könne die Anfechtung nicht gestützt werden. Der Sachverhalt sei erst nach der Anfechtungsfrist eingeführt worden. Die Beteiligte zu 5) sei dabei nicht aktiv tätig gewesen, sondern von dieser Gruppe von Kandidaten darum gebeten worden, die entsprechenden Kosten zu übernehmen. Dem habe sie entsprochen. Anderen Bewerbern wäre eine gleichartige Hilfe nicht versagt worden, wenn sie gefragt hätten. Außerdem sei nur der "Amtsbonus" der bisherigen Betriebsratsmitglieder ausgeglichen. Ein angeblich über die betrieblichen Vorgesetzten an die Belegschaft gegebener Hinweis auf Wegfall der Sozialleistungen im Fall der Wiederwahl der Antragsteller zu 1) und 2) sei nicht erfolgt. Ebensowenig sei die Wahl dadurch beeinflußt worden, daß einigen Kandidaten der "Mannschaft der Vernunft" ermöglicht worden sei, den Amtsvorteil des bisherigen Betriebsrats dadurch auszugleichen, daß sie sich im begrenzten Rahmen mit den Wahlberechtigten hätten bekannt machen können.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen und die Betriebsratswahl für unwirksam erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 5), der sich der Antragsgegner angeschlossen hat, als unbegründet zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Beteiligte zu 5) die Aufhebung des landesarbeitsgerichtlichen und Abänderung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses und Zurückweisung des Antrags als unzulässig, hilfsweise als unbegründet. Der Antragsgegner hat sich diesem Antrag angeschlossen, während die Antragsteller um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde bitten.

Die von den Vorinstanzen beteiligten im Betrieb vertretenen Gewerkschaften IG-Metall und DAG haben in allen Instanzen keine Anträge gestellt.

II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Die zugelassene Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß und rechtzeitig begründet worden. Die Beteiligte zu 5) ist befugt, das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde einzulegen. Die Rechtsmittelbefugnis folgt aus der Beteiligungsbefugnis (BAG Beschlüsse vom 15. Juli 1960 - 1 ABR 3/59 -, vom 26. Oktober 1962 - 1 ABR 3/61 - und BAG 21, 210 = AP Nr. 10, Nr. 11 und Nr. 18 zu § 76 BetrVG; BAG Beschluß vom 15. November 1963 - 1 ABR 5/63 - AP Nr. 14 zu § 2 TVG; BAG Beschluß vom 6. Oktober 1978 - 1 ABR 75/76 - AP Nr. 2 zu § 101 BetrVG 1972).

Die Beteiligte zu 5) ist nach § 83 Abs. 3 ArbGG beteiligungsbefugt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Beteiligter in einem arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren, wer von der zu erwartenden Entscheidung in seinem betriebsverfassungsrechtlichen Recht oder Rechtsverhältnis unmittelbar betroffen oder berührt wird (BAG 37, 31 = AP Nr. 2 zu § 83 ArbGG 1979; BAG 39, 102 = AP Nr. 3 zu § 80 ArbGG 1979; BAG Beschluß vom 19. September 1985 - 6 ABR 4/85 - EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 22; BAG Beschluß vom 30. Oktober 1986 - 6 ABR 52/83 - zur Veröffentlichung bestimmt). Diese Voraussetzungen sind beim Arbeitgeber im Wahlanfechtungsverfahren gegeben. Denn damit wird entschieden, ob das zwischen ihm und dem gewählten Betriebsrat bestehende betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis aufgelöst wird oder nicht (BAG Beschluß vom 12. Februar 1985 - 1 ABR 11/84 - AP Nr. 27 zu § 76 BetrVG (1952), zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 19 Rz 46; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 19 Rz 36 a; Thiele, GK-BetrVG, Stand September 1978, § 19 Rz 54). Die Beteiligte zu 5) ist durch den angefochtenen Beschluß des Landesarbeitsgerichts auch beschwert. Denn sie ist mit ihrem zulässigen Beschwerdeantrag (BAG Beschluß vom 6. Oktober 1978, aaO) vollständig unterlegen.

2. Die Vorinstanzen haben zu Unrecht die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften beteiligt. Mit Beschluß vom 19. September 1985 - 6 ABR 4/85 - (aaO) hat der Senat seine bis dahin vertretene Auffassung aufgegeben, die im Betrieb vertretenen Gewerkschaften seien am Beschlußverfahren nach § 19 BetrVG immer zu beteiligen, auch wenn sie die Betriebsratswahl nicht angefochten haben, weil sie ein rechtliches Interesse an der gesetzesmäßigen Besetzung des Betriebsrats hätten (BAG 31, 58, 62 = AP Nr. 3 zu § 47 BetrVG 1972; BAG 41, 5, 12 = AP Nr. 24 zu § 118 BetrVG 1972 und BAG 44, 57, 61 = AP Nr. 10 zu § 19 BetrVG 1972). Der Senat hat nunmehr die Beteiligungsbefugnis der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften verneint. Daran wird festgehalten. Aus der Zugehörigkeit zum Kreis der Wahlanfechtungsberechtigten nach § 19 Abs. 2 BetrVG folgt die Beteiligungsbefugnis ebensowenig wie aus § 83 Abs. 3 ArbGG.

3. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Wahlanfechtungsverfahren werde unzulässig, wenn zwischenzeitlich einer von drei wahlberechtigten Arbeitnehmern, die allein das Verfahren eingeleitet hatten, aus dem betreffenden Betrieb ausscheidet. Das sei eindeutig, wenn die Beendigung auch nur eines Arbeitsverhältnisses der Arbeitnehmer unzweifelhaft feststehe. Wenn jedoch über den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse der die Anfechtung einleitenden Arbeitnehmer noch gestritten werde, könne noch nicht von einem endgültigen Wegfall der Anfechtungsbefugnis ausgegangen werden. In diesem Zwischenstadium, bei dem weder die Bejahung noch die Verneinung des Fortbestands der Arbeitsverhältnisse der Antragsteller rechtlich abschließend möglich sei, könne das Verfahren zwar bis zum rechtskräftigen Abschluß der anhängigen Kündigungsrechtsstreitigkeiten ausgesetzt werden. Da das aber faktisch der Versagung eines effektiven Rechtsschutzes gleichkomme, verbiete sich eine Aussetzung. Der somit weiterhin zulässige Antrag sei auch begründet. Nach dem im wesentlichen unstreitigen Sachverhalt habe die Beteiligte zu 5) die in ihrem Betrieb am 2. und 3. April 1984 durchgeführte Betriebsratswahl unzulässig beeinflußt. Das sei ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 20 Abs. 2 BetrVG. Das Beeinflussungsverbot des § 20 Abs. 2 BetrVG schütze die innere Willensbildung des Arbeitnehmers. Denn nur durch eigenbestimmte Willensbildung sei eine freie Wahlentscheidung als unabdingbare Voraussetzung zur Sicherung des dem wahren Wählerwillen entsprechenden Ergebnisses möglich. Unzulässig sei nicht nur die tatsächliche Zufügung von Nachteilen oder die tatsächliche Gewährung von Vorteilen, sondern auch schon die Androhung und das Inaussichtstellen. Das Verbot, auf den wahlberechtigten Arbeitnehmer dahingehend einzuwirken, sein Wahlrecht nicht nach eigener Entscheidung, sondern in dem von anderer Seite gewünschten Sinne auszuüben, richte sich grundsätzlich gegen jedermann, auch gegen den Arbeitgeber. Für diesen komme noch hinzu, daß er sich strikt jeder Meinungsäußerung zu enthalten habe, die in Gestalt einer Wahlpropaganda Einfluß auf die Willensentscheidung zugunsten bestimmter Kandidaten nehmen könnte. Die Betriebsratswahl diene der Legitimation der betrieblichen Arbeitnehmerrepräsentanten, die im Verhältnis zum Arbeitgeber die Beteiligungsrechte der Belegschaft ausübten. Bei der Bildung der Arbeitnehmervertretung, der zukünftigen Partnerin im Rahmen der Betriebsverfassung, obliege dem Arbeitgeber ein von sich heraus selbstverständliches Neutralitätsgebot. Daran habe sich der Werksleiter G bei seiner Stellungnahme in der Betriebsversammlung nicht gehalten. Bei dem geringen Stimmenabstand zwischen den von den Beteiligten zu 1) und 2) erreichten Plätzen und dem noch zum Einzug in den gewählten Betriebsrat berechtigten Platz 15 könne angenommen werden, daß bei sachlicheren und zurückhaltenderen Äußerungen des Werksleiters in der Betriebsversammlung die Wahl einen anderen Ausgang genommen hätte. Eine Wahlbeeinflussung der Beteiligten zu 5) sei auch darin zu sehen, daß sie die unter der "Mannschaft der Vernunft" zusammengefaßte Gruppierung von Wahlkandidaten durch Herstellung und Finanzierung einer besonderen Wahlzeitung unterstützt habe. Auch damit habe die Beteiligte zu 5) gegen das Neutralitätsgebot des § 20 Abs. 2 BetrVG verstoßen. Die Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 BetrVG habe die Antragsteller nicht daran gehindert, diesen Vorwurf zur weiteren Begründung ihres Antrags in das Verfahren einzuführen. Mit der Wahlzeitung habe die Beteiligte zu 5) der Gruppierung "Mannschaft der Vernunft" einen besonderen Vorteil bei der Wahlpropaganda gewährt. Sie habe sich damit in unzulässiger Weise in den aktiven Wahlkampf eingeschaltet. Die Rechtfertigung, den sog. Amtsbonus des bisherigen Betriebsrats auszugleichen und Chancengleichheit herzustellen, sei nicht geeignet, den Vorwurf einer das Neutralitätsgebot verletzenden Unterstützung zu entkräften. Denn innerhalb der "Mannschaft der Vernunft" hätten auch Mitglieder des amtierenden Betriebsrats kandidiert. Nach dieser Bewertung komme es nicht mehr darauf an, ob auch die übrigen von den Antragstellern erhobenen Vorwürfe zuträfen.

4. Der Senat kann dem Landesarbeitsgericht nicht in allen Teilen der Begründung folgen.

a) Das Wahlanfechtungsverfahren ist nicht unzulässig geworden, weil die Antragsteller nach Kündigungen der Beteiligten zu 5) möglicherweise nicht mehr Arbeitnehmer im Motorradwerk Berlin der Beteiligten zu 5) sind und deshalb ihre Wahlberechtigung verloren haben. Wegen der Ungewißheit braucht das Beschlußverfahren auch nicht bis zur Rechtskraft aller zwischenzeitlich angestrengten Kündigungsschutzprozesse ausgesetzt zu werden. Denn der Senat gibt die in seinem Beschluß vom 10. Juni 1983 (BAG 44, 57, 60 = AP Nr. 10 zu § 19 BetrVG 1972) vertretene Ansicht auf, die Antragsberechtigung von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern müsse während der gesamten Dauer des Beschlußverfahrens gegeben sein. Er schließt sich damit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an (BVerwGE 67, 145; BVerwG Beschluß vom 20. November 1983 - 6 P 22.83 - PersV 1986, 26). Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts, dessen Rechtsprechung (BAG 30, 114 = AP Nr. 7 zu § 19 BetrVG 1972) der erkennende Senat bisher gefolgt ist, hat auf Anfrage gemäß Beschluß vom 22. Mai 1986 am 14. Juli 1986 beschlossen, an seiner im Beschluß vom 14. Februar 1978 (- 1 ABR 46/77 - = AP Nr. 7 zu § 19 BetrVG 1972) zum Ausdruck gekommenen Rechtsauffassung nicht festhalten zu wollen, daß die die Betriebsratswahl anfechtenden Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des Anfechtungsverfahrens auch wahlberechtigt bleiben müssen. So erübrigt sich die Anrufung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts.

b) Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind berechtigt zur Anfechtung der Betriebsratswahl neben dem Arbeitgeber und einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft mindestens drei Wahlberechtigte. Die Wahlanfechtung ist binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der Bekanntgabe des Wahlergebnisses an gerechnet, zulässig (§ 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG).

Die Antragsteller haben mit der beim Arbeitsgericht am 17. April 1984 eingegangenen Antragsschrift die am 19. April 1984 ablaufende Anfechtungsfrist gewahrt.

Sie haben ungeachtet dessen, zwischenzeitlich aus dem Motorradwerk Berlin der Beteiligten zu 5) möglicherweise ausgeschieden zu sein, ihre Anfechtungsbefugnis behalten. Denn entgegen der bisherigen Auffassung des Bundesarbeitsgerichts wird die Anfechtungsbefugnis durch das Ausscheiden eines oder mehrerer Antragsteller aus dem Betrieb nicht berührt. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG setzt lediglich die Wahlberechtigung der Antragsteller zum Zeitpunkt der Durchführung der Wahl voraus. Daneben ist nur verfahrensrechtlich zu verlangen, daß die Wahlanfechtung während der Dauer des Beschlußverfahrens von den mindestens drei antragstellenden Arbeitnehmern getragen wird (BAG Beschluß vom 8. Dezember 1981 - 1 ABR 71/79 - AP Nr. 25 zu § 76 BetrVG (1952); BAG Beschluß vom 12. Februar 1985, aaO). Die Rücknahme des Antrags durch einen von drei Antragstellern - ohne Zustimmung der anderen Beteiligten ohnehin nur im erstinstanzlichen Verfahren möglich - machte die Anfechtung unzulässig. Diese Rechtsfrage bewirkt das Ausscheiden eines oder mehrerer der antragstellenden Arbeitnehmer aus dem Betrieb nicht. Mit dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist eine derartige Annahme nicht zu rechtfertigen. Danach ist vielmehr eine Anknüpfung an die Voraussetzungen des § 7 BetrVG für die Wahlberechtigung anzunehmen. Diese Norm nennt Arbeitnehmer des Betriebes, die am letzten Wahltag das erforderliche Wahlalter erreicht haben (Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 7 Rz. 6; Dietz/Richardi, aaO, § 7 Rz. 3). Der Bezug auf die Wahlberechtigung zum Zeitpunkt der Wahl entspricht auch dem Sinn und Zweck eines Wahlanfechtungsverfahrens. Die Wahlen nach dem Betriebsverfassungsgesetz sind ebenso wie Wahlen nach anderen Vorschriften ein punktuelles Ereignis. Die materiellen Rechtsfragen, die sich zum Verlauf und Ergebnis der Wahlhandlung stellen, werden nach den Ereignissen bis zur Wahl und bei der Wahl beurteilt. Das muß auch für die Voraussetzung der Anfechtungsberechtigung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gelten. Dieses Tatbestandsmerkmal auf eine zukünftige Wahlhandlung zu beziehen, wie es im Ergebnis nach der bisherigen Rechtsprechung geschehen ist, vermag schon deswegen nicht zu überzeugen, weil ungewiß ist, ob eine weitere Wahl jemals stattfinden wird oder ob die anfechtenden Arbeitnehmer eine solche erleben werden. Für ein derartiges Verständnis der Anfechtungsberechtigung spricht auch die Auffassung zum Bundestagswahlrecht und zum Kommunalwahlrecht. Danach ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Wahlanfechtung die Wahlberechtigung am Wahltag (BVerwGE 67, 145, 148, 149 m.w.N.).

Auch der Fortbestand des für die Zulässigkeit des Antrags gebotenen Rechtsschutzinteresses wird durch das Ausscheiden der Antragsteller aus dem Betrieb nicht berührt. Wie der Erste Senat zutreffend ausgeführt hat, kann aus § 19 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht geschlossen werden, drei oder mehr anfechtende Arbeitnehmer sollten und könnten als Gruppe kollektive Interessen der Arbeitnehmer wahrnehmen (Beschluß vom 12. Februar 1985 - 1 ABR 11/84 - aaO, zu II 2 b der Gründe). Die anfechtenden Arbeitnehmer üben vielmehr individuelle Rechte aus. Daraus folgt jedoch nicht, daß sie zugleich subjektive Interessen wahrnehmen müssen, weil sie z.B. selbst in den Betriebsrat aufrücken wollen. Derartige subjektive Interessen sind nicht Voraussetzung für die Anfechtungsberechtigung. Auch Wahlberechtigte, die nicht kandidiert und nicht einmal gewählt haben, sind anfechtungsberechtigt. Die anfechtenden Arbeitnehmer verfolgen insoweit aus individuellem Recht ein Ziel, das dem Allgemeininteresse dient. Dieses besteht darin, die Beachtung der Wahlvorschriften durchzusetzen, damit nur ein ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat seine Arbeit aufnimmt und die Belegschaft in Fragen der Mitbestimmung nach dem Betriebsverfassungsgesetz gegenüber dem Arbeitgeber vertritt. Das so verstandene Rechtsschutzinteresse bleibt auch dann bestehen, wenn die anfechtenden Arbeitnehmer zwischenzeitlich aus dem Betrieb ausgeschieden sind und die Entscheidung ihnen selbst nicht mehr zugute kommt, weil sie sich an der nächsten Wahl nicht beteiligen können.

Die nunmehr vertretene Auffassung steht im Einklang mit den Vorschriften über die Antragsrücknahme in den Rechtsmittelinstanzen (§§ 87 Abs. 2, 92 Abs. 2 ArbGG). Danach kann nach einer erstinstanzlichen Entscheidung ein Antrag nur mit Zustimmung der übrigen Beteiligten zurückgenommen werden. Diese Bestimmungen werden im Ergebnis umgangen, wenn man mit dem Ausscheiden eines der drei Anfechtungsberechtigten aus dem Betrieb im Beschwerde-oder Rechtsbeschwerdeverfahren den Antrag als nunmehr unzulässig ansieht und eine Sachentscheidung verweigert.

c) Der somit aus anderen Gründen als vom Landesarbeitsgericht angenommene zulässige Antrag ist begründet. Im Motorradwerk Berlin der Beteiligten zu 5) ist gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden. Dadurch konnte das Wahlergebnis beeinflußt werden.

Dem Beschwerdegericht ist in seiner Bewertung der Wahlanfechtungsgründe jedenfalls hinsichtlich der Herstellung und Finanzierung der besonderen Wahlzeitung für die Kandidaten der "Mannschaft der Vernunft" uneingeschränkt zuzustimmen. Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat bindend festgestellt, die Beteiligte zu 5) habe technische Hilfe bei der Herstellung der besonderen Wahlzeitung geleistet, in dem die Fotos der Kandidaten von der PR-Abteilung der Unternehmenszentrale angefertigt wurden und der Druck in einer bayerischen Druckerei besorgt wurde. Das Landesarbeitsgericht hat weiter festgestellt, daß die Beteiligte zu 5) die Kosten dafür übernommen hat, während sie den Kandidaten, die nicht der "Mannschaft der Vernunft" angehörten, solche Hilfen nicht erbrachte. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darin einen Verstoß gegen das auch an den Arbeitgeber gerichtete Wahlbeeinflussungsverbot (Fitting/Auffarth/Kaiser, aaO, § 20 Rz 17; Dietz/Richardi, aaO, § 20 Rz 18; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 20 Rz 11; Gnade/Kehrmann/ Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 20 Rz 14) des § 20 Abs. 2 BetrVG gesehen, der so erheblich ist, daß die Betriebsratswahl unwirksam ist (Fitting/Auffarth/Kaiser, aaO, § 20 Rz 19; Dietz/Richardi, aaO, § 20 Rz 20; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 20 Rz 31; Galperin/Löwisch, aaO, § 20 Rz 17). Denn den Kandidaten der "Mannschaft der Vernunft" ist damit von der Beteiligten zu 5) ein Vorteil im Sinne von § 20 Abs. 2 BetrVG gewährt worden, der weder dadurch zu rechtfertigen ist, daß er nicht von selbst angeboten worden ist und anderen angeblich auch gewährt worden wäre, noch durch einen vermeintlich notwendigen Ausgleich gegenüber dem "Amtsbonus". Im übrigen zeigt der Inhalt eines Schreibens der Leiterin der PR-Abteilung an Herrn N vom 23. März 1984 deutlich, daß man auf seiten der Mitwirkenden bei der Beteiligten zu 5) diese Einschätzung teilte.

Zutreffend hat das Beschwerdegericht aus der Lebenserfahrung geschlossen, besonders aufgemachte Wahlaufrufe zugunsten bestimmter Wahlkandidaten seien geeignet, die Entscheidung des Wählers maßgeblich zu beeinflussen. Wenn das Landesarbeitsgericht es in diesem Zusammenhang unterlassen hat, auf den geringen Stimmenabstand der von den Beteiligten zu 1) und 2) erreichten Plätze zu Platz 15 hinzuweisen, so ist das unschädlich, weil es das Tatbestandsmerkmal der Beeinflussungsmöglichkeit des § 19 Abs. 1 BetrVG mit dem Anfechtungsgrund "Äußerungen des Werksleiters G " festgestellt hat und die weitere Begründung daran ohne optische Unterbrechung anknüpft.

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht schließlich das erstmalige Vorbringen dieses Anfechtungsgrunds im Schriftsatz vom 18. Juni 1984 als unschädlich angesehen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Ersten Senats und der herrschenden Meinung, daß die Antragsteller in ihrem Antrag einen Sachverhalt darlegen müssen, der möglicherweise die Ungültigkeit der durchgeführten Wahl begründen kann, der also nicht schon auf den ersten Blick erkennbar ganz unerheblich ist. Der Sachverhalt muß Anlaß zur Ansicht geben können, es sei bei der Wahl gegen Vorschriften des Betriebsverfassungsrechts verstoßen worden. Wenn das der Fall ist, so können nicht nur Anfechtungsgründe nachgeschoben werden, sondern das Gericht ist dann sogar gehalten, von Amts wegen allen für eine Wahlanfechtung in Betracht kommenden Wahlverstößen nachzugehen, die sich aus dem Vortrag der Beteiligten ergeben (BAG 22, 38, 41 = AP Nr. 17 zu § 18 BetrVG; Dietz/Richardi, aaO, § 19 Rz 44, 48; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 19 Rz 33). Diese Voraussetzungen haben die Antragsteller erfüllt, indem sie in ihrer Antragsschrift das Verhalten des Werksleiters G auf der Betriebsversammlung vom 27. März 1984 schilderten. Schon damit war die Unwirksamkeit der Wahl möglicherweise zu begründen, ohne daß der Senat diesem Anfechtungsgrund weiter nachgehen will. Denn angesichts des die Anfechtung tragenden Verhaltens der Beteiligten zu 5) im Zusammenhang mit der besonderen Wahlzeitung können alle weiteren von den Antragstellern dargestellten und vom Landesarbeitsgericht teilweise bewerteten Anfechtungsgründe unbeachtet bleiben.

Dr. Röhsler Schneider Dörner

Ostkamp Stenzel

 

Fundstellen

Haufe-Index 440553

BAGE 53, 385-396 (LT1-3)

BAGE, 385

BB 1987, 412

DB 1987, 232-233 (LT1-3)

BetrR 1987, 133-136 (LT1-3)

ARST 1987, 165-165 (LT3)

NZA 1987, 120

NZA 1987, 166-168 (LT1-3)

SAE 1987, 220-223 (LT1-3)

AP § 19 BetrVG 1972 (LT1-3), Nr 13

AR-Blattei, Betriebsverfassung VIA Entsch 18 (LT1-3)

AR-Blattei, ES 530.6.1 Nr 18 (LT1-3)

ArbuR 1987, 82-83 (T)

EzA § 19 BetrVG 1972, Nr 24 (LT1-3)

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