Leitsatz

1. Wissenschaftlich nicht anerkannt i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist eine Behandlungsmethode dann, wenn Qualität und Wirksamkeit nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.

2. Die Feststellung, ob eine Behandlungsmethode wissenschaftlich nicht anerkannt ist, obliegt dem FG als Tatsacheninstanz.

 

Normenkette

§ 33 Abs. 1 EStG, § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011

 

Sachverhalt

K machte Aufwendungen (12.000 EUR) für die operative Behandlung eines Lipödems (Liposuktion) an Armen und Beinen nach § 33 EStG geltend. Ks ­Krankenkasse hatte die Kostenübernahme angesichts einer bisher unterbliebenen Empfehlung des gemeinsamen Bundesausschusses abgelehnt. Ks Arzt attestierte die medizinische Notwendigkeit der Operation. Das Gesundheitsamt bescheinigte, dass die Behandlungsmethode nicht anerkannt und aus medizinischer Sicht nicht notwendig sei; die psychische Beeinträchtigung könne durch den kosmetischen Eingriff reduziert werden. Das FA lehnte die Berücksichtigung als agB ab, ebenso das FG (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 4.2.2013, 10 K 542/12, Haufe-Index 6628396), weil kein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Attest vorgelegt worden sei, aus dem sich die Zwangsläufigkeit der durchgeführten Maßnahme ergebe.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Dort wird mittels Gutachten zu klären sein, ob die bei K durchgeführte Behandlung eine wissenschaftlich anerkannte Heilmethode darstellt.

 

Hinweis

Der Streitfall betrifft medizinische und juristische Fragen: aus steuerrechtlicher Sicht bleibt durch das FG aufzuklären, ob die Liposuktion eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Behandlung des vorliegenden Krankheitsbildes ist.

1. Krankheitskosten, nämlich Aufwendungen zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder um die Krankheit erträglicher zu machen (z.B. Rollstuhl), sind aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig i.S.d. § 33 EStG. Bei Heilbehandlungskosten unterbleibt die detaillierte Prüfung der Zwangsläufigkeit, sofern die Aufwendungen medizinisch indiziert sind. Die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen (Arznei-, Heil- und Hilfsmittel §§ 2, 23, 31 bis 33 SGB V) ist durch eine Verordnung eines Arztes/Heilpraktikers nachzuweisen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV seit dem StVereinfG 2011). Aber § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV nennt Katalogfälle, bei denen die Zwangsläufigkeit zuvor mit einem amtsärztlichen Gutachten oder dem medizinischen Dienst der Krankenversicherung nachzuweisen ist (dazu und zur rückwirkenden Anwendung: BFH, Urteil vom 26.2.2014, VI R 27/13, BFH/NV 2014, 1265, BFH/PR 2014, 304). Dieser qualifizierte Nachweis ist insbesondere bei ­wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden zu führen (z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV). Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn "die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" sie befürwortet und über ihre Zweckmäßigkeit Konsens besteht. Dies setzt regelmäßig wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen voraus. Dazu besteht umfangreiche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, auf die der BFH Bezug nimmt.

2. Im Streitfall bemängelte der BFH, dass die Würdigung des FG, die bei K durchgeführte Liposuktion sei keine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsme­thode, letztlich auf dem amtsärztlichen Zeugnis gründe, ohne dass sich dieses Ergebnis aus dem amts­ärztlichen Gutachten nachvollziehbar ableiten ließe. Allein die Aussage, die Liposuktion sei als Behandlungsmethode des vorliegenden Störungsbildes nicht anerkannt und unkonventionell, genügten nicht. Letztlich hat zu solchen nicht juristischen, sondern medizinischen Fragen das FG ein Sachverständigengutachten einzuholen (dazu BFH, Urteil vom 6.2.2014, VI R 61/12, BFH/NV 2014, 771; BFH/PR 2014, 223).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 26.6.2014 – VI R 51/13

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