Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung einer Behandlungsmethode i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Behandlung.

2. Um festzustellen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode i.S.d. § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV vorliegt, kann sich das FG auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wurden. In diesem Fall muss das FG die Beteiligten auf diese Absicht hinweisen und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich machen.

 

Normenkette

§ 33 EStG, § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV

 

Sachverhalt

K machte für die operative Beseitigung von Lipödemen durch Liposuktion 5.500 EUR als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Krankenkasse hatte ­mitgeteilt, dass sie sich daran nicht beteilige. Ein amtsärztliches Zeugnis oder eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse wurde vor den Operationen nicht eingeholt. Es wurden lediglich verschiedene Atteste und fachärztliche Gutachten vorgelegt. Das FA und das FG ließen die Kosten unberücksichtigt (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 1.10.2014, 2 K 272/12, Haufe-Index 7604185, EFG 2015, 33).

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte das FG, wie in den Praxis-Hinweisen erläutert.

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil hier bildet den Kontrastfall zum BFH-Urteil vom 26.6.2014 (VI R 51/13, BFH/NV 2014, 1936, BFH/PR 2015, 13), das ebenfalls die wissenschaftliche Anerkennung (Katalogfall des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV) der operativen Behandlung eines Lipödems durch Liposuktion zum Gegenstand hatte. Ausgangspunkt ist wieder – wie bei allen Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStDV – die besondere Nachweisanforderung an die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen (dazu: BFH, Urteil vom 15.1.2015, VI R 68/14, BFH/NV 2015, 1032, BFH/PR 2015, 265). Die Grundfrage lautet: Auf welche Erkenntnisquellen kann sich die Tatsacheninstanz stützen, um eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode festzustellen und wie sind solche gegebenenfalls ins Verfahren einzubringen?

1. Das Tatbestandsmerkmal "wissenschaftlich anerkannt" legt der BFH wie das BSG aus (BFH, Urteil vom 26.2.2014, VI R 27/13, BFH/NV 2014, 1265, BFH/PR 2014, 304). Dabei sind wissenschaftliche Fortentwicklungen zwischen der Behandlung und der Entscheidung darüber durch das FG nicht zu berücksichtigen. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Entscheidend ist, ob eine Behandlungsmethode im Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert und die angefallenen Aufwendungen zwangsläufig zum Zweck der Heilung oder Linderung einer Krankheit entstanden sind.

Aber: Zur Beurteilung einer bestimmten Behandlungsmethode als wissenschaftlich anerkannt muss das FG nicht immer wieder neue Gutachten einholen. Es kann vielmehr auf allgemein zugängliche Fachgutachten zurückgreifen, solange es die Beteiligten darauf hinweist und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich macht. Bringt der Steuerpflichtige substanziierte Einwendungen vor, aus denen sich Zweifel ergeben ‐ insbesondere, wenn der Steuerpflichtige darlegt, dass in seinem Fall aus medizinischer Sicht etwas anderes gilt und er deshalb die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt ‐, so kann das FG verpflichtet sein, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

2. Hier hatte sich das FG auf entsprechende Gutachten gestützt und den Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass die Wirksamkeit der Liposuktion mangels hinreichender Daten nicht ausreichend nachgewiesen sei. Die Frage, ob das FG die zur Begründung seiner Entscheidung angeführten Gutachten und sonstigen Erkenntnisse hinsichtlich der wissenschaftlichen Anerkennung der Liposuktion ordnungsgemäß ins Verfahren eingeführt hatte, konnte hier offenbleiben. Denn dazu hatte K mit seiner Revision im Ergebnis nichts vorgebracht, obwohl die erfolgreiche Rüge eines Verfahrensfehlers voraussetzt, dass die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel ergibt, in der Revisionsbegründung dargelegt werden (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.6.2015 – VI R 68/14

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