Leitsatz

Es wird eine Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG vom 7.12.2011 (BGBl I 2011, 2592) insoweit mit dem GG vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet und auch keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 6, § 10 Abs. 1 Nr. 7, § 12 Nr. 5, § 4 Abs. 9, § 52 Abs. 23d Satz 5 und § 52 Abs. 12 Satz 11 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG, Art. 3 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BVerfGG

 

Sachverhalt

K hatte 2005 bis 2007 als erste Ausbildung die zu einem Berufspiloten erfolgreich absolviert und war ab Oktober 2007 als solcher angestellt. Er begehrte für 2005-2007 Verlustvorträge festzustellen, die aus seinen Ausbildungskosten i.H.v. 2.168 EUR, 27.634 EUR und 44.485 EUR stammten. Das FA lehnte eine Verlustfeststellung ab und setzte lediglich Sonderausgaben an. Die Klage blieb erfolglos (FG Düsseldorf, Urteil vom 14.12.2011, 14 K 4407/10 F, Haufe-Index 2963971, EFG 2012, 686); dem Werbungskostenabzug stehe § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG entgegen.

 

Entscheidung

Der BFH begründete seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Regelung mit den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen und legte die aus dem Leitsatz ersichtliche verfassungsrechtliche Frage dem BVerfG zur Entscheidung vor.

 

Hinweis

Der Lohnsteuersenat legt dem BVerfG die Regelungen zum Ausschluss des Werbungskostenabzugs für Berufsausbildungskosten (§ 9 Abs. 6 EStG) in insgesamt sechs Verfahren (VI R 2/12; VI R 8/12, weitere datumsgleiche NV-Beschlüsse: VI R 61/11; VI R 38/12; VI R 2/13; VI R 72/13) zur verfassungsrechtlichen Prüfung vor.

1. Die Vorlage erläutert zunächst die Rechtsentwicklung zum Abzug der Berufsausbildungskosten, beginnend mit dem Reichsfinanzhof, der Rechtsprechung des BFH bis 2002, die dann erfolgte Änderung (BFH, Urteil vom 4.12.2002, VI R 120/01, BFH/NV 2003, 255, BFH/PR 2003, 97) und die nachfolgenden Reaktionen des Gesetzgebers durch das AOÄndG 2004 und das BeitrRLUmsG 2011. So besteht die gegenwärtige Rechtslage, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. § 4 Abs. 9 EStG regelt Entsprechendes für die Gewinnermittlung. Diese mit dem BeitrRLUmsG vom 7.12.2011 geschaffenen Regelungen sind rückwirkend ab 2004 anwendbar. Berufsausbildungskosten sind seitdem nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG nur als Sonderausgaben und nur bis zu 6.000 EUR p.a. (bis 2011 4.000 EUR) abziehbar.

2. Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung sind die bekannten beiden Leitlinien, das Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und das der Folgerichtigkeit. Die Leitentscheidung dazu ist u.a. die zur Entfernungspauschale (BVerfG, Urteil vom 9.12.2008, 2 BvL 1/07, u.a., BVerfGE 122, 210, BFH/NV 2009, 338, BFH/PR 2009, 92).

3. Die finanzielle Leistungsfähigkeit wird einfachrechtlich mit dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip umgesetzt. D.h. einkommensteuerlich ­erfasst wird nicht der Umsatz, sondern der Ertrag, also das Nettoeinkommen, d.h. der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den Erwerbsaufwendungen (objektives Nettoprinzip) und den (privaten) existenzsichernden Aufwendungen (subjektives Nettoprinzip) andererseits. Das BVerfG lässt zwar offen, ob dem objektiven Nettoprinzip Verfassungsrang zukommt (vgl. BFH/PR 2009, 92), sieht darin aber ein wesentliches Grundprinzip, sodass Ausnahmen vom objektiven Nettoprinzip eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen. Das ist der erste Prüfungsmaßstab, den der BFH hier heranzieht (dazu unten 4.). Der BFH sieht aber auch einen Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip. Insoweit gilt, dass es zum Schutz des Existenzminimums gehört, unvermeidbare und zwangsläufige private Aufwendungen ­einkommensmindernd zu berücksichtigen. Das hat verfassungsrechtliche Tradition, spätestens seit den Entscheidungen des BVerfG zur realitätsgerechten Berücksichtigung der eigenen Unterhaltskosten (Existenzminimum) sowie der Aufwendungen für die Kinder des Steuerpflichtigen (Kinderexistenzminimum). Dementsprechend hat das BVerfG etwa in seinem Urteil zur Entfernungspauschale betont, dass es für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit nicht nur auf die (einfachrechtliche) Unterscheidung zwischen beruflicher oder privater Veranlassung der Aufwendungen ankomme, sondern auf die zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerse...

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