Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer (Art. 45 AEUV)

Freizügigkeit bedeutet die unbeschränkte Möglichkeit, sich zum Zweck erwerbstätiger Beschäftigung innerhalb der EU niederzulassen. Zu diesem Zweck sichern Art. 45 AEUV und die dazu erlassene EU-Verordnung 1612/68 die weitgehende Gleichstellung von Arbeitnehmern aus den EU-Mitgliedstaaten mit deutschen Arbeitnehmern. Ein diskriminierter Arbeitnehmer[1], der Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaats bzw. eines EWR-Staats oder der Schweiz ist, kann in direkter Anwendung von Art. 45 AEUV seine daraus folgenden Rechte unmittelbar vor den deutschen Gerichten geltend machen.[2] Art. 45 Abs. 2 AEUV verbietet eine auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche, d. h. diskriminierende Behandlung der Arbeitnehmer aus den EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf Arbeitssuche[3], Einstellung, Beschäftigung[4], Entlohnung und den sonstigen Arbeitsbedingungen sowie der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses und die – unfreiwillige – Arbeitslosigkeit.[5] Dementsprechend ist eine auf die unterschiedliche Staatsangehörigkeit gestützte Kündigung oder daran anknüpfende Differenzierung bei Sozialplanleistungen unzulässig.

 
Hinweis

Keine Diskriminierung

Keine unzulässige Diskriminierung stellt es dar, wenn ein Sozialplan die Zahlung von Kinderzuschlägen von einem entsprechenden Nachweis auf der Lohnsteuerkarte abhängig macht. Eine solche Regelung verstößt nicht gegen Art. 45 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 1 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68, obwohl im Ausland lebende unterhaltsberechtigte Kinder bei dem Lohnsteuerkarteneintrag unberücksichtigt bleiben können.[6]

Darüber hinaus enthält Art. 45 AEUV ein Beschränkungsverbot hinsichtlich aller hoheitlichen Maßnahmen, die die Aufnahme und Ausübung von Beschäftigung behindern, ohne dass die Maßnahme durch ein öffentliches Interesse ausreichend legitimiert ist. Im Gegensatz zum Diskriminierungsverbot kommt es nicht darauf an, ob eine Ungleichbehandlung vorliegt.[7] Die Regelungen in Art. 45 AEUV werden durch verschiedene gemeinschaftsrechtliche Verordnungen und Richtlinien flankiert. An erster Stelle steht die – ebenfalls unmittelbar wirkende – VO Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft sowie die VO Nr. 1408/71 über die Systeme der sozialen Sicherheit (Wanderarbeitnehmer-VO) sowie ihre Durchführungs-VO 574/72; zu den verschiedenen Richtlinien, die dem Aufenthaltsgesetz bzw. dem Freizügigkeitsgesetz/EU zugrunde liegen (s. bereits oben). Die Richtlinie 2003/109 regelt die Rechtstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger. Durch das Gemeinschaftsrecht werden alle nationalen Vorschriften in Gesetzen, Verordnungen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen sowie einzelvertragliche Vereinbarungen, die in Widerspruch zu bindendem Gemeinschaftsrecht stehen, verdrängt. Entgegenstehendes nationales Recht ist nicht unwirksam, sondern wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts lediglich nicht anzuwenden. Für Angehörige aus den EWR-Staaten (Norwegen, Island, Liechtenstein) ergeben sich inhaltsgleiche Rechte aus Art. 28 EWR-Abkommen.

Geschlechtsbezogener Lohngleichheitsgrundsatz (Art. 157 AEUV)

Art. 157 AEUV[8] schreibt das Gebot der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit fest. Der personelle Anwendungsbereich von Art. 157 AEUV ist nicht auf Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten beschränkt, zudem werden auch Beamte erfasst.[9] Eine Bindung an den jeweils mitgliedstaatlichen Arbeitnehmerbegriff besteht nicht.[10] Der Grundsatz gilt gemeinschaftsweit für alle Arbeitnehmer, auch für Nicht-EU-Bürger. Er ist im Arbeitsverhältnis unmittelbar als Anspruchsgrundlage anwendbar.[11]

Entgelt sind alle aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses unmittelbar oder mittelbar, freiwillig oder kraft Verpflichtung (Arbeits-/Tarifvertrag/Gesetz) gewährten Vergütungsbestandteile. Dazu gehören auch Betriebsrenten und die Beamtenversorgung, geldwerte Sozialleistungen sowie Leistungen aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.[12]

Die Tätigkeit ist gleich, wenn sich die geschuldeten Leistungsverpflichtungen der Arbeitnehmer decken oder im Sinne einer unmittelbaren Austauschbarkeit in hohem Maße ähnlich sind. Die Bestimmung der "Gleichwertigkeit" bereitet gewisse Probleme. Abgestellt werden kann auf die Verkehrsanschauung, eine gleiche tarifliche Eingruppierung und den "Wert" der Arbeitsleistung, d. h. gleiche Lohngruppierung sowie die qualitative Gleichwertigkeit hinsichtlich Fähigkeiten, erforderlicher Vorkenntnisse, Art, Vielfalt und Qualität der Tätigkeit.[13] Das Merkmal der "Gleichwertigkeit" ist nunmehr in § 8 Abs. 2 AGG enthalten, ohne dass damit eine Präzisierung verbunden wäre. In Betracht kommen unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen.[14]

Entsenderichtlinie der Europäischen Union

Die aus Wettbewerbsgründen erlassene Entsenderichtlinie der Europäischen Gemeinschaft[15] legt fest, welches Recht für alle in einem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer...

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