Leitsatz

1. Die tatsächliche Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für Sanierungsarbeiten an Asbestprodukten ist nicht anhand der abstrakten Gefährlichkeit von Asbest­fasern zu beurteilen; erforderlich sind zumindest konkret zu befürchtende Gesundheitsgefährdungen.

2. Sind die von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs ausgehenden konkreten Gesundheitsgefährdungen auf einen Dritten zurückzuführen und unterlässt der Steuerpflichtige die Durchsetzung realisierbarer zivilrechtlicher Abwehransprüche, sind die Aufwendungen zur Beseitigung konkreter Gesundheitsgefährdungen nicht abziehbar.

3. Bei der Beseitigung konkreter von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs ausgehender Gesundheitsgefahren ist ein vor Durchführung dieser Maßnahmen erstelltes amtliches technisches Gutachten nicht erforderlich. Gleichwohl hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass er sich den Aufwendungen aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen konnte.

 

Normenkette

§§ 33 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG, §§ 96 Abs. 1 Satz 1, 76, 155 FGO, §§ 485ff. ZPO, § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GefStoffV

 

Sachverhalt

K bewohnte ein 1976 errichtetes Reihenhaus, dessen Dach aus Asbestzement-Wellplatten, die überlappend von Haus zu Haus gelegt sind, besteht. Nachdem sich Ks Nachbarn zum Austausch dieser As­bestplatten entschieden hatten, ersetzte auch K die Dachdeckung durch Ziegel. Die Aufwendungen dafür machte K als außergewöhnliche Belastungen geltend. Die Sanierung sei unabwendbar gewesen, denn das Dach habe Korrosionen aufgewiesen. Überdies hätten die Asbestwellplatten zerschnitten werden müssen, wenn K keine Sanierung hätte durchführen lassen. Dann wäre eine Gesundheitsgefährdung durch die damit verbundene Freisetzung von Asbest unausweichlich gewesen. Das FA lehnte eine entsprechende Berücksichtigung ab. Die Klage war erfolgreich (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.11.2009, 6 K 2314/07, Haufe-Index 2370891, EFG 2011, 33).

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen auf und verwies die Sache an das FG zurück.

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil betrifft wie das voranstehende Urteil (VI R 21/11) die Berücksichtigung von Gebäudesanierungskosten als außergewöhnliche Belastung.

1. Grundlage ist die BFH-Rechtsprechung, dass Aufwendungen zur Beseitigung konkreter Gesundheitsgefährdungen, die von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs ausgehen, grundsätzlich außergewöhnliche Belastungen sein können. Der BFH fordert allerdings eine am jeweiligen Einzelfall ausgerichtete konkret zu befürchtende Gesundheitsgefährdung. Auch wenn Asbest also abstrakt gefährlich sein mag, hängt die Notwendigkeit einer Asbestsanierung deshalb wesentlich von der verwendeten Asbestart und den konkreten baulichen Gegebenheiten ab. Einen Anhalt geben insoweit ergänzend die Technischen Regeln für Gefahrstoffe 519‐Asbest: Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten vom 1.8.2001 (BArbBl 2001, Nr. 9, 64, berichtigt durch Bekanntmachung vom 8.3.2007, GMBl 2007, 398 – TRGS 519-Asbest). Danach sind die Sanierungsarbeiten so auszuführen, dass keine Asbestfasern freigesetzt werden.

2. Weiter verwies der BFH, wie schon im Urteil VI R 21/11, auf die für einen Abzug geltenden weiteren Voraussetzungen und Grenzen: Nachweis, kein Baumangel, kein Verschulden, keine realisierbaren Ersatzansprüche. So war hier zu bedenken, dass die konkreten Gesundheitsgefährdungen von einem Dritten, dem Nachbarn, ausgingen und K möglicherweise die Durchsetzung realisierbarer zivilrechtlicher Abwehransprüche unterlassen hatte. Denn so hätte K die Aufwendungen vermeiden können.

3. In Anwendung dieser Grundsätze hob der BFH die Vorentscheidung auf. Das FG wird nun im zweiten Rechtsgang prüfen, ob K durch die Sanierungsarbeiten am angrenzenden Dach nachweislich eine konkrete Gesundheitsgefährdung drohte oder ob andere Formen der Sanierung ebenso möglich gewesen wären, sowie, ob K wegen der Sanierung und einer daraus folgenden Freisetzung von Asbestfasern zivilrechtlich realisierbare Unterlassungs- oder Ersatzansprüche zustanden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 29.3.2012 – VI R 47/10

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