Leitsatz

1. Fordert die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung auf, so ist er gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 AO hierzu gesetzlich verpflichtet mit der Folge, dass sich der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO richtet.

2. Eine Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung liegt auch dann vor, wenn das FA zusätzlich ausführt, der Steuerpflichtige möge das Schreiben mit einem entsprechenden Hinweis zurücksenden, falls er seiner Auffassung nach nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sei.

 

Normenkette

§ 149 Abs. 1 Satz 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger wurde im September 2011 vom FA aufgefordert bis zum 22.10.2011 seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2006 abzugeben. Zugleich wurde er darauf hingewiesen, dass das FA berechtigt sei, weitere Maßnahmen (z.B. Festsetzung von Zwangsgeld nach § 328 AO oder Schätzung nach § 162 AO) zu ergreifen, wenn die Steuererklärung nicht bis zum oben genannten Termin vorliege und wegen einer bereits eingetretenen Verspätung oder wegen Nichtabgabe der Steuererklärung im Übrigen nach § 152 AO ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden könne. Ende Dezember 2011 reichte der Kläger seine Einkommensteuererklärung 2006 beim FA ein. Neben Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit erklärte er lediglich Einkünfte aus VuV mit einem Werbungskostenüberschuss von mehr als 5.000 EUR. Gleichwohl lehnte das FA die Bearbeitung der Einkommensteuererklärung ab. Es sei Festsetzungs­verjährung eingetreten, da eine Antrags- und keine Pflichtveranlagung vorliege (FG Hamburg, Urteil vom 30.4.2015, 1 K 264/13, 8140274).

 

Entscheidung

Auf die Revision des Klägers hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG habe es zu Unrecht abgelehnt, den Kläger zur Einkommensteuer 2006 zu veranlagen. Die Sache sei jedoch nicht spruchreif. Denn das FG hat noch keine Feststellungen zur Höhe der vorzunehmenden Steuerfestsetzung, insbesondere hinsichtlich der erklärten Einkünfte aus VuV, getroffen.

 

Hinweis

1. Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO).

2. Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in der für das Streitjahr geltenden Fassung beginnt die Festsetzungsfrist, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung, Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Entstehen der Steuer folgt.

3. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung wird auch dann begründet, wenn das FA den Steuerpflichtigen nach § 149 Abs. 1 Satz 2 AO auffordert, eine Steuererklärung abzugeben. Die Rechtslage bestimmt sich in solchen Fällen nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (BFH, Urteil vom 13.10.1998, VIII R 35/95, BFH/NV 1999, 445; BFH, Beschluss vom 17.1.2003, VII B 228/02, BFH/NV 2003, 594).

4. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung in Form eines Verwaltungsakts ergeht.

5. Ob im Einzelfall ein Verwaltungsakt vorliegt, ist durch Auslegung des behördlichen Handelns zu ermitteln. Entscheidend ist, ob eine Äußerung des FA mit einem für den Adressaten unmittelbar erkennbaren Erklärungswert mit unmittelbarer Wirksamkeit nach außen vorliegt. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn das FA den Steuerpflichtigen wie im Streitfall unter Setzung eines Termins unmissverständlich auffordert, eine Steuererklärung einzureichen, weil sie dem FA bisher nicht vorliege und darauf hinweist, dass es berechtigt sei, zu Zwangsmitteln zu greifen, sollte die Steuererklärung bis zum genannten Termin nicht vorliegen. Damit gibt die Behörde zu erkennen, dass sie sich für berechtigt hält, die Abgabe der angeforderten Steuererklärung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchzusetzen. Das aber ist das maßgebliche Unterscheidungskriterium zwischen einem Verwaltungsakt und einer sonstigen behördlichen Maßnahme. Aus dem Fehlen einer Begründung oder einer Rechtsbehelfsbelehrung kann nichts Gegenteiliges geschlossen werden.

Keine Bindung des Revisionsgerichts

Bei der Prüfung der Frage, ob der Inhalt einer behördlichen Erklärung einen Verwaltungsakt darstellt, ist das Revisionsgericht nicht an eine Wertung durch das Tatsachengericht gebunden, da es sich hierbei nicht um eine Tat-, sondern um eine Rechtsfrage handelt.

6. Da der Kläger demnach für das Streitjahr 2006 zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet war, war die vierjährige Verjährungsfrist infolge der Anlaufhemmung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bei Einreichung der Steuererklärung im Dezember 2011 noch nicht abgelaufen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 4.10.2017 – VI R 53/15

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