Leitsatz

Gewinne aus der Veräußerung von vor dem 1. Januar 2009 erworbenen obligationsähnlichen Genussrechten unterliegen auch nach Einführung der Abgeltungsteuer nicht dem Kapitalertragsteuerabzug (gegen BMF-Schreiben vom 22.12.2009, BStBl I 2010, 94, Tz. 319).

 

Normenkette

§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10, § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG 2009; § 20 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 5 EStG 2002

 

Sachverhalt

Der Kläger unterhielt bei einer Bank ein Direkt-Depot, auf das im Jahre 2006 Inhaber-Genussscheine einer AG zum Nominalwert von 5.160 EUR von einer Sparkasse übertragen worden waren. Die Genussscheine gewährten ihrem Inhaber einen gegenüber dem Gewinnanteil der Aktionäre vorrangigen Anspruch auf Gewinnausschüttung sowie auf Rückzahlung nach Beendigung der Genussscheine.

Dem Inhaber standen nach den Genussscheinbedingungen keinerlei Teilnahme-, Mitwirkungs- oder Stimmrechte in der Hauptversammlung der AG zu. Sein Gewinnanteil betrug vorbehaltlich eines ausreichenden Konzernjahresüberschusses für jedes volle Geschäftsjahr 15 % des Grundbetrags von 10 EUR je Genussschein; der auf den Grundbetrag entfallende und aus der sog. negativen Gesamtkapitalrendite abgeleitete Verlustanteil war gesondert auszuweisen und durch Gewinnanteile der Folgejahre auszugleichen. Das Genusskapital nahm im Falle der Auflösung der AG nicht am Liquidationserlös teil. Der – ggf. um noch nicht ausgeglichene Verluste gekürzte – Rückzahlungsanspruch war gegenüber den Forderungen der anderen Gläubiger nachrangig.

Nachdem die AG die Genussscheininhaber am 2.2.2010 zur Abgabe von Verkaufsangeboten zum Kurs von 180 % aufgefordert hatte, veräußerte der Kläger seine Anteilsscheine am 1.3.2010 zu dem seinerzeitigen Kurswert von 9.228 EUR. Hiervon behielt die Bank KapESt ein.

Der anschließenden Klage gegen die KapESt-Anmeldung der AG hat das FG stattgegeben (Hessisches FG, Urteil vom 16.2.2012, 4 K 639/11, Haufe-Index 2959501, EFG 2012, 1163).

 

Entscheidung

Der BFH hat das bestätigt. Nach der Übergangsbestimmung des § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG 2009 finde § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 auf die vom Kläger erzielten Veräußerungsgewinne keine Anwendung. Deshalb sei auch ein Steuerabzug vom Kapitalertrag nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG 2009 nicht vorzunehmen gewesen.

 

Hinweis

1. Das Urteil betrifft die Frage der KapESt-Pflicht von Gewinnen aus der Veräußerung von Genussscheinen, die zwar nach jetzigem Recht, nicht aber nach früherem Recht steuerpflichtige Kapitaleinkünfte darstell(t)en. Wurden solche Genussscheine noch unter dem "Regime" des alten Rechts erworben, unterfallen sie dann heute – unter der Ägide des jetzigen Abgeltungsverfahrens – der KapESt-Pflicht?

2. Die Antwort ergibt sich aus den Übergangsvorschriften in § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG 2009, und dazu muss man das Gesetz in seinen verschiedenen Fassungen in die Hand nehmen und sich im Irrgarten der wechselseitigen Absatz- und Nummernvorschriften in § 20, § 43 und § 52a EStG an die mühsame Filigransuche nach der "richtigen" Fassung und deren Verhältnis zur früheren Fassung machen:

a) Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 EStG 2009 unterfallen Kapitalerträgen i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 (i.V.m. Abs. 1 Nr. 7) EStG 2009 der KapESt. Das betrifft auch den Gewinn aus der Veräußerung von obligationsähnlichen Genussrechten.

b) Die Übergangsbestimmung des § 52a Abs. 10 Satz 6 EStG 2009 sieht vor, dass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 (= i.d.F. des UntStRefG 2008) erstmals auf nach dem 31.12.2008 zufließende Kapitalerträge aus der Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen anzuwenden ist. Nach § 52a Abs. 10 Satz 7 Halbs. 1 EStG 2009 ist jedoch für Kapitalerträge aus Kapitalforderungen, die zum Zeitpunkt des vor dem 1.1.2009 erfolgten Erwerbs zwar Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG 2002, aber nicht Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2002 waren, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 nicht anzuwenden.

c) Durch das JStG 2009 wurde § 52a Abs. 10 Satz 7 EStG 2009 allerdings um einen weiteren Halbsatz ergänzt, nach dem Kapitalforderungen i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG 2002 auch dann vorliegen, wenn die Rückzahlung nur teilweise garantiert ist oder wenn eine Trennung zwischen Ertrags- und Vermögensebene möglich erscheint. Um diesen letzten Satz und die hierdurch geforderte Erweiterung ging es im Urteilsfall, und um ihn wurde gestritten:

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