Leitsatz

Die eine Pflichtveranlagung begründende Steuer­erklärung entfaltet keine anlaufhemmende Wirkung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, wenn diese Steuererklärung erst nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO abgegeben wird.

 

Normenkette

§ 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4a Buchst. c 2. Alt., § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7, § 36 Abs. 1, § 25 Abs. 3 EStG, § 169 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1 1. Alt., § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 171 Abs. 3, § 47, § 38 AO, § 56 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStDV

 

Sachverhalt

K reichte am 23.12.2005 seine ESt-Erklärung für 1998 beim FA ein, erklärte Lohneinkünfte und beantragte den Haushaltsfreibetrag. Das FA lehnte die Veranlagung unter Hinweis auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung ab. Der Einspruch blieb erfolglos. Das FG wies die Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.3.2010, 1 K 1691/06, Haufe-Index 2628053). Es sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Da ohne Erklärung gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Anlaufhemmung von höchstens drei Jahren greife, beginne die vierjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahrs 2001 und ende mit Ablauf des Jahrs 2005.

 

Entscheidung

Auch der BFH lehnte eine Verurteilung des FA zur Durchführung der Einkommensteuerveranlagung ab; dies allerdings, wie unter den Praxis-Hinweisen erläutert, aus anderen Gründen als das FG.

 

Hinweis

Der BFH folgte dem FG nur im Ergebnis (Durchführung der Veranlagung für 1998 zu Recht abgelehnt), nicht in der Begründung. Denn der BFH ging hier abweichend vom FG davon aus, dass die Festsetzungsfrist bereits bei Einreichung der Einkommensteuererklärung im Jahr 2005 abgelaufen war.

1. Eine Steuerfestsetzung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Das sind bei der ESt regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). § 170 Abs. 1 1. Alt. AO regelt den Fristbeginn, nämlich grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Deshalb war hier die vierjährige Festsetzungsfrist – Beginn mit Ablauf des Jahrs 1998, also dem Jahr der Entstehung des Steueranspruchs (vgl. § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG) – 2002 abgelaufen.

2. Konnte hier § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO helfen? Danach beginnt der Lauf der Festsetzungsfrist zwar erst später, aber nur, wenn eine Steuererklärung o.Ä. einzureichen ist. Nur dann beginnt die Frist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Erklärung eingereicht wird, und spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Auf die hier besprochene Rechtsprechung des BFH im Rahmen der Streitigkeiten um Pflicht- oder Antragsveran­lagung sei verwiesen (BFH, Urteil vom 14.4.2011, VI R 53/10, BFH/NV 2011, 1410, BFH/PR 2011, 355). Im Streitfall war aber keine solche Steuererklärung einzureichen, denn bis zum Ende der allgemeinen Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2002 bestand mangels eines Veranlagungstatbestandes aus § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG keine Steuererklärungspflicht.

3. Konnte der grundsätzlich zu einer Pflichtveranlagung führende Antrag auf Gewährung eines Haushaltsfreibetrags helfen? Auch das verneinte der BFH. Denn eine erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingereichte Steuererklärung kann nicht mehr nachträglich eine Hemmung des Fristbeginns rückbewirken. Bei Antragstellung war der Einkommensteueran­spruch für 1998 durch Verjährung (§ 47 AO) bereits erloschen. Und wenn sogar eine behördliche Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung den Anlauf der Festsetzungsfrist nicht mehr hemmt, wenn sie dem Steuerpflichtigen erst nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO zugeht (dazu: BFH, Urteil vom 18.10.2000, II R 50/98, BFH/NV 2001, 361, BFH/PR 2001, 65), gilt dies erst recht, wenn der Steuerpflichtige selbst eine solche Pflicht durch seinen Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4a Buchst. c 2. Alt. EStG begründet.

4. Angesichts der Verjährung kam es auf die Streitfrage, ob ein Antrag auf Übertragung des Haushaltsfreibetrags zugleich ein Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO sei, nicht mehr an. Denn dieser Antrag vom 23.12.2005 könnte auch als Antrag i.S.d. § 171 Abs. 3 AO nach Ablauf der Festsetzungsfrist 2002 keine Ablaufhemmung mehr bewirken.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 28.3.2012 – VI R 68/10

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