Leitsatz

1. Das FG darf im Allgemeinen erst dann eine Verletzung von Mitwirkungspflichten annehmen, wenn es den Beteiligten zuvor ausdrücklich und konkret zur Mitwirkung aufgefordert hat.

2. Ein zulässiger Antrag auf Erhebung eines Zeu­genbeweises setzt nicht stets die Angabe einer ­ladungsfähigen Anschrift des Zeugen voraus. Entscheidend ist vielmehr, dass der Zeuge individualisierbar ist; hierfür kann es genügen, wenn der Name des Zeugen sowie dessen Arbeitgeber angegeben wird.

3. Das prozessrechtliche Leitbild, den Rechtsstreit möglichst in einer einzigen mündlichen Verhandlung zu erledigen, rechtfertigt es nicht, erhebliche Beweisanträge abzulehnen, die erst in der mündlichen Verhandlung und nach einer Umstellung der Prozessstrategie eines Beteiligten gestellt werden.

 

Normenkette

§ 76 Abs. 1, § 79 Abs. 1, § 79b, § 82 FGO, § 373 ZPO

 

Sachverhalt

Der Kläger war Geschäftsführer zweier Gesellschaften, die im internationalen Handel mit Eisenerz, Eisen- und Stahlprodukten tätig waren. Zu deren Geschäftsmodell gehörte die Zahlung erheblicher Bestechungsgelder. Auf Konten des Klägers sowohl in der Schweiz als auch in Österreich waren als Gutschriften oder Kommissionen bezeichnete Gutschriften eingegangen, die dieser nicht erklärte. In einem Strafverfahren gestand der Kläger ein, in den Jahren 1990 und 1991 jeweils 500.000 DM an Provisionen nicht versteuert zu haben; er wurde 2004 wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Im Besteuerungsverfahren vertrat der Kläger demgegenüber die Auffassung, das FA habe bisher nicht nachgewiesen, dass er Inhaber der ausländischen Konten gewesen sei. Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem FG räumte er ein, die Konten eingerichtet zu haben und verfügungsbefugt gewesen zu sein. Die Gutschriften seien allerdings fast ausschließlich als Bestechungsgelder weitergeleitet worden. Hierzu benannte der Kläger u.a. einen Zeugen mit dessen vollen Namen, aber nicht mit einer Anschrift, sondern lediglich unter Angabe seines Arbeitgebers, eines bekannten deutschen Großunternehmens.

Das FG wies die Klage überwiegend ab und bestätigte im Ergebnis die Ansätze des FA zu den Einkünften aus den Gutschriften (FG Köln, Urteil vom 22.1.2009, 10 K 398/08, Haufe-Index 2146835, EFG 2009, 900). Der Kläger hätte die behaupteten Zahlungen an Dritte durch Vorlage von Bankkontoauszügen nachweisen müssen. Der vom Kläger beantragte Zeugenbeweis sei nicht zu erheben, da der Zeuge nicht ordnungsgemäß benannt worden sei.

 

Entscheidung

Die Revision des Klägers war aus den oben dargestellten Gründen begründet. Sie führte zur ­Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

 

Hinweis

Diese Entscheidung des BFH enthält wichtige Erkenntnisse zum Zusammenspiel zwischen der Aufklärungspflicht des FG und den prozessualen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Durchführung der Hauptverhandlung.

1. Eine Verletzung von Mitwirkungspflichten kann im Allgemeinen erst dann angenommen werden, wenn ein Beteiligter auf ausdrückliche Aufforderung des FG (§ 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FGO) eine ihm mögliche Äußerung zu Tatsachen oder die Herausgabe solcher Unterlagen verweigert, die sich in seinem Besitz befinden, sich bei ordnungsmäßiger Erfüllung der gesetzlichen Aufbewahrungspflichten oder bei ordnungsmäßiger Führung des Verfahrens in seinem Besitz hätten befinden müssen; gleiches gilt für Unterlagen, die er sich in zumutbarer Weise beschaffen könnte.

In § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO wird die Pflicht zur Sachaufklärung dem FG zugewiesen, das den Beteiligten in diesem Rahmen konkrete Aufträge erteilen darf. Damit übereinstimmend ordnet § 76 Abs. 1 Satz 3 FGO an, dass die Beteiligten sich "auf Anforderung des Gerichts" zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären haben. Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten ist deswegen nicht darin zu sehen, dass ein Steuerpflichtiger Beweismittel oder Unterlagen ohne entsprechende gerichtliche Aufforderung nicht vorlegt.

2. In Bezug auf die Zeugenbenennung ist aufgrund der Amtsermittlungsmaxime der FGO sowie der verfassungsrechtlichen Grundsätze des Anspruchs auf rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz das FG verpflichtet, Ermittlungen zur genauen Anschrift eines Zeugen anzustellen, vorausgesetzt, dieser ist bereits individualisierbar benannt. Eine solche Pflicht ist auch zu bejahen, wenn der Zeuge ohne Angabe seines Namens, sondern nur durch Bezeichnung seines Arbeitgebers und seine dort ausgeübte Funktion benannt wird (vgl. BFH, Beschluss vom 30.4.2002, X B 132/00, BFH/NV 2002, 1457).

Der Umstand, dass der so benannte Zeuge im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung möglicherweise nicht mehr bei dem bisherigen Arbeitgeber beschäftigt ist, kann per se nicht dazu führen, den Beweisantrag abzulehnen. Das FG hat eine entsprechende Anfrage an den Arbeitgeber zu richten. Nur dann, wenn diese Anfrage erfolglos ist und keine anderen zumutbaren Möglichkeiten zur Ermittlung der la...

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