Leitsatz (amtlich)

1. Beschlüsse einer Gläubigerversammlung, die nicht unter Beachtung des § 74 Abs. 2 InsO (hier: Nichtbekanntgabe der Uhrzeit des Termins) einberufen ist, sind nichtig. Maßgeblich für den Einberufungsmangel ist der Text der öffentlichen Bekanntmachung.

2. Ein Beschluss der Gläubigerversammlung, der nach seinem Inhalt die gesetzliche Kompetenz der Versammlung überschreitet, ist wegen Verstoßes gegen zwingendes Recht nichtig.

3. Die Geschäftsfreigabeerklärung des Insolvenzverwalters (§ 35 Abs. 2 InsO) verliert ihre Wirksamkeit erst durch die auf Antrag der Gläubigerversammlung ergehende Entscheidung des Insolvenzgerichts.

4. Für die Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Gläubigerversammlung gelten die formellen und sachlichen Voraussetzungen des § 78 Abs. 1 InsO weder unmittelbar noch entsprechend.

5. Die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses wirkt gegenüber sämtlichen Beteiligten des Insolvenzverfahrens, wenn sie aufgrund eines nach § 78 Abs. 1 InsO zulässigen Antrags vom Insolvenzgericht ausgesprochen wird.

 

Normenkette

InsO § 35 Abs. 2, § 74 Abs. 2, § 78; BGB § 134

 

Nachgehend

AG Duisburg (Beschluss vom 22.04.2010; Aktenzeichen 60 IN 26/09)

 

Tenor

1. Der Richter zieht die Entscheidungen

  • über die Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 03.02.2010 und
  • über die Anordnung der Unwirksamkeit der Erklärung des Insolvenzverwalters zur Freigabe der Arztpraxis des Schuldners, auch auf Antrag einer künftig einberufenen Gläubigerversammlung,

an sich (§ 18 Abs. 2 Satz 3 RPflG).

2. Mit Wirkung gegenüber sämtlichen Beteiligten des Insolvenzverfahrens wird festgestellt, dass der Beschluss der Gläubigerversammlung vom 03.02.2010 über die Unwirksamkeit der Erklärung des Insolvenzverwalters zur Freigabe der Arztpraxis des Schuldners rechtlich unwirksam (nichtig) ist.

 

Tatbestand

I.

Über das Vermögen des Schuldners, eines selbständigen Zahnarztes, wurde am 26.2.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Schreiben vom 17.12. 2009 zeigte der Insolvenzverwalter dem Gericht an, er habe durch eine – zeitlich nicht näher bestimmte, insbesondere nicht in Ablichtung vorgelegte – Mitteilung an den Schuldner die Freigabe der Arztpraxis nach § 35 Abs. 2 InsO erklärt. Die Anzeige wurde gemäß § 35 Abs. 3, § 9 Abs. 1 InsO im Internet öffentlich bekanntgemacht.

Am 30.12.2009 ging bei Gericht der Antrag der Insolvenzgläubigerin A-Bank ein, eine Gläubigerversammlung einzuberufen, auf der über die Unwirksamkeit der Erklärung des Verwalters abzustimmen sei. Daraufhin berief die Rechtspflegerin zunächst am 5.1.2010 eine Gläubigerversammlung auf den 15.1.2010, 10.00 Uhr ein; einziger Tagesordnungspunkt war die „Beschlussfassung der Gläubiger über die Entscheidung über die Wirksamkeit der Verwaltererklärung zu Vermögen aus selbstständiger Tätigkeit (§ 35 Abs. 2 InsO)”. Die Einberufung wurde am 5.1.2010 vollständig mit Ort, Datum und Uhrzeit des Termins sowie mit der Tagesordnung im Internet öffentlich bekanntgemacht (§ 9 Abs. 1 InsO).

Am 14.1.2010 verfügte die Rechtspflegerin, dass der Termin vom 15.1.2010 auf den 3.2.2010, 10.00 Uhr verlegt werde. In der daraufhin von der Geschäftsstelle veranlassten öffentlichen Bekanntmachung vom 15.1.2010 war die Uhrzeit des Termins nicht enthalten. Außerdem wurde die Verfügung der Rechtspflegerin, die Umladung allen Gläubigern zuzusenden, von der Geschäftsstelle nicht ausgeführt.

Die Gläubigerversammlung fand am 3.2.2010 statt und begann um 10.00 Uhr. Erschienen waren Vertreter von sechs Gläubigern. Insgesamt haben 33 Gläubiger Forderungen zur Tabelle angemeldet. Die Versammlung fasste mit Mehrheit folgenden Beschluss: „Die Verwaltererklärung auf Freigabe des Vermögens des Schuldners aus selbstständiger Tätigkeit (§ 35 Abs. 2 InsO) ist unwirksam.” Anschließend hat die Insolvenzgläubigerin V noch in der Versammlung beantragt, den gefassten Beschluss aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der in zulässiger Weise nach § 78 Abs. 1 InsO gestellte Aufhebungsantrag hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss der Gläubigerversammlung ist sogar nichtig. Es liegt ein wesentlicher Einberufungsmangel vor, und außerdem überschreitet der Beschluss seinem Inhalt nach die Kompetenz der Gläubigerversammlung. Die Nichtigkeit ist im Interesse der Rechtssicherheit mit Wirkung gegenüber allen Verfahrensbeteiligten förmlich festzustellen und analog § 78 Abs. 2 Satz 1 öffentlich bekanntzumachen.

1. Ein Beschluss der Gläubigerversammlung ist nichtig und damit rechtlich unwirksam, wenn er in einer Versammlung gefasst worden ist, die nicht unter Beachtung der in § 74 Abs. 2 InsO zwingend vorgeschriebenen grundlegenden Erfordernisse einberufen war. Ein solcher Fall ist hier gegeben, weil in der öffentlichen Bekanntmachung zur Einberufung die Uhrzeit des Versammlungsbeginns fehlte.

a) Der Nichtigkeitsgrund des wesentlichen Einberufungsmangels, der im Gesellschaftsrecht etwa in § 241 Nr. 1, § 121 Abs. 3 Satz 1 AktG zum Ausdruck kommt, gilt auch im Recht des Insolvenzverfahrens. Er ist bisher vor allem in Fällen an...

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