Leitsatz

1. Der gesonderte Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 32d Abs. 1 EStG ist bei einer Darlehensgewährung an eine GmbH nicht schon deshalb nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG ausgeschlossen, weil der Gläubiger der Kapitalerträge ein Angehöriger der zu mehr als 10 % an der Schuldnerin beteiligten Anteilseigner ist.

2. Ist das Klagebegehren auf die Herabsetzung der Einkommensteuer unter Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 1 EStG beschränkt, hat das Gericht nach dem Grundsatz "ne ultra petita" nicht darüber zu entscheiden, ob die von dem Kläger erklärten Kapitalerträge gänzlich steuerlich unberücksichtigt bleiben müssten, weil der Darlehensvertrag einem Fremdvergleich nicht standhält oder eine den Gesellschaftern zuzurechnende vGA vorliegt.

 

Normenkette

§ 32d Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2, § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, § 15 AO, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG

 

Sachverhalt

Die hochbetagte Klägerin schloss im Jahr 2002 einen schriftlichen Vertrag über die Gewährung eines festverzinslichen Darlehens in Höhe von 250.000 EUR mit einer GmbH ab, an der ihre zwei Enkelkinder zu jeweils 36 % und ihre Tochter zu 28 % beteiligt waren. Das Darlehen hatte eine Laufzeit von fünf Jahren. Im Streitjahr 2009 erzielte die Klägerin aus dem Darlehen Kapitalerträge in Höhe von 6.290 EUR.

Das FA unterwarf diese Zinserträge der tariflichen Einkommensteuer. Die hiergegen erhobene Klage, mit der die Klägerin die Anwendung des Abgeltungsteuersatzes begehrte, wies das FG ab (Niedersächsisches FG, Urteil vom 6.7.2011, 4 K 322/10, Haufe-Index 2740104, EFG 2012, 242).

 

Entscheidung

Die Revision hatte Erfolg. Der BFH entschied, der Abgeltungsteuersatz sei hier nicht gesetzlich ausgeschlossen. Die Klägerin – als Gläubigerin der Kapitalerträge – und ihre Tochter und Enkelkinder – als an der Schuldnerin der Kapitalerträge mit mindestens 10 % beteiligte Anteilseigner – seien nicht als einander nahestehende Personen i.S.d. Vorschrift anzusehen.

Da die Klage aus diesem Grund in vollem Umfang Erfolg habe, sei nicht darüber zu entscheiden, ob die von der Klägerin in Höhe von 6.290 EUR erklärten Kapitaleinkünfte bei der Steuerfestsetzung gänzlich unberücksichtigt bleiben müssten, weil der von der Klägerin und der GmbH geschlossene Darlehensvertrag einem Fremdvergleich nicht standhalte. Dies gelte auch für die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe die Zinszahlungen der GmbH als vGA den Anteilseignern und nicht der Klägerin zuzurechnen sein könnten und wie die Weiterleitung dieses Vorteils an die Klägerin steuerlich zu beurteilen wäre.

 

Hinweis

1.Dieser Fall ist sachverwandt mit der vorstehend abgedruckten Besprechung des Urteils vom 29.4.2014 – VIII R 23/13. Der BFH kommt hier aber – was manchen auf den ersten Blick erstaunen mag – zum gegenteiligen Ergebnis, nämlich zur Anwendung des Abgeltungsteuersatzes.

2. Es geht um das Verhältnis von § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 (Gesellschafterfremdfinanzierung) zu Satz 2 dieser Vorschrift (Darlehen einer dem Gesellschafter nahestehende Person).

a) Gem. § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG gilt der Abgeltungsteuersatz nicht, wenn Kapitaleinkünfte von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Diese Ungleichbehandlung der Anteilseigner im Vergleich zu den durch den Abgeltungsteuersatz begünstigten Steuerpflichtigen ist verfassungsgemäß, wie der BFH mit dem vorstehend besprochenen Urteil vom 29.4.2014, VIII R 23/13 entschieden hat.
b) Anders ist die Rechtslage jedoch im Anwendungsbereich des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG. Nach dieser Vorschrift ist die Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Kapitaleinkünfte auch dann ausgeschlossen, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge eine dem Anteilseigner nahestehende Person ist.

Hier hängt nun wieder alles am Begriff der "nahestehenden Person" der, wenn man ihn wörtlich nimmt, den Ausschluss von der Abgeltungsteuer auf einen vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten Umfang ausweitet. Deshalb ist die Vorschrift so auszulegen, dass ein lediglich aus der Familienangehörigkeit abgeleitetes persönliches Näheverhältnis nicht ausreicht, um den Abgeltungsteuersatz auszuschließen. Im Einzelnen wird dazu auf das oben besprochene Urteil vom 29.4.2014, VIII R 9/13 verwiesen.

3.Das Urteil zeigt auch, dass der Fremdvergleich als Prüfungsmaßstab eine neue Facette hinzugewonnen hat. Im Streit um den Ausschluss von der Abgeltungsteuer kann es vorkommen, dass der Steuerpflichtige und das FA beim Thema Fremdvergleich mit umgekehrtem Vorzeichen fechten: Hält nämlich ein Darlehen unter Angehörigen dem Fremdvergleich nicht stand, so sind die Zinsen keine Kapitaleinkünfte, sondern privat veranlasste Zuwendungen gem. § 12 EStG. Ein Prozess um den niedrigeren Abgeltungsteuersatz wäre dann in jedem Fall erfolgreich, weil die Einkommensteuer richtigerweise noch weit niedriger festzusetzen...

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