Leitsatz

Die (widerlegbare) Vermutung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO i.d.F. d. JStG 2009 setzt voraus, dass die betreffende Körperschaft (hier: ein islamisch-salafistischer Verein) im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes für den zu beurteilenden Veranlagungszeitraum ausdrücklich als extremistisch eingestuft wird.

 

Normenkette

§ 51, § 52 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 56, § 57 AO i.d.F. vor dem JStG 2009, § 51 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO i.d.F. d. JStG 2009, § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG

 

Sachverhalt

Es klagte ein seit 1995 im Vereinsregister eingetragener Verein. Er betreibt eine Moschee. Nach seiner Satzung hat der Verein den Zweck der Förderung der Religion und Kultur, der Hilfe für religiös Verfolgte und Flüchtlinge und der Volks- und Berufsbildung. Seine Organe sind der aus einer Person bestehende Vorstand und die Mitgliederversammlung. Der Satzungszweck soll insbesondere durch folgende Maßnahmen erreicht werden: Durchführung der religiös-kulturellen Handlungen und Gottesdienste; Informationen durch die Durchführung von Veranstaltungen, Vorträgen und Diskussionen; Integrationsarbeiten, z.B. Begleitung bei Behördengängen und Veranstaltungen für die Förderung der Integration; Zusammenarbeit mit anderen muslimischen Verbänden in Deutschland; Einrichtung eines Archivs mit Büchern und audiovisuellen Medien.

Im Verfassungsschutzbericht des betreffenden Bundeslandes für das Jahr 2008 fand der Verein im Kapitel "Ausländerextremismus" im Zusammenhang mit dem von ihm propagierten islamisch-salafistischen Gedankengut Erwähnung.

Das FA erkannte den Verein für 2008 nicht als gemeinnützig an. Die deswegen erhobene Klage hatte Erfolg (Sächsisches FG, Urteil vom 11.1.2011, 2 K 1429/10, Haufe-Index 2628076, EFG 2011, 1675).

 

Entscheidung

Auch der BFH gab dem Verein recht: Die gesetzliche Vermutung in § 51 Abs. 3 Satz 1 AO greife nur ein, wenn die betreffende Organisation in dem Verfassungsschutzbericht ausdrücklich als extremistisch eingestuft werde, was hier nicht der Fall gewesen sei. Konkrete Belege für extremistische Aktivitäten des Vereins im Jahr 2008 habe das FG nicht feststellen können, sodass für jenen VZ keine Grundlage für einen Entzug der Gemeinnützigkeit bestanden habe. Dass das BMF dem Revisionsverfahren beigetreten war, konnte daran nichts ändern.

 

Hinweis

1. Streitpunkt ist die Gemeinnützigkeit eines islamisch-salafistischen Vereins und damit einhergehend die KSt-Befreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG im Jahr 2008. Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern (§ 52 Abs. 1 Satz 1 AO). Unter diesen Voraussetzungen ist als Förderung der Allgemeinheit auch die Förderung der Religion anzuerkennen (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO).

2. Der Sinngehalt des unbestimmten Rechtsbegriffes "Förderung der Allgemeinheit" in § 52 Abs. 1 Satz 1 AO wird wesentlich geprägt durch die objektive Wertordnung, wie sie insbesondere im Grundrechtskatalog der Art. 1 bis 19 GG zum Ausdruck kommt. Eine Tätigkeit, die mit diesen Wertvorstellungen nicht vereinbar ist, ist keine Förderung der Allgemeinheit. Als Förderung der Allgemeinheit sind danach solche Bestrebungen nicht anzuerkennen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung Deutschlands richten.

3. Dem entspricht der Sache nach die Regelung des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO i.d.F. d. JStG 2009, nach der eine Steuervergünstigung auch voraussetzt, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen i.S.d. § 4 BVerfSchG fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt. Diese Neuregelung war gem. Art. 97 § 1d Abs. 2 EGAO vom 1.1.2009 an anzuwenden; fraglich ist nur, ob "rückwirkend" auch für bereits abgelaufene VZ, solange die betreffenden Steuerfestsetzungen noch nicht bestandskräftig geworden sind (so der AEAO i. d. F. des BMF-Schreibens vom 17.1.2012, BStBl I 2012, 83, Nr. 10 Satz 1 zu § 51 Abs. 3), oder nur für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht beendeten VZ. Der BFH konnte Letzteres offenlassen. Denn:

4. Die objektive Feststellungslast für die Tatsachen, aus denen sich die Gemeinnützigkeit ergibt, trägt grundsätzlich die Körperschaft. Dass die Körperschaft im Rahmen ihrer tatsächlichen Geschäftsführung nicht gegen die Wertordnung des GG verstößt, ist allerdings eine negative Tatsache, die von der Körperschaft nur dann darzutun ist, wenn die Finanzbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass das nicht der Fall ist. Als ein solcher Anhaltspunkt kommt die Erwähnung der Körperschaft in einem Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes in Betracht.

Indessen: Die betreffende Körperschaft muss, um die Regelannahme des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO auszulösen, in einem Verfassungsschutzbericht schon ausdrücklich "als extremistische Organisation aufgeführt" werden. Das ergibt sich klar und unmissverständlich aus § 51 Abs. 3 Satz 2 AO. Dass sie nur als Verdachtsfall od...

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