Rz. 87

Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 GrEStG fingiert unter den dort genannten Voraussetzungen den Erwerb eines oder mehrerer Grundstücke von einer Gesellschaft (vgl. BFH v. 31.3.1982, BStBl II 1982, 424, und BFH v. 26.7.1995, BStBl II 1995, 736). Mit diesem neben § 1 Abs. 2 GrEStG und § 1 Abs. 2a GrEStG weiteren Ergänzungstatbestand zum Haupttatbestand des § 1 Abs. 1 GrEStG soll der Erwerber oder der Inhaber von mindestens 90 % der Anteile an einer Gesellschaft mit Grundbesitz – ungeachtet der zivilrechtlichen Eigentümerschaft der Gesellschaft an den Grundstücken – so behandelt werden, als sei er aufgrund seiner Herrschaftsmacht über die Gesellschaft Alleineigentümer der Gesellschaftsgrundstücke – vgl. § 903 BGB – geworden. Diese Sachbehandlung trägt der Tatsache Rechnung, dass der Inhaber von 90 % und mehr der Gesellschaftsanteile aufgrund seiner Rechtsposition zugleich die Sachherrschaft über die der Gesellschaft gehörenden Grundstücke ausüben kann; denn es dürfte kaum ernsthaft zweifelhaft sein, dass ein so dominierender Gesellschafter wirtschaftlich über ein Gesellschaftsgrundstück ebenso verfügen kann wie ein bürgerlich-rechtlicher Eigentümer.

Mit § 1 Abs. 3 GrEStG, der bereits seit 80 Jahren Bestandteil des Gesetzes ist, sollen Steuerumgehungen verhindert werden. Dieser Zweck genießt gerade unter dem Stichwort "Share deal" bis heute höchste politische Aktualität. Es leuchtet ein, dass beim Fehlen einer solchen Norm Grundstücke im Rahmen von Anteilsübertragungen wirtschaftlich betrachtet von einem Rechtsträger auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden könnten, ohne dass dieser Wechsel der Herrschaftsmacht über die Grundstücke mit Grunderwerbsteuer belastet würde. Unter verfassungsrechtlichen Aspekten ist die Besteuerung der Vereinigung bzw. der Übertragung/des Übergangs von mindestens 90 % der Anteile an einer Gesellschaft nicht zu beanstanden, auch wenn der Gesetzgeber damit die von ihm gewählte Systematik des GrEStG ausnahmsweise wieder verlässt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Besteuerung in seiner zu § 1 Abs. 3 a. F. GrEStG ergangenen Rechtsprechung ausdrücklich für sachlich gerechtfertigt und auch verfassungskonform angesehen. Danach braucht der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Steuertatbestände des GrEStG nicht durchgängig an die bürgerlich-rechtliche Ordnung anzuknüpfen, sondern durfte § 1 Abs. 3 GrEStG unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte als Ergänzungstatbestand schaffen, ohne damit die selbst gewählte Gesetzessystematik des GrEStG aufzugeben (vgl. BVerfG v. 16.5.1969, HFR 1969, 398).

Nachdem in der Immobilienwirtschaft Steuergestaltungen publik geworden sind, sah sich die Politk veranlasst, diesen einen Riegel vorzuschieben. Daher wurde zum 1.7.2021 das "Steuerschlupfloch Share deal" geschlossen. Vor allem die Bundesländer haben in einer politischen Arbeitsgruppe Überlegungen angestellt, diesen Gestaltungen durch eine Herabsetzung der Anteilsgrenzen zu begegnen. In der Diskussion war eine Herabschleusung bis auf 50 % der Anteile. Während der wissenschaftliche Dienst des Bundestages eine Herabsetzung der Grenze auf 75 % für verfassungsrechtlich unproblematisch hält, begegnete eine Herabsetzung auf 50 % m. E. erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Gesetzlich geregelt ist jetzt eine Grenze von 90 %, was verfassungsrechtlich völlig unproblematisch ist. § 1 Abs. 3 GrEStG durchbricht nicht nur das Trennungsprinzip zwischen Kapitalgesellschaft und dem Beteiligten; die Vorschrift löst sich auch von der zivilrechtlichen Betrachtung und ersetzt sie durch eine wirtschaftliche.

Gegenstand der Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG ist die durch den Erwerb der Gesellschaftsanteile bewirkte Änderung bei der Zuordnung von Grundstücken (vgl. BFH v. 31.3.1982, BStBl II 1982, 424, und BFH v. 20.10.1993, BStBl II 1994, 121). Die bei der Verwirklichung des Tatbestands entstehende Grunderwerbsteuer bezieht sich jeweils auf das einzelne Grundstück (§ 2 GrEStG). Ein entsprechender Erwerbsvorgang erzeugt deshalb so viele Grunderwerbsteuerfälle, wie der Gesellschaft, deren Anteile i. S. v. § 1 Abs. 3 GrEStG in einer Hand vereinigt oder übertragen werden, Grundstücke gehören (vgl. BFH v. 28.6.1972, BStBl II 1972, 719).

Der Erwerb der Anteile selbst dient gesetzestechnisch lediglich als Rechtsakt, an den die Besteuerung dann anknüpft. Wie im Grunderwerbsteuerrecht durchweg üblich, wird der Tatbestand auch hier grundsätzlich auf das Verpflichtungsgeschäft vorverlagert, das der Vereinigung bzw. der Übertragung/dem Übergang von mindestens 90 % der Anteile vorausgeht. Dementsprechend enthält § 1 Abs. 3 GrEStG insgesamt 4 Ergänzungstatbestände. Der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 und 2 GrEStG wird erfüllt, wenn mindestens 90 % der Anteile an einer Gesellschaft erstmals in einer Hand vereinigt werden. Der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 und 4 GrEStG tritt ein, wenn mindestens 90 % der Anteile übertragen werden oder übergehen. Die Vorschrift knüpft also in erster Linie an das der Vereinigung bz...

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