Rz. 481

Der Rat hatte am 17.10.2005 die Verordnung (EG) Nr. 1777/2005 verabschiedet.[1] Durch die Verordnung waren erstmals Durchführungsvorschriften zur 6. EG-Richtlinie aufgrund der neuen Rechtsgrundlage in Art. 29a der 6. EG-Richtlinie[2] erlassen worden, die ab 1.7.2006 galten und rechtlich bindend waren.

 

Rz. 482

Die Verordnung (EG) Nr. 1777/2005 ist durch die vom Rat am 15.3.2011 verabschiedete "Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011"[3] – im Folgenden VO 282/2011 – ersetzt worden. Mit der neuen VO, die auf Art. 397 MwStSystRL beruht, wurde die Durchführungsverordnung Nr. 1777/2005 neu gefasst und unter Berücksichtigung der bis dahin angenommenen Leitlinien des MwSt-Ausschusses[4] erweitert. Die Neuregelungen gelten größtenteils seit dem 1.7.2011 (einige wenige ab späteren Zeitpunkten). Die VO Nr. 1777/2005 selbst wurde zum 1.7.2011 aufgehoben. Zu den Änderungen ab 1.7.2021 aufgrund des sog. Digitalpakets vgl. Abschn. 4.27.

 

Rz. 483

In die VO 282/2011 sind insbesondere die vom MwSt-Ausschuss zu der Richtlinie 2008/8/EG v. 12.2.2008 mit den neuen Bestimmungen zum Ort der Dienstleistungen erlassenen Leitlinien eingeflossen. Die VO 282/2011 ist – ohne dass es eines nationalen Umsetzungsakts bedarf, als unmittelbar geltendes Recht – sowohl für die Mitgliedstaaten (Wirtschaftsteilnehmer, Verwaltung und Gerichtsbarkeit), die Europäische Kommission als auch für den EuGH rechtlich bindend. Sie soll eine einheitliche Anwendung der MwStSystRL in den Mitgliedstaaten sicherstellen und berührt nicht die Gültigkeit der von den Mitgliedstaaten in der Vergangenheit (d. h. bis zum Inkrafttreten der VO 282/2011) angenommenen Rechtsvorschriften und Auslegungen. Bei der Anwendung der Durchführungsvorschriften ist zu beachten, dass diese spezifischen Regelungen zu einzelnen Anwendungsfragen enthalten und ausschließlich im Hinblick auf eine gemeinschaftsweit einheitliche steuerliche Behandlung dieser Einzelfälle konzipiert sind. Sie sind daher nicht auf andere Fälle übertragbar und grundsätzlich restriktiv auszulegen. Der VO 282/2011 gehen Erwägungsgründe vor, warum die dort angesprochenen Regelungen getroffen wurden. Die Erwägungsgründe sind materiell-rechtlicher Teil der VO und bei ihrer Auslegung zu berücksichtigen.

 

Rz. 484

Die VO 282/2011 enthält auch eine Reihe von Neuregelungen auf der Grundlage von Leitlinien, die der MwSt-Ausschuss in den Jahren vor der Verabschiedung der Verordnung Nr. 1777/2005 im Jahr 2005 und danach zu verschiedenen Fragen beschlossen hatte. Die Neuregelungen lassen sich in drei Gruppen einteilen:

  • mehrere Leitlinien, die vor 2005 zu verschiedenen Bestandteilen der MwSt-Richtlinie beschlossen, in die Verordnung Nr. 1777/2005 aber nicht aufgenommen wurden;
  • mehrere Leitlinien, die seit 2005 zu verschiedenen Bestandteilen der MwSt-Richtlinie beschlossen wurden, aber noch nicht in Durchführungsvorschriften umgewandelt wurden;
  • andere Leitlinien, die mit Änderungen infolge der Richtlinie 2008/8/EG zum Ort der Dienstleistung zusammenhängen.

Die angesprochenen Leitlinien wurden von den Mitgliedstaaten entweder einstimmig (alle – damals noch – 27 MS), fast einstimmig (24–26 MS) oder mit großer Mehrheit (18–23 MS) angenommen.

 

Rz. 485

Art. 1 VO 282/2011 (Anwendungsbereich) legt fest, dass die VO die Durchführung einiger Bestimmungen der Titel I bis V und VII bis XII der MwStSystRL regelt, also folgende Bereiche der MwStSystRL anspricht: Zielsetzung und Anwendungsbereich, räumlicher Anwendungsbereich, Steuerpflichtiger, steuerbarer Umsatz, Ort des steuerbaren Umsatzes, Steuerbemessungsgrundlage, Steuersätze, Steuerbefreiungen, Vorsteuerabzug, Pflichten der Steuerpflichtigen und Sonderregelungen. Unangesprochen bleiben die Bereiche Steuertatbestand und Steueranspruch, Ausnahmeregelungen, Verschiedenes und Schlussbestimmungen der MwStSystRL.

 

Rz. 486

Art. 2 VO 282/2011 (Nichtvorliegen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs) betrifft

  • das Verbringen eines neuen Fahrzeugs durch einen Nichtunternehmer, das ursprünglich nicht im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung steuerfrei erworben wurde, im Zuge eines Wohnortwechsels in einen anderen Mitgliedstaat und
  • die Rückführung eines neuen Fahrzeugs durch einen Nichtunternehmer in den Mitgliedstaat, in dem es usprünglich im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung steuerfrei geliefert worden war.[5]

In beiden Fällen liegt kein innergemeinschaftlicher Erwerb eines neuen Fahrzeugs i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL vor.

 

Rz. 487

Art. 3 VO 282/2011 (Dienstleistungen außerhalb des Anwendungsbereichs der MwSt) betrifft die Nichtsteuerbarkeit einer Dienstleistung, deren Ort sich nach der Ansässigkeit des Empfängers außerhalb der EU bestimmt. Für folgende Dienstleistungen soll es – unbeschadet der use-and-enjoyment-Klausel des Art. 59a Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL (Verlagerung des Leistungsorts vom Drittland ins Inland, wenn dort die tatsächliche Nutzung oder Auswertung erfolgt) – zum Nachweis der Nichtsteuerbarkeit ausreichen, wenn der leistende Unternehmer die A...

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