Rz. 100

Nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL gelten die Staaten, Länder, Gemeinden und sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Das gilt auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten z. B. Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Für die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige müssen also zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Tätigkeiten müssen

  • durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts und
  • im Rahmen der öffentlichen Gewalt

ausgeübt werden.

 

Rz. 101

Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind nur solche Einrichtungen, die (organisatorisch) in die öffentliche Verwaltung eingegliedert sind. Darunter fallen nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nur die öffentlichen Einrichtungen selbst einschließlich ihrer organisatorisch unselbstständigen Einrichtungen. Dagegen kommen Dritte, die mit der Wahrnehmung von Hoheitsaufgaben betraut werden (z. B. Notare oder staatliche Steuereinnehmer), nicht in den Genuss der Sonderregelung des Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL.[1] Auch Einrichtungen des Privatrechts, z. B. Aktiengesellschaften, können die Sonderbehandlung grds. nicht beanspruchen. Eine Aktiengesellschaft, die zu 100 % von der öffentlichen Hand gehalten wird und Beratungs- und Verwaltungstätigkeiten zur Förderung und Rationalisierung eines regionalen Gesundheitssystems erbringt, kann aber als Nichtunternehmer i. S. d. Art. 13 MwStSystRL anzusehen sein.[2]

Eine zur Eintragung ins Firmenregister verpflichtete Wirtschaftsgesellschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht (nonprofit-organisation), die zu 100 % im Eigentum einer Gemeinde steht und mit der Gemeinde einen Aufgabenwahrnehmungs- und Vermögensnutzungsvertrag abschließt, wonach sie gegen eine entsprechende Ausgleichszahlung die Wahrnehmung von Pflichtverwaltungsaufgaben der Gemeinde übernimmt, ist keine "Einrichtung des öffentlichen Rechts" gemäß Art. 13 MwStSystRL. Der EuGH fordert für die Annahme einer öffentlichen Einrichtung eine Art organschaftliche Verbindung zwischen der Gesellschaft und der Gemeinde.[3]

Das Fehlen einer allgemeinen nationalen Regelung zur Unternehmereigenschaft öffentlich-rechtlicher Einrichtungen führt, wenn diese Tätigkeiten außerhalb der öffentlichen Gewalt ausführen, zu einem Verstoß gegen die MwStSystRL. Umsätze öffentlich-rechtlicher Einrichtungen sind grundsätzlich zu besteuern und können nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des Art. 13 MwStSystRL vom Anwendungsbereich der MwSt ausgenommen werden. Das für die Behandlung einer öffentlichen Einrichtung als Nichtunternehmer erforderliche Handeln im Rahmen der öffentlichen Gewalt setzt voraus, dass die fragliche Tätigkeit eng mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse zusammenhängt. Dies ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn eine öffentlich-rechtliche Einrichtung im Rahmen spezieller gesetzlicher Bestimmungen und Befugnisse handelt.[4]

Die Organisationseinheit einer Gemeinde - wobei die Gemeinde selbst Steuerpflichtiger i. S. d. Art. 9 MwStSystRL ist –, die eine ihr übertragene wirtschaftliche Tätigkeit im Namen und für Rechnung der Gemeinde durchführt und nicht für die durch die Tätigkeit hervorgerufenen Schäden haftet, da die Gemeinde hierfür allein die Verantwortung übernimmt, ist nicht – neben der Gemeinde – als eigenständiger Steuerpflichtiger anzusehen, da sie nicht die in Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL aufgestellte Voraussetzung der Selbstständigkeit (Unabhängigkeit) erfüllt. Für die Beurteilung der Voraussetzung der Selbstständigkeit bei der Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeiten können bei Einrichtungen des öffentlichen Rechts und privatrechtlichen Einrichtungen dieselben Kriterien anwendbar sein.[5]

 

Rz. 102

Das Merkmal der Tätigkeit "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" ist nach der Rechtsprechung des EuGH nicht nach dem Inhalt, sondern nach der Form der Tätigkeit zu beurteilen, also danach, ob die Tätigkeit dem Benutzer gegenüber öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet ist. Der EuGH formuliert dies so, dass die Einrichtungen öffentliche Gewalt ausüben, wenn sie dabei im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelungen tätig werden. Handeln sie dagegen unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer, so kann man nicht von einer Tätigkeit "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" ausgehen. Es ist Sache jedes Mitgliedstaats, die geeignete Gesetzestechnik zu wählen, um die in Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL aufgestellte Regel in sein innerstaatliches Recht umzusetzen.[6]

Zu der Frage, ob eine öffentliche Einrichtung, die Straßenmautgebühren erhebt, als Unternehmer nach Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL anzusehen ist, wenn die gleiche Tätigkeit auch von privaten Betreibern wahrgenommen wird, vgl. EuGH v. 19.1.2017.[7]

 

Rz. 103

Die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen durch eine öffentliche Einrichtung ist ebenfalls eine hoheitliche Tätigkeit, wenn diese Vermietung im Rahmen ein...

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