Rz. 37

Die Leistungen der dem Personenzusammenschluss angeschlossenen Mitglieder müssen, seien sie nichtunternehmerisch oder steuerfrei, nach der entsprechenden Voraussetzung des § 4 Nr. 29 UStG dem Gemeinwohl dienen. Der Begriff des Gemeinwohls oder "dem Gemeinwohl dienend" wurde bisher im UStG nicht verwendet. Art. 132 MwStSystRL sieht Steuerbefreiungen vor, mit denen, wie die Überschrift des Kapitels zeigt, zu dem Art. 132 MwStSystRL gehört, die Förderung bestimmter, dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten bezweckt wird. Diese Befreiungen betreffen jedoch nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten, sondern nur diejenigen, die in der Vorschrift einzeln aufgeführt und genau beschrieben sind.[1]

 

Rz. 38

Dies legt nahe, dass zumindest alle Umsätze nach Art. 132 MwStSystRL wie auch immer als dem Gemeinwohl dienend angesehen werden. Der Wortlaut von § 4 Nr. 29 UStG, der davon spricht, dass die Mitglieder des Personenzusammenschlusses eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausüben müssen, die nach § 4 Nr. 11b, 14 bis 18, 20 bis 25 oder 27 UStG steuerfrei ist, setzt damit ebenfalls die genannten Tätigkeiten unmittelbar mit Tätigkeiten gleich, die dem Gemeinwohl dienen. Dies mag erklären, warum z. B. Umsätze nach § 4 Nr. 28 UStG in § 4 Nr. 29 UStG nicht aufgeführt sind. Die nach § 4 Nr. 28 UStG begünstigten Lieferungen von Gegenständen, für die der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1a ausgeschlossen ist oder wenn der Unternehmer die gelieferten Gegenstände ausschließlich für eine nach § 4 Nr. 8 bis 27 und 29 UStG steuerfreie Tätigkeit verwendet hat, sind als Hilfsgeschäfte sicher keine Umsätze, die dem Gemeinwohl dienen. Andererseits legt die Wendung "dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit" in § 4 Nr. 29 UStG im Zusammenhang mit nichtunternehmerischen und den genannten steuerfreien Tätigkeiten nahe, dass der Gesetzgeber nicht alle diese Tätigkeiten zwingend als dem Gemeinwohl dienend ansieht. Ansonsten hätte er – zumindest bezogen auf die Steuerfreiheit der Tätigkeit der Mitglieder des Personenzusammenschlusses – auch auf das Erfordernis des Gemeinwohlzwecks verzichten können. Dies macht es notwendig, den Begriff des Gemeinwohls näher zu bestimmen.

 

Rz. 39

Nach der EuGH-Rechtsprechung kann nicht jede Person, die eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausübt, als eine vom Mitgliedstaat anerkannte Einrichtung angesehen werden. So hat der EuGH[2] die Berufsgruppe der Rechtsanwälte von der Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL ausgeschlossen, da Dienstleistungen i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nur eines der Ziele des Anwaltsberufs darstellen können. Der BFH[3] spricht z. B. in einem Rechtsstreit zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Leistungen eines selbstständigen Erziehungsbeistands davon, dass an dieser Tätigkeit im Bereich der Hilfe zur Erziehung ein besonderes Gemeinwohlinteresse bestehe. Die Pflege und Erziehung von Kinder bzw. Jugendlichen obliege zwar primär den Eltern. Erfüllten sie diese Aufgaben aber nicht oder nur unzulänglich, liege es im allgemeinen Interesse, Kinder und Jugendliche bereits möglichst frühzeitig zu betreuen und ihnen die Chance an einer Teilhabe am späteren Erwerbsleben und der Gesellschaft zu ermöglichen. Nach diesen Überlegungen könnte der Begriff des Gemeinwohls bzw. des Gemeinwohlinteresses dahin verstanden werden, dass er das Interesse der Menschen in einer Gesellschaft widerspiegelt, die Funktion der Gesellschaft und ihren Zusammenhalt zu fördern. Dabei steht das Wohlergehen jedes Einzelnen in der Gesellschaft im Vordergrund. Nach Gabler Wirtschaftslexikon versteht man aus dem lateinischen bonum commune übersetzt unter Gemeinwohl ein mehr oder weniger konkretes, allgemeines Wohl der Gesellschaft, was oft (aber nicht nur) als Aufgabe des Staates gilt. Nach Pfreundschuh[4] ist Gemeinwohl die Vorstellung von einem Zustand des Wohlergehens einer Gemeinschaft, die als Gesellschaft verstanden wird – oft auch als Wohlfahrt bezeichnet (Wohlfahrstaat oder Sozialstaat). Denninger[5] weist darauf hin, dass das Allgemeinwohl ein wie selbstverständlich verwendeter Begriff sei, es sich aber um einen unbestimmten Rechtsbegriff handele. Dies erläutert er am Beispiel der Enteignung, dort sei der Gemeinwohlzweck die wichtigste materiell-rechtliche Zulässigkeitsvoraussetzung. Von daher stelle das Wohl der Allgemeinheit einen zwar unbestimmten, aber doch justiziablen Rechtsbegriff dar. Ferner sei das Wohl der Allgemeinheit das allgemeinste aller denkmöglichen Staatsziele. Von daher wird man annehmen können, dass der Gemeinwohlbegriff in § 4 Nr. 29 UStG Tätigkeiten der Mitglieder des Personenzusammenschlusses voraussetzt, die im allgemeinen Interesse der Gesellschaft und nicht hauptsächlich im Interesse Einzelner liegen. So dürften insbesondere Nebenleistungen zu Umsätzen, die unter eine der in § 4 Nr. 29 UStG aufgeführten Steuerbefreiungsvorschriften fallen und die steuerpflichtig wären, wenn sie als Hauptleistungen erbracht würden, nicht dem Gemeinwohl dienen. Leistungen des Personenzusamm...

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