Rz. 27

Ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss des FG wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit ist – wie die Rechtswegverweisung – für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wird, gem. § 70 S. 1 FGO i. V. m. § 17a Abs. 2 S. 3 GVG bindend. Das gilt auch, wenn der Verweisungsbeschluss von einem örtlich unzuständigen FG getroffen worden ist.[1] Damit soll nach allgemeiner Auffassung im Interesse der Prozessökonomie sichergestellt werden, dass die Entscheidung des Rechtsstreits nicht durch Zuständigkeitsstreitigkeiten innerhalb derselben Gerichtsbarkeit unnötig verzögert wird. Der Grundsatz der Bindungswirkung gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen zu den Rz. 11–17 verwiesen. Hält das FG, an welches der Rechtsstreit verwiesen worden ist, den Verweisungsbeschluss aus einem der in diesen Rz. genannten Gründe nicht für bindend, sollte es den Rechtsstreit allerdings nicht einfach zurückverweisen, denn der Rechtsstreit ist mit Eingang der Akten bei ihm und damit nicht mehr beim verweisenden Gericht anhängig (Rz. 23). Das FG, an welches der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hat sich vielmehr – nach Anhörung der Parteien – ebenfalls für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit gem. § 39 Abs. 1 Nr. 4 FGO dem BFH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorlegen.[2]

 

Rz. 28

Der Umfang der Bindungswirkung einer entsprechenden Verweisungsentscheidung ist hingegen bisher nicht abschließend geklärt.

Nach überwiegender Auffassung folgt zutreffend aus der beschränkten Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 S. 3 GVG im Falle der Rechtswegverweisung (Rz. 12), dass auch bei einer Verweisung nach § 70 FGO eine Bindung nur insoweit eintreten kann, soweit das verweisende Gericht die Zuständigkeitsfragen geprüft hat, was unter Einbeziehung der Gründe des Verweisungsbeschlusses zu würdigen ist. Daher kann bei einer Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit eine Weiterverweisung nur noch wegen sachlicher Unzuständigkeit oder umgekehrt in Betracht kommen.[3]

Daneben soll sich die Bindungswirkung einer Verweisungsentscheidung wegen örtlicher und/oder sachlicher Unzuständigkeit nicht auf die Frage der Zulässigkeit des Finanzrechtswegs erstrecken.[4] Auch hier gilt allerdings, dass das vom verweisenden Gericht für örtlich zuständig erachtete FG auch in Bezug auf den Finanzrechtsweg gebunden wird, wenn das verweisende FG als zwingende Vorfrage zur Feststellung seiner örtlichen Unzuständigkeit den Finanzrechtsweg ausdrücklich bejaht.[5] Im Ergebnis umfasst daher die Bindungswirkung einer Verweisungsentscheidung auch eine ersichtlich mitgeprüfte und bejahte oder ausdrücklich verneinte anderweitige Zuständigkeitsfrage, nicht aber eine offengelassene oder ersichtlich nicht geprüfte Zuständigkeitsfrage.[6]

[2] BFH v. 29.6.2015, III S 12/15, BFH/NV 2015, 1421; Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 70 FGO Rz. 8.
[3] Gräber/Herbert, FGO, 9. Aufl. 2019, § 70 Rz. 11; Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 70 FGO Rz. 7; Schoenfeld, in Gosch, AO/FGO, § 70 FGO Rz. 33; Schallmoser, in HHSp, AO/FGO, § 70 FGO Rz. 23; a. A. Gräber/Koch, FGO, 7. Aufl. 2010, § 70 FGO Rz. 11.
[4] Schallmoser, in HHSp, AO/FGO, § 70 FGO Rz. 23; Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 70 FGO Rz. 7.
[6] So auch Schallmoser, in HHSp, AO/FGO, § 70 FGO Rz. 23 m. w. N.

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