Rz. 15

Der BFH entscheidet in der Sache selbst, wenn die Sache entscheidungsreif (spruchreif) ist.[1] Das setzt voraus, dass der BFH anhand der festgestellten Tatsachen abschließend entscheiden kann, dass eine Rechtsverletzung vorliegt.[2] Dies ist nicht der Fall, wenn die Tatsachenfeststellungen, an die der BFH gebunden ist[3], eine abschließende Beurteilung nicht zulassen, z. B. weil der festgestellte Sachverhalt nicht ausreicht oder widersprüchlich ist, wenn ein absoluter Revisionsgrund i. S. d. § 119 FGO vorliegt[4], wenn ein geänderter Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens geworden ist und sich dadurch der Verfahrensstreitstoff ändert.[5] Spruchreife fehlt auch dann, wenn Rechtsfehler des FG zu saldieren sind und insoweit tatsächliche Feststellungen fehlen.[6]

 

Rz. 16

Ob eine Sache spruchreif ist, der BFH also durcherkennen kann bzw. muss (Rz. 10), kann im Einzelfall zweifelhaft sein. Die Frage ist für die Beteiligten von entscheidender Bedeutung, weil nach einer Zurückverweisung der Streit vor dem FG wieder in vollem Umfang offen ist, d. h., es können neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht und neue Anträge gestellt werden (Rz. 27).

  • Der BFH entscheidet jedenfalls immer dann in der Sache (er "erkennt durch"), wenn der vom FG festgestellte Sachverhalt[7] die begehrte Rechtsfolge deckt und gegen die Feststellungen keine Verfahrensrügen durchgreifen.[8]
  • Dies gilt auch, wenn der BFH die Entscheidung auf einen neuen, vom FG nicht geprüften bzw. nicht gesehenen rechtlichen Gesichtspunkt stützt. Ein Anspruch auf eine vorhergehende Prüfung insoweit durch das FG besteht nicht.
  • Auch bei Ergehen eines Änderungsbescheids im Revisionsverfahren kann der BFH durcherkennen, sofern die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs von der Änderung des angefochtenen Bescheids unberührt geblieben sind,[9] z. B. weil durch den Änderungsbescheid kein neuer Streitpunkt eingeführt worden ist.[10] Mit dem Ergehen des Änderungsbescheids liegt dem FG-Urteil allerdings ein nicht (mehr) wirksamer Bescheid zugrunde mit der Folge, dass das FG-Urteil keinen Bestand haben kann. Der BFH hebt dann das FG-Urteil auf und entscheidet in der Sache, wenn die Feststellungen des FG fehlerfrei sind und der Änderungsbescheid hinsichtlich des Sachverhalts in den Streitpunkten keine Änderungen enthält.[11]

    Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen fallen durch die Aufhebung des FG-Urteils nicht weg, sondern bilden unverändert die Entscheidungsgrundlage des BFH.[12]

  • Der BFH kann sich dabei auf tatsächliche Feststellungen des FG stützen, auch wenn diese für das FG-Urteil nicht entscheidungserheblich waren, sofern sich die Beteiligten dazu geäußert haben und die Rechtserheblichkeit in Betracht ziehen mussten.
  • Der BFH darf fehlende entscheidungserhebliche Feststellungen ohne Bezugnahme des FG nicht aus den Akten ergänzen. Dem BFH ist es verwehrt, wenn das FG auf den angefochtenen Bescheid nicht ausdrücklich oder konkludent in Bezug genommen hat, den Inhalt des Bescheids selbst den vorliegenden Akten entnehmen, sondern muss an das FG zurückverweisen.[13]
  • Der BFH kann auch dann durchentscheiden, wenn im konkreten Fall mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass sich bei einer Zurückverweisung vor dem FG weiterer entscheidungserheblicher Sachverhalt ergeben könnte.
  • In allen übrigen Fällen muss der BFH die Sache an das FG zurückverweisen, z. B.

    • wenn das FG den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt hat, z. B. weil es einen ordnungsgemäß gestellten Beweisantrag nicht berücksichtigt hat;[14]
    • wenn rechtserhebliche Tatsachen nicht festgestellt sind[15] oder die Tatsachenfeststellungen des FG widersprüchlich sind oder den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen widersprechen[16] oder wenn das FG die erforderliche Gesamtabwägung der Umstände unterlassen hat.[17] Dies gilt unabhängig davon, ob der Beteiligte vor dem FG oder im Revisionsverfahren weitere Tatsachen vorgetragen hat, die für die materiell-rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs bedeutsam sind. Denn insoweit war ein Vortrag des Beteiligten in dem bisherigen Verfahren nicht unbedingt veranlasst. Es reicht aus, dass die – über rein theoretische Erwägungen hinausgehende – konkrete Möglichkeit besteht, dass nach der Zurückverweisung weitere entscheidungserhebliche Umstände vor dem FG vorgebracht bzw. von ihm ermittelt werden. Gleichwohl empfiehlt sich in der Praxis ein Hinweis auf solche Umstände, um den BFH in Zweifelsfällen zu einer Zurückverweisung zu veranlassen;
    • wenn während des Revisionsverfahrens eine Rechtsvorschrift mit Rückwirkung in Kraft tritt, deren Anwendung für den Streitfall neue Ermittlungen erfordert;[18]
    • wenn das FG gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen hat und damit ein wesentlicher, auch ohne Rüge zu beachtender Verfahrensmangel vorliegt, der im Revisionsverfahren nicht mehr geheilt werden kann, z. B. unterbliebene Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO,[19] Überschreitung des Klageantrags[20], Erlass zweier Endurteile in derselben Sache[21], Verstoß gegen die ...

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