Rz. 20

Das zuständige Gericht wird nur auf ein Ersuchen der Finanzbehörde hin tätig. Ohne dieses Vernehmungsersuchen darf die Auskunftsperson selbst dann nicht eidlich vernommen werden, wenn sie freiwillig zur Eidesleistung bereit ist oder ihre Beeidigung beantragt. Für das Ersuchen gilt – obwohl sich dies nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt – Schriftform.[1] Hierfür sprechen nicht nur die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, sondern auch die Formulierung des § 94 Abs. 2 S. 1 AO.

 

Rz. 21

Der notwendige Inhalt des Ersuchens geht aus § 94 Abs. 2 S. 1 AO nur unvollständig hervor. Danach hat die Finanzbehörde (nur) den Gegenstand der Vernehmung sowie die Namen und Adressen der Beteiligten anzugeben. Es liegt auf der Hand, dass das Vernehmungsersuchen überdies den Namen und die ladungsfähige Anschrift der zu vernehmenden Auskunftsperson enthalten muss.

Besondere Bedeutung kommt der genauen Bezeichnung des Vernehmungsgegenstands, d. h. den Tatsachen, über die die Vernehmung erfolgen soll, zu. Hierdurch wird es dem Gericht ermöglicht, die eidliche Vernehmung sachgerecht durchzuführen. Eine Aktenübersendung sieht das Gesetz zwar nicht vor. Sie ist aber dennoch zulässig, wenn und insoweit dies zur Wahrheitsfindung erforderlich ist (z. B. um der Auskunftsperson frühere Aussagen vorzuhalten) und das Steuergeheimnis[2] gewahrt bleibt.[3] Eine ggf. vorzulegende Akte ist daher auf den Vernehmungsgegenstand zu reduzieren, soweit der Inhalt zur Erfüllung der Aufgabe und Abnahme des Eides erforderlich ist.

 

Rz. 22

Das Vernehmungsersuchen der Finanzbehörde beinhaltet verfahrensrechtlich zweierlei: Zum einen ist es ein Antrag auf gerichtliche Amtshilfe zur eidlichen Vernehmung nach §§ 111 Abs. 1, 112 Abs. 1 Nr. 1 AO. Zum anderen stellt es gegenüber der Auskunftsperson einen Verwaltungsakt i. S. d. § 118 AO dar.[4] Die Bekanntgabe dieses Verwaltungsakts erfolgt mittelbar im Rahmen der Vorladung durch das ersuchte Gericht[5], sobald das Ersuchen die Auskunftsperson erreicht. Insoweit wird die allgemeine Verfahrensvorschrift des § 122 AO modifiziert.

 

Rz. 23

Weder der Beteiligte noch die Auskunftsperson müssen vor dem Ergehen des Vernehmungsersuchens gehört werden.[6] Das Anhörungsrecht des Beteiligten[7] wird vielmehr dadurch gewährt, dass er Gelegenheit erhält, am Vernehmungstermin teilzunehmen und dort Fragen zu stellen.[8]

 

Rz. 24

Gegenüber dem Ersuchen der Finanzbehörde steht dem Gericht nur ein beschränktes Prüfungsrecht zu.[9] Es prüft lediglich die Ordnungsmäßigkeit des Vernehmungsersuchens, d. h. dessen formelle und inhaltliche Voraussetzungen (vgl. Rz. 22). Darüber hinaus hat es festzustellen, ob die zu vernehmende Person "Subjekt" der eidlichen Vernehmung sein kann.[10] Schließlich hat das Gericht zu prüfen, ob die Auskunftsperson eidesfähig ist. Entspricht das Ersuchen nicht den Mindestanforderungen oder darf die Person nicht beeidigt werden, so weist das Gericht das Ersuchen durch Beschluss zurück.

 

Rz. 25

Im Übrigen ist das Gericht grundsätzlich an das Ersuchen gebunden.[11] Es hat insbesondere nicht darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen für eine Beeidigung nach § 94 Abs. 1 AO gegeben sind und ob die eidliche Vernehmung im konkreten Fall das angemessene Beweismittel ist.[12] Aus dieser materiell-rechtlichen Bindung des Gerichts folgt auch der Regelungscharakter des Vernehmungsersuchens i. S. d. § 118 AO. Dieses hat im Fall formeller Ordnungsmäßigkeit unmittelbare Rechtswirkung nach außen[13], da das ersuchte Gericht dann wie ein qualitativ verlängerter Arm der Finanzbehörde an deren Regelungswillen gebunden ist. Die Rechtsprechung[14] hat allerdings die Frage offen gelassen, ob bei eindeutig erkennbarer Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein gerichtliches Zurückweisungsrecht besteht.

[1] Roser, in Gosch, AO/FGO, § 94 AO Rz. 16; Koenig/Wünsch, AO, 4. Aufl. 2021, § 94 Rz. 19; Kanzler, DStZ/A 1977, 326.
[3] Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 94 AO Rz. 21; wohl auch Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 94 AO Rz. 6; a. A. Koenig/Wünsch, AO, 4. Aufl. 2021, § 94 Rz. 19; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 94 AO Rz. 14; Kanzler, DStZ/A 1977, 326.
[4] BFH v. 26.9.1995, VII B 148/95, BFH/NV 1996, 200; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 94 Rz. 3; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 94 AO Rz. 14; a. A. Kanzler, DStZ/A 1977, 326.
[6] BFH v. 3.10.1979, IV B 63/79, BStBl II 1980, 2; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 94 AO Rz. 14; Kanzler, DStZ/A 1977, 326.
[8] Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 94 AO Rz. 5.
[9] BFH v. 26.9.1995, VII B 148/95, BFH/NV 1996, 200; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 94 AO Rz. 22.
[10] BFH v. 28.3.1979, I B 79/78, BStBl II 1979, 538; BFH v. 26.9.1995, VII B 148/95, BFH/NV 1996, 200; Koenig/Wünsch, AO, 4. Aufl. 2021, § 94 Rz. 20; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 94 Rz. 5.
[12] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 94 AO Rz. 7; Schuster, in HHSp, AO/FGO, § 94 AO Rz. 22.
[13] A. A. Kanzler,...

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