1 Allgemeines

 

Rz. 1

Im Steuerverfahren verdichten sich die Rechte und Pflichten der Verfahrensbeteiligten in Bezug auf die Herbeiführung des Verfahrenszwecks, sodass Beginn und Ende des Verfahrens zugleich auch das Entstehen und Erlöschen dieser Rechte und Pflichten kennzeichnet. Als Verfahren ist hierbei jedes auf die Verwirklichung eines verfahrensrechtlichen Ziels gerichtetes Verwaltungshandeln anzusehen. Haupthandlungsform der Finanzbehörde ist hierbei der Erlass eines normkonkretisierenden Steuerverwaltungsakts i. S. des § 118 AO, der das Ergebnis des Steuerverfahrens zwischen den Beteiligten verbindlich festschreibt. Nur auf Teilakte gerichtete Handlungen, wie z. B. die Ausübung steuerlicher Wahlrechte oder die Verbuchung eingehender Einzelbeträge auf eine Steuerschuld, stellen kein Verfahren in diesem Sinne dar. Gleiches gilt für sogenannte "rechtsbeschreibende" Äußerungen der Finanzbehörde (z. B. Erinnerung an die Abgabe einer Steuererklärung oder Mahnung).[1] Stellt das materielle Steuerrecht mehrere mögliche Optionen gleichwertig zur Auswahl, so stellt die Entscheidung des Stpfl. für eine dieser Option ebenso wenig ein "Verfahren im Verfahren" dar, wie die Ausübung eines verwaltungsseitigen Ermessens, das keine besonderen neuen Rechte und Pflichten auslöst.[2] Der Wortlaut des § 86 AO ist allein mit dem Wunsch, die Verfahrensrechtsordnungen einander anzugleichen, zu erklären und stellt die abgabenrechtliche Wirklichkeit nur unzureichend dar. Die § 22 VwVfG und § 18 SGB X entsprechende Vorschrift beinhaltet Grundsätze für die Einleitung eines Steuerverwaltungsverfahrens. Abweichend von der gesetzestechnischen Üblichkeit beschreibt die Norm ein Ausnahme-Regel-Verhältnis: Das durch § 86 S. 1 AO eingeräumte Entschließungs- und Auswahlermessen ist nach dem Verfahrensrecht der AO die Ausnahme, während die durch § 86 S. 2 Nr. 1 AO den Finanzbehörden auferlegte Verpflichtung zur Durchführung eines steuerlichen Verwaltungsverfahrens den Regelfall darstellt. Außerdem verbietet § 86 S. 2 Nr. 2 AO den Finanzbehörden ein Tätigwerden in Fällen, in denen sie nur auf Antrag tätig werden darf und ein solcher nicht vorliegt.

 

Rz. 2

Die Vorschrift findet Anwendung in den einzelnen Besteuerungsabschnitten der Abgabenordnung und ist deshalb im Festsetzungs- bzw. Feststellungs-, Außenprüfungs-, Erhebungs-, Vollstreckungs- und außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren anwendbar. Im Straf- und Bußgeldverfahren[3] ist § 86 AO als allgemeine Verfahrensvorschrift nicht anwenbar.

[1] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 86 AO Rz. 11.
[2] Anders aber noch in der Vorauflage Schmitz in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 86 AO Rz. 19; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 86 AO Rz. 19.

2 Opportunitäts-/Legalitätsprinzip

 

Rz. 3

Die steuerlichen Verfahren lassen sich zum einen danach unterteilen, ob ihre Einleitung ein vorheriges Handeln (z. B. Antrag) voraussetzt, dieses nur den nicht zwingend vorgeschriebenen Regelfall darstellt oder die Finanzbehörde von Amts wegen tätig wird. Zum anderen wird danach differenziert, ob das Gesetz die Einleitung des Verwaltungsverfahrens zwingend vorschreibt (sog. Legalitätsprinzip) oder die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet[1], ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt (sog. Opportunitätsprinzip). Das Opportunitätsprinzip gilt insbesondere im Strafverfahrens- und Polizeirecht, wenn die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens angezeigt ist.[2] Das Besteuerungsverfahren indes ist vom Gesetzmäßigkeitsgrundsatz geprägt und zwingt die Finanzbehörde zum Handeln, wenn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sind.[3] Denn grundsätzlich sind die Finanzbehörden damit beauftragt, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben.[4] Das steuerliche Verfahrensrecht wird demnach vom Legalitätsprinzip beherrscht.[5] Handlungen, die unmittelbar auf die Durchsetzung des Steueranspruchs gerichtet sind, unterliegen mithin dem Legalitätsgrundsatz, während Verfahren, die im Interesse des Stpfl. eingeleitet werden, eher im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens, ggfs. auch nur auf Antrag, eingeleitet werden.[6] Zu einfach ist allerdings die Unterscheidung, die allein darauf abstellt, ob der am Ende des Verfahrens zu erlassende Verwaltungsakt für den Stpfl. begünstigende oder belastende Wirkung hat oder ob das Verfahren antragsgebunden ist. Als Gegenbeispiele seien z. B. die Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 AO oder die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 1 AO genannt, bei denen ein Verwaltungsermessen vorgesehen ist, obgleich eine für den Stpfl. belastende Wirkung bezweckt wird. Auf das ökonomische Verhältnis zwischen zu betreibendem Verwaltungsaufwand und hierdurch erzielbarem Steueraufkommen kommt es regelmäßig nur im Rahmen der ermessensabhängigen Verfahren an, wobei die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens als Belang in das Ermessen einzustellen ist.

 

Rz. 4

Fragen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Verfahrens sind allerdings nicht mehr nur ausschl...

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