1 Allgemeines

1.1 Zweck der Vorschrift

 

Rz. 1

Die Haftung bei Unternehmens- bzw. Betriebsübernahme beruht auf dem Gedanken, dass im lebenden Unternehmen ein Haftungsgegenstand für die sich aus dem Unternehmen ergebenden Steuern vorhanden ist, der durch einen Unternehmerwechsel nicht dem Zugriff des Steuergläubigers entzogen werden darf.[1] Mit der wirtschaftlichen Kraft des lebenden Unternehmens bzw. Betriebs kann der neue Unternehmer Gewinne erwirtschaften oder sonst Vorteile ziehen, aus denen die Steuerschulden beglichen werden können.[2] Sie ist auch die eigentliche Haftungsgrundlage und -begründung. Ähnliche Gedanken, allerdings auf andere Grundlagen bezogen, liegen der häufig neben oder parallel zu § 75 AO anwendbaren Haftungsvorschrift[3] des § 25 HGB zugrunde. Während jedoch § 75 AO nicht auf einem reinen Vermögensübernahmeprinzip, sondern auf dem Übergang der wirtschaftlichen Kraft beruht[4], also an den Übergang der Organisation des Unternehmens bzw. Teilbetriebs anknüpft, bezieht sich § 25 HGB auf den einen Rechtsschein bewirkenden Übergang einer Firma.

[3] Früher auch dem aufgehobenen § 419 BGB.
[4] Mösbauer, DStZ 1995, 481.

1.2 Art der Haftung

 

Rz. 2

§ 75 AO gibt einen eigenen steuerrechtlichen Haftungstatbestand, sodass privatrechtliche Vereinbarungen hierauf keinen Einfluss haben, insbesondere auch kein Haftungsausschluss durch Parteivereinbarung möglich ist. Die Haftung des Erwerbers steht neben der Schuld des Veräußerers. Es ist eine persönliche, keine dingliche Haftung, die jedoch ihrem Gegenstand nach auf den Bestand des übereigneten Unternehmens bzw. Teilbetriebs beschränkt ist.[1] Eine Kenntnis des Erwerbers von der Steuerverbindlichkeit ist nicht erforderlich. Die Haftung ist verschuldensunabhängig.[2]

[2] Ebenso Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 75 AO Rz. 3.

2 Haftungsschuldner

 

Rz. 3

Haftungsschuldner ist der an einer Geschäftsveräußerung (s. Rz. 4) beteiligte Erwerber. Als haftender Erwerber kommt jeder in Betracht, der Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Neben den natürlichen und juristischen Personen sind dies in erster Linie die Personengesellschaften des Handelsrechts (OHG, KG und die GbR). Hierzu zählt aber auch die sog. echte Vorgesellschaft (Gründungsgesellschaft) einer Kapitalgesellschaft (insbesondere GmbH, AG), für die eine Teilrechtsfähigkeit angenommen wird. Übernimmt eine solche Vorgesellschaft ein Unternehmen oder einen gesondert geführten Betrieb im Ganzen, so kommt eine Haftung nach § 75 AO[1] in Betracht.[2] Ist der Erwerber eine Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaft, so sind die Gemeinschafter Erwerber und haften als Gesamtschuldner.[3]

[1] Wie auch nach § 25 HGB.
[2] Vgl. hierzu und zum Übergang der Haftung von der Vorgesellschaft auf die Gesellschaft Bilsdorfer, GmbHR 1980, 300.
[3] Ebenso Kruse, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 75 AO Rz. 33.

3 Haftungsvoraussetzungen

3.1 Geschäftsveräußerung

 

Rz. 4

Mit den Begriffen "Unternehmen" und "in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb" verwendet § 75 AO Begriffe, die auch im Umsatzsteuerrecht vorkommen. Da die Entwicklungsgeschichte in beiden Bereichen Berührungspunkte und Parallelen hat, kann für die Begriffsbestimmung hier auch auf die früher bei der USt entwickelten Gesichtspunkte zurückgegriffen werden.[1] Insbesondere gilt dies für die zum Begriff der Geschäftsveräußerung zu § 10 Abs. 3 UStG (zum 1.1.1994 außer Kraft getreten) gefundenen Auslegungen. Ob der in § 1 Abs. 1a UStG in der ab 1.1.1994 geltenden Fassung verwendete Begriff der Geschäftsveräußerung ebenso wie derjenige der Vorgängervorschrift § 10 Abs. 3 UStG auszulegen ist, erschien zunächst im Hinblick auf die Formulierung im Umfeld (z. B. Hervorhebung des Unternehmers, der unentgeltlichen Übertragung, Einbringung in Gesellschaft) als nicht zweifelsfrei.[2] Allerdings ist die höchstrichterliche Rspr. dann im Hinblick auf die Auslegung des § 1 Abs. 1a UStG unter Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 8 6. EG-RL[3] von den Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen abgegangen.[4]

 

Rz. 4a

Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet wird. Dabei kann der Übergang in mehreren, zeitlich auseinander fallenden Teilakten geschehen. Die Geschäftsveräußerung ist in einem solchen Fall mit dem letzten Teilakt vollendet.[5] Dies ist für den Zeitpunkt des Übergangs sowie für das Gesamtbild zur Wertung als Geschäftsveräußerung[6] entscheidend. Die bei Beginn der Übertragung in mehreren Teilakten vorhandenen Geschäftsgrundlagen müssen im Wesentlichen selbstständig auf den Erwerber übergegangen sein.[7] Die Teilakte müssen allerdings unselbstständig und zu einem einheitlichen Vorgang verklammert sein, um einen Übergang im Ganzen darzustellen. Mehrere völlig getrennte Übertragungsakte reichen nicht.[8] Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens auf den Erwerber übergegangen sin...

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