Rz. 3

Steuern und zu Unrecht gewährte Steuervorteile sind der Haftungsgegenstand. Anders als nach § 69 AO wird also nicht für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gehaftet. Insbesondere erfasst sie nicht die steuerlichen Nebenleistungen wie z. B. die Hinterziehungszinsen.[1] Als Steuervorteile sind Steuererstattungen und Steuerverkürzungen anzusehen, die durch die Tat ungerechtfertigt gewährt worden sind. Auch für Haftungsansprüche wird nach § 70 AO nicht gehaftet.

 

Rz. 3a

Da bei den Besitz- und Verkehrsteuern[2] der Vertretene regelmäßig auch Steuerschuldner sein wird, ist die Vorschrift vornehmlich im Bereich des Zollrechts, bei den Verbrauchsteuern und bei den Abzugssteuern anwendbar.[3] Im Bereich der Zölle und Verbrauchssteuern sowie der Einfuhrumsatzsteuer gibt es, soweit die Vorschriften über Zölle und Verbrauchssteuern gem. § 21 Abs. 2 UStG sinngemäß gelten, Fälle, in denen der Haftende zugleich Steuerschuldner ist.[4] Bei den Besitz- und Verkehrsteuern kommt eine Haftung nach § 70 AO auch nicht mehr in solchen Fällen in Betracht, in denen der Vertretene nicht mehr Steuerschuldner ist, da seine Steuerschuld erloschen ist. Dies erreichen jetzt §§ 169 Abs. 2 S. 3, 191 Abs. 5 Nr. 1 AO für die Festsetzungsfrist und § 191 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 AO für den Billigkeitserlass. Ist ein gegen den Vertretenen ergangener Steuerbescheid unzutreffend und bestandskräftig aufgehoben worden, so bleibt der Vertretene i. S. d. § 70 Abs. 1 AO Steuerschuldner.

Bei den Abzugssteuern kommt eine Haftung des zu Einbehaltung, Abzug und Zahlung Verpflichteten in Betracht, der nicht Steuerschuldner ist und durch eine Person nach §§ 34, 35 AO vertreten wird. Das könnte also z. B. die Haftung einer GmbH für die durch ihren Geschäftsführer hinterzogene LSt ihrer Arbeitnehmer bedeuten. Die Abzugs- und Zahlungs-(Abführungs-)Pflichten sind stets mit einer eigenen Haftungsvorschrift gegenüber dem Verpflichteten bewehrt, sodass für eine Haftung nach § 70 AO kein großer Anwendungsbereich verbleibt. Das gilt sowohl für die Haftung des Arbeitgebers für die LSt[5], des Kapitalertragschuldners für die KapESt[6], des nach § 50a EStG Abzugsverpflichteten[7] und die Haftung des Versicherers für die VersSt.[8] Die frühere Haftung des nach §§ 51ff. UStDV Abzugsverpflichteten für die USt eines im Ausland ansässigen Unternehmers, des Sicherungsnehmers für die Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände durch den Sicherungsgeber sowie des Erstehers bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks[9] sind durch die Regelungen in § 13b UStG über die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers für diese und weitere Fallgruppen ersetzt worden, sodass anstatt einer Haftung nur noch eine verlagerte Steuerschuldnerschaft besteht. Insbesondere durch die Einschränkungen der Haftung in den Fällen des EStG ergeben sich Anwendungsmöglichkeiten für § 70 AO.

Die wegen der weitgehenden Überschneidung der Haftungsvorschriften der Einzelsteuergesetze und des § 70 vertretene Auffassung, dass die Haftung nach den Einzelsteuergesetzen jeweils als lex specialis die Haftung nach § 70 AO ausschließe[10], ist nicht zutreffend.[11] Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist die Haftung des Vertretenen nur ausgeschlossen, wenn er Steuerschuldner ist. Für eine Ausdehnung dieser Einschränkung auf die Fälle der grundsätzlichen Haftung des Vertretenen nach anderen Vorschriften besteht weder eine Berechtigung noch ein Grund. Zum einen sind Sondervorschriften eng auszulegen. Das gilt hier insbesondere, weil der Gesetzgeber leicht die gemeinten Fälle hätte einbeziehen können. Zum anderen ist es gerade für das steuerliche Haftungsrecht typisch, dass sich die anwendbaren Haftungsvorschriften der AO, der Einzelsteuergesetze und der auf die steuerlichen Ansprüche anwendbaren nichtsteuerlichen Haftungsvorschriften nicht nur ergänzen, sondern in ihrem Anwendungsbereich sehr häufig überschneiden, und zwar häufig in weiten Bereichen. Es ist deshalb und vor allem wegen der von denjenigen der einzelsteuerrechtlichen Vorschriften abweichenden Voraussetzungen des § 70 AO nicht angebracht, dass ausnahmsweise und gegen den Gesetzeswortlaut § 70 AO zurücktreten soll. Zu beachten ist auch, dass die Haftung nach § 70 AO ausgleichen soll, dass der Fiskus keinen Einfluss auf die Auswahl derjenigen hat, die das Steuerschuldverhältnis für den Vertretenen begründen.[12]

[1] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 70 AO Rz. 5.
[3] Ebenso Jatzke, in Gosch, AO/FGO, § 70 AO Rz. 2.
[4] S. zum ZK Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 70 AO Rz. 2.
[9] § 55 UStDV a. F.
[10] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 70 AO Rz. 3.
[11] Wie hier Jatzke, in Gosch, AO/FGO, § 70 AO Rz. 2; Boeker, in HHSp, AO/FGO, § 70 AO Rz. 10.
[12] So auch Jatzke, in Gosch, AO/FGO, § 70 AO Rz. 3; vgl. auch BFH v. 30.8.1994, VII R 101/92, BStBl II 1995, 278.

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