Rz. 7

Die Folge der Pflichtverletzung muss ein Schaden sein, der durch die Haftung ausgeglichen werden soll. Die Haftung nach § 69 AO kann eingreifen, soweit

  • die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis[1]

    • nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder
    • nicht oder nicht rechtzeitig entrichtet werden oder
  • Steuervergütungen oder Steuererstattungen

    • ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.

Mit dieser Formulierung wird zunächst gegenüber § 109 Abs. 1 RAO klargestellt, dass eine Steuerverkürzung im straf- oder bußgeldrechtlichen Sinn[2] nicht gegeben sein muss.[3] Außerdem wird mit dem Wort "soweit" ausgedrückt, dass auch bei teilweiser Erfüllung der o. a. Voraussetzungen die Haftungsfolge insoweit eintritt.

 

Rz. 8

Die unterbliebene oder nicht rechtzeitige Festsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist eine Folge der Verletzung der Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren. Dabei ist die Haftung für die nicht rechtzeitige Festsetzung als Ergänzung zur Haftung für die unterbliebene Festsetzung anzusehen, und zwar für den Fall, in dem es doch noch zu einer Festsetzung gekommen ist, vom Steuerschuldner jedoch eine Erfüllung nicht zu erwarten ist.

Die Festsetzung kann ganz oder teilweise unterblieben oder verspätet geschehen sein. Ist z. B. eine Steuererklärung unzutreffend oder unvollständig gewesen und wird deshalb die Steuer nicht in voller Höhe festgesetzt, so ist sie hinsichtlich des fehlenden Teils nicht festgesetzt. Entsprechendes gilt etwa bei Unterlassung der Berichtigung einer Erklärung nach § 153 AO für die nicht rechtzeitige Festsetzung. Auch die unvollständige USt-Voranmeldung fällt hierunter.[4]

Der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis muss dem Grunde und der Höhe nach feststehen. Auch muss es klar sein, dass seine Festsetzung erforderlich ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift braucht er jedoch gegen den Schuldner nicht festgesetzt zu sein, sonst würde es nur Fälle der nicht rechtzeitigen Festsetzung geben. Noch weniger erforderlich ist die Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung.[5] Die Verwaltung kann unmittelbar den Haftungsschuldner durch Haftungsbescheid in Anspruch nehmen.[6] Dabei ist der Anspruch ggf. im Weg der Schätzung[7] zu ermitteln. Ist eine spätere Herabsetzung der Steuerfestsetzung mit Sicherheit zu erwarten, so ist eine Inanspruchnahme des Haftenden für den vollen Betrag regelmäßig ermessensmissbräuchlich.[8]

 

Rz. 9

Eine genaue Bestimmung, wann eine Steuer nicht rechtzeitig festgesetzt ist, bereitet i. d. R. Schwierigkeiten. Vielfach, insbesondere bei den Veranlagungssteuern, gibt es keine festen Zeitpunkte für die Steuerfestsetzung .[9] Damit ist jede Festsetzung vor Ablauf der Festsetzungsfrist noch "rechtzeitig". Von § 69 AO gemeint ist jedoch eine Festsetzung zu der Zeit, zu der die Finanzbehörde bei ordnungsgemäßer Pflichterfüllung die Festsetzung durchgeführt hätte. Dafür sind die Umstände des einzelnen Falls maßgebend. Herangezogen werden können hierzu die Gedanken zu der nicht rechtzeitigen Festsetzung im Steuerstrafrecht.[10] In den Fällen der Steueranmeldung, für die eine Frist vorgesehen ist, kann mit Ablauf der Frist ohne Einreichung davon ausgegangen werden, dass die Festsetzung nicht rechtzeitig geschehen ist.[11] Mit dem Eingang ist nämlich regelmäßig eine Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung anzunehmen.[12] Zugleich werden in diesen Fällen Unklarheiten in der Kausalität für den Schaden dem Verpflichteten angelastet (vgl. Rz. 11).

 

Rz. 10

Die unterbliebene oder nicht rechtzeitige Entrichtung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind gegeben, wenn die Leistung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht erbracht worden ist. Hier sind grundsätzlich eine entsprechende Festsetzung des Anspruchs und ein Leistungsgebot gegen den Schuldner[13] Voraussetzung. Nicht erforderlich ist dagegen die Unanfechtbarkeit der Festsetzung. Maßgeblich für die Haftung sind lediglich das Bestehen und die Fälligkeit des Anspruchs. Grundsätzlich unerheblich ist es insoweit, ob möglicherweise später der Betrag oder ein Teilbetrag erstattet werden muss, z. B. fällige Vorauszahlungen oder Abzugsbeträge nach Durchführung der Veranlagung.[14] Diese Frage hat jedoch im Rahmen der Ermessensausübung (vgl. Rz. 18, 22) ihre Bedeutung. Umgekehrt kann keine Pflichtverletzung angenommen werden, wenn der Geschäftsführer einer GmbH LSt nicht abführt, weil kurz vor dem Fälligkeitstag das Insolvenzverfahren[15] über das Vermögen der GmbH eröffnet wird und er deswegen nicht mehr verfügungsberechtigt ist. Eine Verpflichtung zur Zahlung vor Fälligkeit besteht nicht. Das Ausnutzen der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO von 3 Tagen bedeutet dagegen eine nicht rechtzeitige Entrichtung. Sein Verhalten ist jedoch für das spätere Nichtentrichten i. S. einer Pflichtverletzung nach § 69 AO dann nicht ursächlich, wenn der Geschäftsführer bei den Lohnzahlungen nicht ausreichende Beträge einbehalten und bereitgestellt hat. Auch bei Einbehaltung solcher Beträge wären diese nicht an das FA gezahlt worden.[16]

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