Rz. 6

Der gravierende Unterschied zwischen dem Besteuerungsverfahren und dem Steuerstrafverfahren liegt in der Gestaltung der Mitwirkungspflichten.

Im Besteuerungsverfahren gelten die Regelungen des 1. bis 7. Teils der AO. Hier besteht im Interesse einer möglichst vollständigen und gleichmäßigen Besteuerung[1] für den Beteiligten, z. T. auch für Dritte, grundsätzlich eine umfassende Mitwirkungspflicht insbesondere gem. §§ 90, 93, 97, 100 oder 200, bzw. 200a AO. Grundsätzlich kann die Erfüllung dieser Pflichten nach §§ 328335 AO durch Zwangsmittel erzwungen werden.

 

Rz. 7

Im Strafverfahren wegen Steuerstraftaten gelten gem. § 385 Abs. 1 AO die durch den 8. Teil der AO modifizierten allgemeinen Gesetze über das Steuerstrafverfahren, namentlich nach der StPO und dem GVG.

Hier besteht, anders als im Besteuerungsverfahren, im Interesse des Schutzes der individuellen Rechte des Beschuldigten bzw. Angeklagten keine aktive Mitwirkungspflicht.[2] Der Beschuldigte kann sich sanktionslos grundsätzlich jeder Mitwirkung enthalten. Er kann sich völlig passiv verhalten und muss an der Sachverhaltsaufklärung nicht mitwirken. So braucht er z. B. sich nach § 136 StPO nicht zur Sache zu äußern. Der Beschuldigte ist auch nicht zur Wahrheit verpflichtet.[3]

 

Rz. 8

Diese unterschiedliche Gestaltung der Mitwirkungspflichten basiert auf dem strafprozessualen Grundsatz, dass sich niemand selbst einer strafbaren Handlung bezichtigen muss.[4] Dieses für das Strafverfahren mit Verfassungsrang bestehende Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung[5] lässt das öffentliche Interesse an der Aufklärung und Ahndung strafbarer Handlungen hinter dem individuellen Interesse des Beschuldigten an einer geschützten Rechtssphäre zurücktreten.

 

Rz. 8a

Für die Überlegung der Finanzbehörde, ob sie eine Außenprüfung durchzuführen beabsichtigt, spielt das Vorliegen eines Anfangsverdachts keine Rolle. Selbst wenn ein solcher aufgrund objektiver Anhaltspunkte gegeben sein sollte, ist der Erlass einer Prüfungsanordnung aus steuerlicher Sicht weiterhin rechtmäßig, sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen, und wird nicht allein durch einen Anfangsverdacht einer Steuerstraftat zu einer rechtswidrigen Maßnahme.[6] Denn der Erlass einer Prüfungsanordnung richtet sich allein nach den §§ 193ff. AO. Lediglich die Mitwirkungspflichten des Stpfl. werden durch den Anfangsverdacht begrenzt. So ist der Stpfl. bei Vorliegen des Anfangsverdachts über seine Rechte als Beschuldigter zu belehren und Zwangsmittel sind ausgeschlossen. Allerdings kann die Finanzbehörde bei fehlender Mitwirkung ggf. schätzen.

[2] Schmitt, in Meyer-Goßner, StPO, 65. Aufl. 2022, Einl. Rz. 80.
[3] OLG Frankfurt v. 11.7.2005, 1 Ws 11/04, wistra 2006, 198; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 136 StPO Rz. 18 m. w. N.; Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 393 AO Rz. 62; Karstens, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 9. Aufl. 2023, § 393 AO Rz. 15.
[5] "nemo tenetur se ipsum accussare"; BVerfG v. 13.1.1981, 1 BvR 116/77, wistra 1982, 25; BVerfG v. 15.10.2004, 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352; BVerfG v. 13.5.2009, 2 BvL 19/08, BFH/NV 2009, 1771, Rz. 72 m. w. N.; s. auch Rogall, NStZ 2006, 41.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge