Rz. 14

Die finanzbehördliche funktionelle Zuständigkeit wird nach § 386 Abs. 1 S. 1 AO nur begründet, soweit der Verdacht besteht, dass die Tat den Straftatbestand einer Steuerstraftat erfüllt. Dies sind nach § 369 Abs. 1 AO Straftaten, die nach Steuergesetzen strafbar sind, vornehmlich also die Straftatbestände der AO.[1]

Die finanzbehördliche allgemeine Ermittlungszuständigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass durch die Tat außer der Steuerstraftat bzw. gleichgestellten Straftaten auch allgemeine Straftatbestände verwirklicht werden. Voraussetzung ist nur, dass auch eine Steuerstraftat gegeben ist.[2]

 

Rz. 15

Darüber hinaus ist die funktionelle Zuständigkeit der Finanzbehörde für die Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen auch dann gegeben, wenn die Tat kraft Gesetzes wie eine Steuerstraftat zu behandeln ist.[3]

 

Rz. 16

Bei allgemeinen Straftaten muss die strafrechtliche Ermittlungskompetenz der Finanzbehörde durch Sondergesetz ausdrücklich begründet sein. Für Vorspiegelungstaten i. S. d. § 385 Abs. 2 AO gilt, dass diese praktisch keine Bedeutung haben[4] und entsprechende Tathandlungen nach heutiger Rechtsauffassung grundsätzlich ohne Umweg über die Vorspiegelungstat als Steuerstraftaten gelten.[5] Soweit der Verdacht von Vorspiegelungstaten vor Änderung der Rechtsprechung des BGH[6] bestand, war keine Zuständigkeit der Finanzbehörde gegeben. Stattdessen lag die Zuständigkeit bei der Staatsanwaltschaft.[7]

 

Rz. 17

Allgemeine Straftaten, die keine Steuerstraftaten i. d. S. sind, können die strafrechtliche Ermittlungskompetenz der Finanzbehörde nicht begründen. Umstritten ist, ob sich die Ermittlungskompetenz auch dann auf die allgemeine Straftat erstreckt, wenn sie mit einer Steuerstraftat im Rahmen einer prozessualen Tat i. S. d. § 264 StPO zusammentrifft.

Hier wird einerseits die Auffassung vertreten, dass die funktionelle Ermittlungszuständigkeit der Finanzbehörde durch § 386 AO nur ausnahmsweise hinsichtlich der Steuerstraftat begründet wird.[8] Hinsichtlich der allgemeinen Straftat ist nach dieser Ansicht die Finanzbehörde auch nicht Ermittlungsorgan der Staatsanwaltschaft. Sie kann insoweit demgemäß hinsichtlich der allgemeinen Straftat auch nicht mit der Durchführung von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft beauftragt werden.[9] Maßnahmen der Finanzbehörde zur Verfolgung von Steuerstraftaten unterbrechen nach dieser Auffassung demgemäß auch nicht die Strafverfolgungsverjährung hinsichtlich allgemeiner Straftaten.[10]

Der Wortlaut des § 386 Abs. 1 S. 1 AO rechtfertigt eine solche einschränkende Rechtsauffassung nicht. Hiernach hat, veranlasst durch den Verdacht einer Steuerstraftat, die Finanzbehörde den Sachverhalt aufzuklären. Tritt im Rahmen der Ermittlungen neben die Steuerstraftat ein Allgemeindelikt, so verlässt die Finanzbehörde ihren von § 386 AO eingeräumten Kompetenzbereich. In der Folge kommt es wieder zur allgemeinen Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Der Umfang der Ermittlungsbefugnis ergibt sich in diesem Fall nicht aus dem Wortlaut des § 386 AO, sondern aus der in § 402 AO ausdrücklich eingeräumten Rechtsstellung.[11] In dieser hat die Finanzbehörde aber das Legalitätsprinzip zu beachten und die Straftat in ihrem ganzen tatsächlichen Umfang zu erforschen.[12] Nur soweit gar kein Zusammenhang zwischen der allgemeinen Straftat und einer Steuerstraftat i. S. einer prozessualen Tat gem. § 264 StPO besteht, gibt es auch keine finanzbehördliche Ermittlungsbefugnis. Allerdings sind auch die hinsichtlich der allgemeinen Straftaten getroffenen Maßnahmen rechtmäßig, soweit sie von Behörden des Polizeidienstes getroffen werden dürfen. Sie entfalten nach inzwischen überwiegender Auffassung die verjährungsunterbrechende Wirkung.[13]

 

Rz. 17a

Ergibt sich im Laufe des durch die Finanzbehörde gem. § 386 Abs. 2 AO geführten Strafverfahrens wegen einer Steuerstraftat der Verdacht eines selbständigen Allgemeindelikts, das nicht mit der Steuerstraftat in einer prozessualen Tat i. S. d. § 264 StPO begangen wurde, so darf die Finanzbehörde insoweit sichernde Maßnahmen, wie Beschlagnahmungen, ergreifen, die eine verjährungsunterbrechende Wirkung haben.[14] Allerdings ist die Finanzbehörde dann verpflichtet, den Fall, jedenfalls soweit er das Allgemeindelikt betrifft, umgehend an die Staatsanwaltschaft zu überweisen.[15] Das Steuergeheimnis steht dem nicht entgegen.[16]

Die durch die Finanzbehörde getroffenen Maßnahmen müssen weder durch die Staatsanwaltschaft wiederholt werden[17], noch unterliegen die erlangten Erkenntnisse einem Verwertungsverbot.[18]

[4] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 385 AO Rz. 46f.
[5] Hilgers-Klautzsch, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 385 AO Rz. 20; Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 385 Rz. 50.
[6] BGH v. 23.3.1994, 5 StR 91/94, NStZ 1994, 397.
[7] Klein/Jäger, AO, 15. Aufl. 2020, § 385 Rz. 51.
[...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Kanzlei-Edition. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge