Rz. 21

Eine Tathandlungen i. S. d. § 380 Abs. 1 AO liegt vor, wenn der Verpflichtung zur Einbehaltung oder Abführen der Steuerabzugsbeträge nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachgekommen wird. Die Tat ist mit dem ganzen oder teilweisen Unterlassen des gesetzlich geforderten Tuns im Zeitpunkt der Handlungspflicht vollendet (echtes Unterlassungsdelikt).

 

Rz. 22

Abzugsbeträge werden einbehalten, wenn die in Anwendung der geltenden Bestimmungen rechnerisch ermittelten Abzugsbeträge nicht an den bezüglich der übrigen Leistung Berechtigten ausgezahlt werden.[1] Bei der LSt ist dementsprechend der betreffende Steuerbetrag einzubehalten, wenn der rechnerisch korrekt festgestellte Lohn an den Arbeitnehmer weitergeleitet wird. In Zweifelsfällen kann sich der Arbeitgeber bei der Finanzbehörde im Wege einer Anrufungsauskunft gem. § 42e EStG erkundigen.

 

Rz. 23

Die LSt ist gem. § 38 Abs. 3 S. 1 EStG bei jeder Lohnzahlung einzubehalten; vgl. auch § 39a EStG. Eine diesbezügliche Ausnahme ergibt sich im Hinblick auf Abschlagzahlungen aus § 39b Abs. 5 EStG. Ein nachträgliche Einbehaltung gem. § 41c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG schließt die Tatbestandserfüllung des § 380 Abs. 1 AO nicht (nachträglich) aus, sollte jedoch im Hinblick auf das Opportunitätsprinzip Berücksichtigung finden.[2]

 

Rz. 24

Eine Separierung oder Aussonderung der einbehaltenen Abzugbeträge ist unter dem Gesichtspunkt des § 380 AO nicht erforderlich. Die Verletzung von Kontierungsvorschriften[3] kann zwar nicht den Tatbestand des § 380 Abs. 1 AO, hingegen den des § 379 Abs. 1 Nr. 3 AO erfüllen.[4] Ob der Pflicht zur Abführung durch Zahlung aus eigenen Mitteln oder aus den separierten Abzügen nachgekommen wird, ist ohne Bedeutung.

 

Rz. 25

Bei eingeschränkten finanziellen Mitteln, die es dem Arbeitgeber nicht ermöglichen, sowohl den geschuldeten Nettolohn zu zahlen als auch die Lohnsteuer zu entrichten, hat der Arbeitgeber den auszuzahlenden Lohn anteilig zu kürzen, vgl. § 38 Abs. 4 S. 1 EStG. Dadurch muss er sich in die Lage versetzen, neben den in voller Höhe geschuldeten Sozialversicherungsbeiträgen[5] auch die anteilige LSt einzubehalten bzw. abzuführen. Soweit dies zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten erforderlich ist, muss der Arbeitgeber auch die Abwanderung der Arbeitnehmer oder die Schließung des Betriebs in Kauf nehmen.[6]

 

Rz. 26

Ist bereits die Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 17 InsO eingetreten, d. h. der Abführungspflichtige hat keine ausreichenden Mittel, um alle seine fälligen Verbindlichkeiten zu befriedigen, so ist innerhalb von drei Wochen[7] der Insolvenzantrag zu stellen. In diesem gesetzlichen Insolvenzantragszeitraum ist die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nach der Rechtsprechung suspendiert und die Nichtabführung[8] gerechtfertigt.[9] Diese Wertung dürfte auch auf die Verpflichtung zur Abführung der LSt zu übertragen sein. Allerdings fällt die Rechtfertigung der Nichtabführung nach Ablauf der dreiwöchigen Frist wieder weg.[10]

 

Rz. 27

Die Steuern sind nicht abgeführt, wenn sie zum gesetzlichen Fälligkeitstermin nicht (in voller Höhe) bei der Finanzbehörde zur Tilgung der Abzugsteuern eingehen. Damit die Steuer i. S. d. § 380 AO abgeführt ist, muss der Verpflichtete die nach § 224 Abs. 2 AO zulässigen Zahlungsmittel und -wege genutzt haben. Begleicht der Abführungsverpflichtete mit den von ihm einbehaltenen Steuerabzugsbeträgen jedoch andere Steuerschulden, ist er damit seiner Verpflichtung zur Abführung dieser Beträge nicht nachgekommen.[11]

 

Rz. 28

Umstritten ist jedoch, ob die Steuer auch bei der zuständigen Finanzbehörde eingehen muss. Die Behördenzuständigkeiten ergeben sich z. B. aus § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 EStG für die LSt und aus § 44 Abs. 1 S. 5 EStG für die KapESt. Die jeweiligen steuerlichen Pflichten des Abführungspflichtigen sind nur erfüllt, wenn die jeweilige Abzugsteuer an die zuständige Finanzbehörde abgeführt wird. Daraus leitet die h. M. ab, dass die Abführung an die unzuständige Finanzbehörde den Tatbestand des § 380 Abs. 1 AO erfüllt und erst im Rahmen des subjektiven Tatbestands oder im Hinblick auf die Opportunität des Bußgeldverfahrens zu berücksichtigen sei, dass die Abführung zwar fristgemäß, aber nicht entsprechend der Zuständigkeit erfolgte.[12] Dem hält Heerspink[13] jedoch zu Recht entgegen, dass die Schutzzwecke des § 380 AO (vgl. Rz. 3) auch bei Abführung an die unzuständige Finanzbehörde sichergestellt werden. Die Abzugsteuern werden an den Fiskus abgeführt und zugunsten des Steuerschuldners wird sichergestellt, dass der Abführungsverpflichtete das einbehaltene Geld zweckentsprechend zur Tilgung der LSt verwendet. Ausgehend von Sinn und Zweck des § 380 AO wird die Störung des Verwaltungsablaufs durch die Abführung an die unzuständige Finanzbehörde nicht vom Tatbestand erfasst.

 

Rz. 29

Die Steuern müssen rechtzeitig, d. h. zum Fälligkeitszeitpunkt, eingehen. Der jeweilige Fälligkeitszeitpunkt ergibt sich aus den Einzelsteuergesetzen. Eine verspätete Zahlung erfüll...

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