Rz. 143

Die Selbstanzeigehandlung ist die "Richtigstellung" (Rz. 69, 118ff.), d. h. die Korrektur der Tathandlung nach § 370 AO, die zur Aufdeckung einer unbekannten Steuerquelle führt und die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit darstellt. Sind an der Tathandlung mehrere Personen als Mittäter, Gehilfen oder Anstifter beteiligt, so muss jeder nach den in Rz. 85ff. entwickelten allgemeinen Grundsätzen Angaben machen, nach denen die Finanzbehörde ohne weitere langwierige Ermittlungen in die Lage ist, die Steuer zutreffend zu veranlagen. Der Tatbeteiligte muss somit nicht nur eine auf die Haupttat bezogene Berichtigung vornehmen, sondern auch seinen eigenen Tatbeitrag offenlegen.

 

Rz. 144

Die h. M. geht jedoch zutreffend davon aus, dass es in dem Fall, dass der Tatbeteiligte faktisch nicht in der Lage ist, die Besteuerungsgrundlagen offenzulegen, ausreichend ist, wenn er seinen Tatbeitrag und die Tatsachen seiner eigenen Wahrnehmung offenlegt.[1]

 
Praxis-Beispiel

1. Der T ist angestellter Geschäftsführer. Er gibt für das Unternehmen jahrelang zu niedrige Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Nach einigen Jahren wird er entlassen, erhält Hausverbot und ihm wird jeglicher Zugang zu den Firmenunterlagen verweigert. Nun möchte er eine Selbstanzeige abgeben.

2. T begeht gemeinsam mit seiner Mittäterin F eine Steuerhinterziehung, bei der sie arbeitsteilig tätig werden. Da T deshalb keinen Überblick über alle Auswirkungen der Tat hat und F ihm keine Auskunft gibt, fragt er sich, ob er eine strafbefreiende Selbstanzeige abgeben kann.

3. Der T stiftet einen mit ihm befreundeten Gastronomen G zur Steuerhinterziehung an, indem er ihm die erforderlichen Schritte einer sog. Doppelverkürzung erläutert und deren Vorteile ausführlich darstellt. Nachdem die Freundschaft in die Brüche gegangen ist, will T eine Selbstanzeige abgeben, aber G weigert sich, ihm Auskunft zu geben.

4. Nachdem T dem S beim falschen Ausfüllen seiner ESt-Erklärung geholfen hat, erfährt er von S nicht, wo und wie sich die falschen Angaben ausgewirkt haben und welche Angaben richtig gewesen wären. Da T eine Selbstanzeige bzgl. seiner eigenen hinterzogenen ESt abgeben möchte, fragt er sich, ob diese vollständig ist, wenn er bzgl. der Hinterziehung des S lediglich seinen Tatbeitrag offenlegt.

In all diesen Beispielsfällen würde eine Offenlegung des eigenen Tatbeitrags und der jeweils bekannten Tatsachen dazu führen, dass die jeweilige strafbare Handlung "ausgeglichen" wird. Eine weitergehende Darlegung ist den Tatbeteiligten jeweils objektiv nicht möglich. In diesen Fällen auch die Anforderungen an die Inhalte einer Selbstanzeige herabzusetzen, entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 371 AO, denn anderenfalls wären in vielen Fällen – insb. in Teilnahmefällen – eine vollständige Selbstanzeige per se ausgeschlossen, sodass weder bisher unbekannte Steuerquellen erschlossen werden könnten, noch der jeweilige Tatbeteiligte auch nur eine Möglichkeit zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeit hätte.

 

Rz. 145

Hat der Tatbeteiligte hingegen die Möglichkeit, sich die erforderlichen Informationen zu beschaffen, so ist dies auch von ihm zu verlangen. Ist er dazu in der Lage, reicht es nicht aus, nur seinen Tatbeitrag aufzudecken und zu korrigieren, für den er nach § 370 AO bestraft werden könnte. Damit zur Konkretisierung der Selbstanzeige nur die Darstellung des geleisteten Tatbeitrags und die Darstellung der dem Tatteilnehmer bekannten steuerlichen Auswirkungen ausreicht, muss feststehen, dass er objektiv nicht in der Lage ist, den Gesamtumfang der Steuerhinterziehung oder weitere diesbezügliche Fakten zu ermitteln.[2] Die weitere Ermittlung der dem Grunde nach aufgedeckten Steuerquelle ist erst dann alleinige Angelegenheit der Finanzbehörde, wenn der Tatbeteiligte alles ihm Zumutbare getan hat, um dem Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO gerecht zu werden.

 
Praxis-Beispiel

A weiß, dass H seinen Kunden 19 % "Rabatt" gewährt, wenn diese bei ihm Waren ohne Rechnung einkaufen und bar bezahlen. Er kauft 2013 für 5.000 EUR ein und rechnet für seine Buchführung die USt heraus, die er bewusst unzutreffend als Vorsteuer geltend macht. Vor einer USt-Sonderprüfung teilt er den Sachverhalt dem FA mit.

A wird nur dann durch die Offenlegung des Umfangs seiner Tatbeteiligung sowohl hinsichtlich der eigenen USt-Hinterziehung durch Erschleichung einer unberechtigten Vorsteueranrechnung als auch hinsichtlich einer möglichen Tatbeteiligung an einer Steuerhinterziehung des H straffrei, wenn es ihm objektiv unmöglich ist, die weiteren, für eine i. S. d. § 371 Abs. 1 AO vollständige Selbstanzeige erforderlichen Informationen zu erlangen. Dies wäre z. B. der Fall, wenn H sich weigern würde, dem A die entsprechenden Informationen zu geben.

[1] OLG Hamburg v. 21.11.1985, 1 Ss 108/85, wistra 1986, 117; Beckemper, in HHSp, AO/FGO, 245. Lfg. 11/17, § 371 AO Rz. 79; Joecks, in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 371 AO Rz. 71; Schauf, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, 59. Lfg. 11/17, § 371 AO R...

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