Rz. 1

§ 370 AO begründet die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung[1]. Die Steuerhinterziehung ist das zentrale Delikt des Steuerstrafrechts[2].

 

Rz. 1a

Die vorliegende Gesetzesfassung berücksichtigt die Änderung des:

  • Abs. 3 S. 3–5 durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen v. 21.12.2007[3]. Diese Neugestaltung beruht auf der Aufhebung des § 370a AO.
  • Abs. 6 durch Art. 9 Nr. 11 JStG 2010 v. 8.12.2010[4].
 

Rz. 2

Durch den Straftatbestand des § 370 AO soll ein Fehlverhalten (Rz. 3) im Besteuerungsverfahren geahndet werden, das die zutreffende und zeitgerechte Realisierung des staatlichen Steueranspruchs beeinträchtigt. Durch den Straftatbestand wird das staatliche Recht auf den vollen Ertrag aus jeder einzelnen Steuerart geschützt[5]. Maßgeblich ist somit nicht der konkret entstehende oder entstandene Steueranspruch, sondern das aus dem Steueraufkommen generierte Vermögen des Staates. Folglich ist der Tatbestand der Steuerhinterziehung auch erfüllt, wenn aufgrund unrichtiger Angaben für ein Unternehmen Vorsteuererstattungen erschlichen werden. Dies gilt sogar, wenn das Unternehmen nicht existent ist oder für nicht existente Personen Steuervorteile erlangt werden. Selbst wenn keine tatsächlichen Steueransprüche des Fiskus in Rede stehen, kann somit eine Steuerhinterziehung begangen werden[6].

Zu ahnden ist jeder einzelne Angriff auf den einzelnen Steueranspruch i. S. v. § 37 AO. Hierbei ist es unerheblich, dass das den Steueranspruch begründende Verhalten gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt[7].

 

Rz. 3

Die zu ahndende Tathandlung (Rz. 36) ist die Verletzung der Wahrheitspflicht bei der Mitwirkung im Besteuerungsverfahren (Rz. 41) und die Verletzung der Mitwirkungspflicht selbst[8].

 

Rz. 4

Die Steuerhinterziehung schützt zunächst nur das deutsche Steueraufkommen (Rz. 80a). § 370 Abs. 6 AO erweitert den Schutzbereich auf bestimmte ausländische Steuern, d. h. auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben i. S. v. § 3 Abs. 3 AO (Rz. 82), USt und harmonisierte Verbrauchsteuern, die Mitgliedstaaten der EU oder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) zustehen (Rz. 281).

 

Rz. 4a

Die Strafbarkeit der Steuerhinterziehung besteht grundsätzlich nur, wenn die Tat im Inland begangen worden ist[9]. § 370 Abs. 7 AO erweitert den Anwendungsbereich auf Auslandsstraftaten (Rz. 291).

 

Rz. 5

Die Steuerhinterziehung ist die wesentliche Steuerstraftat i. S. dieses Gesetzes[10]. Sie ist durch die Strafandrohung des Regelstrafrahmens (s. Rz. 176) ein Vergehen i. S. v. § 12 StGB (s. § 369 AO Rz. 27). Die Erweiterung des Strafrahmens in den besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 AO bewirkt keine Veränderung des Deliktscharakters, da es sich insoweit lediglich um Regelbeispiele handelt, deren Vorliegen i. d. R. zur Anwendung des verschärften Strafrahmens des §370 Abs.3 S.1 AO führt (s. Rz. 153).

 

Rz. 6

Die Steuerhinterziehung ist unter dem Gesichtspunkt des Angriffs auf einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. v. § 37 AO (s. Rz. 1) ein Vermögensdelikt[11]. Durch das in der Verletzung der Wahrheitspflicht (s. Rz. 3, 37) liegende "betrügerische" Verhalten (zur Tathandlung im Übrigen Rz. 36) ist die Steuerhinterziehung eine spezielle Form des Betrugs[12] in Bezug auf steuerliche Ansprüche (s. Rz. 2), also der "Steuerbetrug"[13]. Im Gegensatz zum Betrug erfordert § 370 AO jedoch weder einen Vermögensschaden (s. Rz. 7a), noch einen Irrtum aufseiten des Geschädigten (s. Rz. 21, 39). Diese Unterschiede wirken sich im Hinblick auf das Konkurrenzverhältnis zu § 263 StGB aus (s. Rz. 259f.).

 

Rz. 7

Der Straftatbestand des § 370 AO ist nur erfüllt, wenn der in der Verkürzung (s. Rz. 84) oder Erlangung von steuerlichen Vorteilen (s. Rz. 103) liegende Taterfolg (s. Rz. 76) eingetreten ist. Die Steuerhinterziehung ist unter diesem Gesichtspunkt grundsätzlich ein Erfolgsdelikt[14].

 

Rz. 7a

Aus der Qualifizierung als Erfolgsdelikt kann jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass es sich bei der Steuerhinterziehung in jedem Fall um ein Verletzungsdelikt handelt. Da weder der tatbestandliche Erfolg der "Steuerverkürzung" i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO noch der Taterfolg der Vorteilserlangung i. S. d. § 370 Abs. 4 S. 2 AO die wirkliche Verletzung des Steuerfiskus zwingend voraussetzt, handelt es sich bei der Steuerhinterziehung um ein Gefährdungsdelikt[15]. Der tatbestandsmäßige Erfolg des § 370 AO ist somit nicht der ­Untergang des staatlichen Steueranspruchs, sondern eine nicht ordnungsgemäße Festsetzung. Der Steueranspruch bleibt hingegen bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung bestehen, wobei die konkrete Gefährdung des Steueranspruchs keine Tatbestandsvoraussetzung ist. Vielmehr ist auch denkbar, dass zwar eine vorsätzlich unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung abgegeben wird, die Unrichtigkeit jedoch so offensichtlich ist, dass der zuständige Sachbearbeiter die Steuer gem. § 167 S. 1 AO sofort richtig festsetzt. Daran wird deutlic...

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