Rz. 63

Wird der Einspruch schriftlich oder elektronisch bei einer anderen Behörde als den nach § 357 Abs. 2 S. 1 bis 3 AO bezeichneten Einlegungsbehörden angebracht, ist dies nach § 357 Abs. 2 S. 4 AO unschädlich, wenn der Einspruch vor Ablauf der Einspruchsfrist einer dieser Einlegungsbehörden übermittelt wird. Ein Einspruch könnte also grds. bei jeder Behörde eingelegt werden. Dabei muss es sich nicht einmal um eine Finanzbehörde handeln.[1] Für die Einhaltung der Einspruchsfrist nach § 355 AO kommt es nach der weit überwiegenden Auffassung in einem solchen Fall auf den Zugang des Einspruchs bei einer der Einlegungsbehörden an.[2] Dagegen soll es nach Ansicht des FG Baden-Württemberg für die Frage, wann der Einspruch "übermittelt wird", nicht auf den Eintritt des "Übermittlungserfolgs", also auf den Zugang bei einer der Einlegungsbehörden, ankommen, sondern auf die Vornahme der "Übermittlungshandlung" und somit auf die Absendung des Einspruchs durch die unzuständige Behörde.[3] Der BFH konnte die Frage im Revisionsverfahren unbeantwortet lassen.[4]

Die Auffassung, nach der es auf die Absendung des Einspruchs durch die unzuständige Behörde ankommt, überzeugt, weil § 357 Abs. 2 Satz 4 AO ansonsten keinen eigenständigen Regelungsgehalt hätte, der über den von § 355 Abs. 1 AO hinaus ginge. Dass – wie Siegers[5] vertritt – § 357 Abs. 2 Satz 4 AO gewährleisten soll, dass die Anbringung des Einspruchs bei einer unzuständigen Behörde nicht von Anfang an "unwirksam" ist, trägt m. E. nicht. Denn letztlich kann der Stpfl. den Einspruch auch in seiner Lieblingskneipe abgeben, solange er nur innerhalb der Einspruchsfrist bei einer der zuständigen Behörden eingeht. Die Besonderheit des § 357 Abs. 2 Satz 4 AO ist eben, dass es im Fall der Anbringung des Einspruchs bei einer unzuständigen Behörde nicht auf den Eingang bei zuständigen, sondern den Abgang bei der unzuständigen Behörde ankommt. Insoweit unterscheidet sich die Vorschrift auch von der des § 47 Abs. 2 FGO, die für eine fristgemäße Klage deren Eingang bei der (für die Klage eigentlich unzuständigen) Behörde ausreichen lässt. Dieses Verständnis der Vorschrift erweitert den Rechtsschutz zugunsten des Stpfl., der die fehlerhafte Anbringung seines Einspruchs verschuldet. Einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vermag ich darin nicht zu erkennen.[6]

 

Rz. 64

Für die unzuständige Behörde, bei der der Einspruch fehlerhaft eingegangen ist, besteht zwar die Verpflichtung, leicht und einwandfrei als fehlgeleitete fristwahrende Einspruchsschreiben erkennbare Schriftstücke im Zuge des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs ohne schuldhaftes Zögern an die zuständige Behörde weiterzuleiten und die Absendung aufgrund ihrer wegen § 357 Abs. 2 Satz 4 AO gegebenen Relevanz für die Fristwahrung zu dokumentieren.[7] Das Risiko der rechtzeitigen Absendung an die Einlegungsbehörde trägt aber letztlich der Einspruchsführer.[8] Wird der Einspruch erst nach Ablauf der Einspruchsfrist an die Einlegungsbehörde übermittelt, also abgesandt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO nur dann in Betracht, wenn die weiterleitende Behörde hieran ein Verschulden trifft.[9] Die Feststellungslast hierfür trifft den Einspruchsführer.[10]

 

Rz. 65

Die Bestimmung des § 357 Abs. 2 S. 4 AO gilt auch im Falle eines Wechsels der Zuständigkeit der Finanzbehörde nach Erlass des anzugreifenden Verwaltungsakts (bzw. nach Antragstellung; s. dazu bereits Rz. 52).

 

Rz. 66

§ 357 Abs. 2 S. 4 AO erfasst ausdrücklich nur die schriftliche oder elektronische Anbringung des Einspruchs bei einer unzuständigen Behörde. Es ist streitig, ob damit auch die Erklärung des Einspruchs zur Niederschrift dieser Behörde umfasst ist. Cöster[11] bejaht dies mit dem Hinweis darauf, dass die Erklärung zur Niederschrift – jedenfalls nach der Auffassung des BFH – eine bloße Unterform der Schriftlichkeit darstelle. Siegers[12] lehnt dies unter Verweis auf den Wortlaut ab. Die Frage dürfte insb. dann praktische Bedeutung haben, wenn ein Stpfl. bei einem Zuständigkeitswechsel nach Erlass des anzufechtenden Verwaltungsakts – z. B. infolge einer Wohnsitzverlegung – einen Einspruch bei der nunmehr nach § 367 Abs. 1 S. 2 AO für die Entscheidung über den Einspruch zuständigen Finanzbehörde zur Niederschrift erklären möchte.

Fertigt die in einem solchen Fall nicht als Einlegungsbehörde zuständige Behörde über den mündlich von dem Stpfl. an Amtsstelle vorgetragenen Einspruch eine Niederschrift an, liegt damit m. E. noch keine wirksame Einspruchseinlegung vor. Vielmehr ist die Niederschrift als ein für den Stpfl. erstellter schriftlicher Einspruch anzusehen, für den die Regelung des § 357 Abs. 2 S. 4 AO gilt. Der Einspruch ist also nur dann fristgemäß eingelegt, wenn die Niederschrift durch die unzuständige Behörde an die zuständige Einlegungsbehörde innerhalb der Einspruchsfrist übermittelt, also abgesendet wird.

 

Rz. 67

Als andere Behörde i. S. d. § 357 Abs. 2 S. 4 AO kommt grds. auch ein Finanzgericht in Betracht.[13]

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