Rz. 57

§ 357 Abs. 2 S. 2 AO bestimmt, dass ein Einspruch, der sich gegen die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen oder gegen die Festsetzung eines Steuermessbetrags richtet, auch bei der zur Erteilung des Steuerbescheids zuständigen Behörde angebracht werden kann.

 

Rz. 58

Der Einspruch kann also sowohl nach § 357 Abs. 2 S. 1 AO bei der Finanzbehörde eingelegt werden, die den Feststellungsbescheid oder den Steuermessbescheid als Grundlagenbescheid erlassen hat oder bei der ein Antrag auf Erlass eines solchen Verwaltungsakts gestellt worden ist, als auch nach § 357 Abs. 2 S. 2 AO bei der Behörde, die für den Erlass des entsprechenden Steuerbescheids als Folgebescheid zuständig ist. Die Vorschrift schafft für Feststellungs- und Steuermessbescheide somit eine weitere Einlegungsbehörde. So kann z. B. auch ein Einspruch gegen den Gewerbesteuermessbescheid fristwahrend bei der für die Erteilung des Gewerbesteuerbescheids zuständigen Gemeinde eingelegt werden.

Umgekehrt gilt diese Bestimmung allerdings nicht: Eine fristwahrende Einlegung eines Einspruchs gegen den Steuerbescheid ist nicht bei der für den Erlass des Grundlagenbescheids zuständigen Behörde möglich.[1] In diesem Fall gilt die Regelung des § 357 Abs. 2 S. 4 AO.

 

Rz. 59

§ 357 Abs. 2 S. 2 AO nennt nicht alle Fälle von Grundlagenbescheiden, sondern beschränkt sich auf Feststellungsbescheide[2] und Steuermessbescheide.[3] Die Regelung hat ihren Grund in der für einen Laien aus der Ineinanderschachtelung von Bescheiden sich ergebenden Schwierigkeit, die Stelle richtig zu erkennen, bei der der Einspruch anzubringen ist.[4] Diese Schwierigkeit ergibt sich in gleicher Weise bei den nicht aufgezählten Grundlagenbescheiden. Es ist daher Seer[5] und Bartone[6] darin zuzustimmen, dass die Regelung über den Wortlaut hinaus auf alle – von einer Finanzbehörde erlassene – Grundlagenbescheide entsprechend anzuwenden sein sollte, also z. B. auch für Zerlegungsbescheide[7] und Zuteilungsbescheide[8] gilt. Ebenso ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn der entsprechende Folgebescheid kein Steuerbescheid ist.

Um mögliche Streitigkeiten zu vermeiden, sollte der Einspruch in diesen Fällen aber dennoch sicherheitshalber nach § 357 Abs. 1 S. 1 AO bei der Behörde eingelegt werden, die den Verwaltungsakt erlassen hat oder bei der die Antragstellung erfolgt ist.

 

Rz. 60

Die Einlegung des Einspruchs nach § 357 Abs. 2 S. 2 AO bei der für den Erlass des Folgebescheids zuständigen Finanzbehörde hat fristwahrende Wirkung.[9] Diese Einlegungsbehörde hat den Einspruch jedoch an die für den Grundlagenbescheid zuständige Behörde weiterzuleiten, die als Entscheidungsbehörde nach § 367 Abs. 1 S. 1 AO über den Einspruch zu befinden hat.[10] Die Dauer der Übermittlung hat für die Bestimmung des Zeitpunkts der Einspruchseinlegung keine Bedeutung. Sie geht nicht zulasten des Einspruchsführers.

[1] Siegers, in HHSp, AO/FGO, § 357 AO Rz. 34; Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 357 Rz. 24; Szymczak, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 357 Rz. 9; Birnbaum, in BeckOK AO, § 357 AO Rz. 58; a. A. – ohne nähere Begründung – Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO; § 357 AO Rz. 24: "konsequenterweise entspr. anzuwenden".
[4] Becker/Riewald/Koch, RAO/FGO, Band III, 9. Aufl. 1968, § 238 RAO Anm. 2d.
[5] In Tipke/Kruse, AO/FGO, § 357 AO Rz. 24: "…nur dies ist konsequent…".
[6] In Gosch, AO/FGO, § 357 AO Rz. 39.
[9] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 357 AO Rz. 24.
[10] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 357 AO Rz. 25.

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