Rz. 7

Nicht von der Vorschrift erfasst werden die Fälle, in denen eine nicht bestehende Verfügungsmacht behauptet oder vorgetäuscht wird (vgl. Rz. 2). Das gilt für alle Arten der Verfügungsmacht, also auch für die Fälle, die beim Bestehen einer Verfügungsmacht unter § 34 AO fallen würden.[1] Allerdings können solche Personen unter § 35 AO fallen, die formell nicht die Voraussetzungen des § 34 AO erfüllen, aber doch verfügungsberechtigt sind. Das gilt z. B. für Personen, die nach der Geschäftsverteilung im Rahmen der Unternehmensgruppe die faktische Geschäftsführung innehaben.[2]

Ein faktischer Geschäftsführer muss rechtlich und wirtschaftlich in der Lage sein, über die Mittel der Gesellschaft (z. B. GmbH) zu verfügen.[3] Ob er dies im eigenen oder fremden Namen tut, ist ohne Belang.[4] Die faktische Geschäftsführung kann sich auch aus einem Bündel von Tätigkeiten wie der Führung der Buchhaltungsaufgaben, der Bearbeitung der steuerlichen Angelegenheiten, dem Bankenverkehr einschließlich Anweisung von Zahlungen ergeben.[5] Ein faktischer Geschäftsführer, der mit dem entsprechenden Anschein einer Berechtigung tatsächlich nach außen auftritt, ohne formell zum Geschäftsführer bestellt zu sein, kommt als Haftungsschuldner über § 35 AO in Betracht.[6]

Die Vorschrift trifft in erster Linie die durch Rechtsgeschäft Verfügungsberechtigten. Die kraft Gesetzes, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung Verfügungsberechtigten fallen regelmäßig bereits unter § 34 Abs. 13 AO. Unter § 35 AO können danach Generalbevollmächtigte[7] ebenso fallen wie Prokuristen[8], Handlungsbevollmächtigte[9], aber auch mit Vollmacht für kleinere Bereiche ausgestattete Personen, wie z. B. der Hausmakler, der für eine Grundstücksverwaltung vom Eigentümer völlig freie Hand erhalten hat. In Betracht kommen auch alle Personen, die in einem Geschäft neben dem Inhaber bzw. den Geschäftsführern über Geschäftsvermögen verfügen können. Das kann in einer Gesellschaft auch der beherrschende Gesellschafter sein, der zwar nicht gesetzlicher Vertreter ist, aber als Verfügungsberechtigter auftritt und rechtlich und tatsächlich die steuerlichen Pflichten erfüllen kann.[10] Eine tatsächliche Verfügungsmacht reicht nicht aus. Sie muss auch rechtlich bestehen.[11] Kein Verfügungsberechtigter nach § 35 AO ist eine Bank, die aufgrund einer Globalabtretung oder auf ähnliche Weise bestimmen kann, wie der Schuldner einer Darlehensforderung verfahren kann. Trotz faktischer Kontrollrechte hat die Bank nur in besonderen Fällen eine Verfügungsbefugnis.[12]

Steuerliche Berater sind regelmäßig nur Bevollmächtigte, nicht dagegen Verfügungsberechtigte. Zwar berechtigt eine ohne nähere Umschreibung erteilte Vollmacht nach § 80 Abs. 1 S. 2 AO zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen. Das bedeutet jedoch keine Verfügungsmacht. Nur wenn der steuerliche Berater von seinem Mandanten darüber hinausgehende Verfügungsrechte eingeräumt erhalten hat (z. B. Zeichnung von Schecks, Verfügungen über Bankkonten des Mandanten) und er dies nach außen erkennbar werden lässt[13], kommt eine Anwendung des § 35 AO in Frage. Gerade wegen der Angehörigen der steuerberatenden Berufe hat der Gesetzgeber den § 35 AO mit dem Erfordernis der Verfügungsberechtigung enger als den § 108 RAO formuliert.

 

Rz. 8

In Treuhandverhältnissen ist der Treuhänder sehr häufig Verfügungsberechtigter. Da er auch entsprechend auftritt, fällt er unter § 35 AO, obwohl er bürgerlich-rechtlich regelmäßig bereits der eigentliche Berechtigte (Eigentümer) ist. Da steuerlich die Wirtschaftsgüter dem Treugeber zuzurechnen sind[14], kann § 35 AO zum Tragen kommen. Der Strohmann, der grundsätzlich dem Treuhänder gleichgestellt wird, ist allerdings für die USt abweichend zu behandeln.[15] Bei Sicherungsübereignungen ist § 35 AO im Normalfall nicht anzuwenden, da hier der Sicherungsgeber als wirtschaftlicher Eigentümer auch allein verfügungsberechtigt bleibt. Nur wenn der Sicherungsnehmer besondere Verfügungsrechte eingeräumt erhalten hat und entsprechend auftritt, gilt § 35 AO.[16] Der indirekte Stellvertreter (z. B. Kommissionär, Spediteur) ist durch Rechtsgeschäft zu Verfügungen im eigenen Namen berechtigt.[17] Eine Anwendung des § 35 AO auf ihn kommt jedoch wegen seiner meist sehr eingeschränkten Rechte sehr selten in Betracht.

Kein Anwendungsfall des § 35 AO ist gegeben, wenn ein Wageninsasse bei der Einreise mehrerer Personen in einem Pkw die Zollformalitäten erledigt, ohne einschränkende Erklärungen abzugeben. Diese Person mag als Verfügungsberechtigter auftreten.[18] Die im Gegensatz zu § 108 RAO von § 35 AO nun geforderte rechtliche und tatsächliche Erfüllbarkeit der steuerlichen Pflichten dürfte bei dieser Person jedoch nicht oder nur in einem ganz geringen Umfang gegeben sein.[19] Ein Spediteur handelt im Zollverwaltungsverfahren (z. B. bei der Zollanmeldung), wenn er nicht klar die Stellvertretung für eine bestimmte Person deutlich macht, als indirekter Vertreter[20], also im eigenen Namen auftritt,...

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