Rz. 112

Ein Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht kommt insbesondere in den Fällen der §§ 101103 AO in Betracht. Auch bei einem Verzicht in anderen dem Steuergeheimnis unterliegenden Verfahren ist die Offenbarungs- oder Verwertungsbefugnis gegeben. Der Gesetzgeber meint damit nicht nur die Auskunftsverweigerungsrechte der vom Steuergeheimnis und einer möglichen außersteuerlichen Strafverfolgung betroffenen Person[1], auch wenn er in erster Linie deren Schutz im Auge hat. Ist die betroffene Person – wie i. d. R. – der Stpfl., so hat sie im Besteuerungsverfahren ohnehin kein Auskunftsverweigerungsrecht. Der Stpfl. kann lediglich nicht zur Aussage gezwungen werden.[2] Eine freiwillige Aussage des Stpfl. geschieht deshalb nicht unter Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht[3], sondern ggf. unter Verzicht auf sein aus dem nemo tenetur-Grundsatz herzuleitendes Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen.[4] Zudem ist die Folge des Verzichts der betroffenen Person auf ihr Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, in der Regelung zu Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a kodifiziert, so dass es insoweit einer erweiterten Auslegung des Abs. 4 Nr. 4 Buchst. b schon nicht bedarf. Im Übrigen kommen die Auskunftsverweigerungsmöglichkeiten Dritter, vor allem in den Fällen der §§ 101 und 102 AO, in aller Regel den betroffenen Personen zugute.

Dass die betroffene Person keinen Einfluss auf das anderen Personen zustehende Auskunftsverweigerungsrecht hat, rechtfertigt[5] keine teleologische Reduktion des Wortlauts der Vorschrift auf die Fälle des Verzichts der betroffenen Person selbst.[6] Wenn der Auskunftsverweigerungsberechtigte von seinem Verweigerungsrecht keinen Gebrauch macht und sich wie ein Fremder verhält, kann seine Aussage auch entsprechend behandelt werden. Die betroffene Person hätte auch keinen Einfluss darauf, wenn der Auskunftsverweigerungsberechtigte seine Information unmittelbar den Strafverfolgungsbehörden gäbe.

Auf sein Auskunftsverweigerungsrecht kann nur derjenige verzichten, der es kennt. Deswegen ist für den Verzicht des Angehörigen auf sein Verweigerungsrecht nach § 101 AO und für den Verzicht bei Gefahr einer Strafverfolgung nach § 103 AO eine Belehrung über das Recht Voraussetzung eines wirksamen Verzichts.[7] Die Angehörigen der in § 102 AO aufgeführten Berufe sind selbst über ihre Schweigerechte (und -pflichten) informiert. Eine Belehrung ist deswegen in § 102 AO nicht vorgesehen und auch nicht Voraussetzung für eine Anwendung des § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. b AO. Die unter § 102 Abs. 1 Nr. 3 AO fallenden Verteidiger, Angehörigen der rechtsberatenden Berufe (Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer) sowie der Heilberufe (Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen) haben dann kein Auskunftsverweigerungsrecht, wenn sie von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden sind.[8] Äußern sie sich in einem solchen Fall, so geschieht dies nicht unter Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht. Bereits wegen der Strafdrohung des § 203 StGB bei Verletzung einer Verschwiegenheitspflicht ist davon auszugehen, dass ein steuerlicher Berater, der den Stpfl. im Einzelfall gegenüber der Finanzbehörde vertritt (z. B. für Auskünfte während der Außenprüfung zur Verfügung steht), grundsätzlich von der Verschwiegenheitspflicht entbunden ist. Dann können seine Angaben auch nicht für eine außersteuerliche Strafverfolgung weitergegeben oder verwertet werden.

[1] Ebenso Alber, in HHSp, AO/FGO, § 30 Rz. 186; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rz. 181; a. A. Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 115; Ehlers, BB 1977, 1365.
[3] A. A. Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 115.
[4] S. dazu die Belehrungspflicht z. B. aus § 393 Abs. 1 S. 4 AO; Rz. 7.
[5] Entgegen Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 115.
[6] H. M.; im Ergebnis wie hier u. a. Alber, in HHSp, AO/FGO, § 30 AO Rz. 186; Koenig/Pätz, AO, 4. Aufl. 2021, § 30 Rz. 222.
[7] Vgl. AEAO, zu § 30 Nr. 10.2.

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