Rz. 109

Während zur Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten alle steuerlichen Informationen und Kenntnisse weitergegeben bzw. verwertet werden dürfen[1], hat der Gesetzgeber für die Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer nichtsteuerlichen Straftat (z. B. Betrug, Urkundenfälschung, Wucher) die Zulässigkeit des Offenbarens und des Verwertens der Kenntnisse in § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO im Einzelnen geregelt. Er hat hier eine eng begrenzte Offenbarungsbefugnis, jedoch keine Offenbarungspflicht für Fälle geschaffen, die zuvor dem Geheimnisschutz unterlagen. Die Befugnisvorschrift in § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO ist wie alle anderen als Ausnahme von der Unzulässigkeit der Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten eng auszulegen.[2] Sie lässt keinen Spielraum für ausdehnende Auslegungen hinsichtlich der Befugnisfälle. Ein Offenbaren für außersteuerliche Bußgeldverfahren ist grundsätzlich unbefugt (s. aber unten zu Ausnahmen). In Fällen gegebener Befugnis zum Offenbaren reicht diese nur soweit, wie das Offenbaren der Durchführung des Strafverfahrens dient.[3] Die Fälle des § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO überschneiden sich manchmal mit denen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. a oder b AO. Für die Verwertung von Kenntnissen der Staatsanwaltschaft und der Gerichte aus dem Bereich der steuerlichen Ermittlung für die Verfolgung nichtsteuerlicher Straftaten enthält § 393 Abs. 2 AO ein weiteres Verbot. § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO wird dadurch entsprechend ergänzt.[4] Abweichend von der Regelung in § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO hat der Gesetzgeber allerdings in § 4 Abs. 5 Nr. 10 S. 2 und 3 EStG und damit an systematisch unpassender Stelle Mitteilungspflichten bzgl. straf- oder auch nur bußgeldbewehrter Schmiergeldzahlungen und vergleichbarer Vorteilszuwendungen geregelt.[5] Zur Offenbarungspflicht bei weiteren Bußgeldtatbeständen s. zu § 31b AO. Über § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO werden hier also auch Ausweitungen der Offenbarungs- und Verwertungsbefugnisse zugunsten bestimmter Bußgeldtatbestände geschaffen. Im Einzelnen ist ein Offenbaren oder Verwerten nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO in den folgenden Fällen zulässig.

[2] Ehlers, BB 1977, 1365.
[3] Ebenso Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 113; Alber, in HHSp, AO/FGO, § 30 AO Rz. 182.
[5] FG Baden-Württemberg v. 13.2.2008, IV 630/07, EFG 2008, 760 mit Anm. Braun.

8.1.10.1 Ab Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekannt werdende Tatsachen

 

Rz. 110

Da die Ahndung steuerlicher Delikte die Besteuerung unterstützt, besteht insoweit Offenbarungs- und Verwertungsbefugnis.[1] Hingegen ist die Offenbarung oder Verwertung zur Verfolgung nichtsteuerlicher Delikte an einschränkende Voraussetzungen geknüpft. Die wissende Behörde ist dann zur Offenbarung oder Verwertung befugt, wenn für die außersteuerliche Strafverfolgung bedeutsame Erkenntnisse (sog. Zufallsfunde) nicht im steuerlichen, sondern im steuerstrafrechtlichen Bereich erworben worden sind, weil der Betroffene dann schon die Rechte eines Beschuldigten gehabt hat, insbesondere darüber belehrt worden ist, dass er in Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit weder mitwirkungs- noch auskunftspflichtig ist. Umgekehrt darf nicht offenbart bzw. verwertet werden, was der Betroffene ohne Kenntnis von der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens offenbart hat oder was sonst vor der Einleitung bekannt geworden ist.

Sind die Tatsachen dem Amtsträger bereits vor der Einleitung eines steuerlichen Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt geworden (z. B. dem FA im Rahmen einer Außenprüfung), so sind sie von einer Offenbarung oder Verwertung zur außersteuerlichen Strafverfolgung[2] grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausnahme hiervon besteht in den Fällen, in denen eine nichtsteuerliche Straftat in Tateinheit[3] mit einer Steuerstraftat begangen wird (z. B. Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung); dann ist die Offenbarung oder Verwertung hinsichtlich des nichtsteuerlichen Delikts nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO zulässig.[4] In Fällen der Tatmehrheit[5] besteht die Offenbarungs- oder Verwertungsbefugnis für die Verfolgung der außersteuerlichen Straftaten dagegen m. E. nur unter den Voraussetzungen von § 30 Abs. 4 Nr. 4 oder 5 AO.[6] Vom Stpfl. selbst offenbarte Tatsachen darf die Finanzbehörde sogar nur dann weitergeben, wenn er zzt. seiner Offenbarung die Einleitung des steuerlichen Straf- oder Bußgeldverfahrens gekannt hat. Dabei ist der vom Gesetz verwendete Begriff des Stpfl. zu eng, da der Geheimnisschutz auch für betroffene Personen eingreift, die im konkreten Verfahren nicht Stpfl. sind (vgl. Rz. 30). Für die Weitergabe oder Verwertung von Äußerungen anderer Personen (z. B. Betriebsangehörigen, Geschäftspartnern) ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einleitung bedeutungslos. Hat jedoch ein anderer Mitwirkungspflichtiger als der Stpfl. die Tatsachen genannt, so muss sich der Schutz auch auf ihn beziehen.[7] Auch hier könnten sich für die Anwendung des nemo tenetur-Grundsatzes aber Anwendungsproblem...

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